Ich darf das!

Seit vielen Jahren werde ich nicht müde zu erklären, dass ich meine Bücher, auch wenn ich viele Geschichten mit queeren Hauptfiguren schreibe, nicht im Sortiment eines schwul/lesbischen Nischenverlags sehe, sondern damit einen Platz im allgemeinen Sortiment beanspruche. Womit ich den dediziert queeren Verlagen nicht ihre Existenzberechtigung absprechen möchte – aber ich habe ein Problem mit der Vorstellung, dass queere Stoffe in eine Art literarisches Reservat gehören und Hetero-Lesern alles, was nicht hetero ist, nicht zuzumuten ist. Ich möchte eine Normalität erreichen, im Alltag wie in der Literatur, und auch im Großverlag – ein bisschen Größenwahn muss erlaubt sein – über queere Stoffe schreiben dürfen.

In den letzten Jahren hat sich da vieles getan. Vor zehn Jahren hat mir noch das Lektorat eines Großverlags mit Nachdruck aufgetragen, dass das Happyend gefälligst zwischen der Protagonistin und einem Mann zu sein hat. Vor fünfzehn Jahren kam vom Lektor eines nicht ganz so großen Verlags der Kommentar, dass nicht beide Hauptfiguren schwul sein dürften – sie wären sich sonst zu ähnlich. Aber natürlich hätte man nichts gegen Schwule. Und im Zweifelsfall schiebt man den Schwarzen Peter dem Publikum zu, das ja einfach noch nicht so weit ist und solche Themen nicht akzeptiert, und natürlich will ein Verlag ein Buch, das am Ende niemand kauft, nicht machen.

Nur bin ich selbst queer, und ich bin bockig, und ich schreibe weiterhin Bücher, in denen die Figuren Männer lieben, Frauen lieben, niemanden lieben, oder sich selbst lieben – schwul, lesbisch, ace, hetero, alles hat eine Existenzberechtigung, und ich will über alles schreiben können und das Ergebnis auch auf den Markt bringen und damit Leser:innen erreichen. Aber so stolz ich das heute verkünden mag – die Selbstverständlichkeit, mit der ich heute über queere Figuren schreibe, war auch bei mir nicht immer gegeben. Auch wenn ich schon schreibe, seit ich noch zur Schule gegangen bin, und auch wenn ich schon als Teenager geahnt habe, dass ich nicht unbedingt hetero bin, war es ein langer Prozess, bis das auch in meinen Geschichten Einzug gehalten hat.

Das allererste Mal, dass ich schwule Figuren in einem Werk habe auftreten lassen, war um 1993 herum, als ich noch überwiegend Krimis geschrieben habe. Damals hatte ich im – nicht von ungefähr auf dem Romanfriedhof gelandeten – Buch »Wo ist dein Schädel, Mädel« tatsächlich eine Nebenfigur, den Musical-Darsteller Scott, der eine Scheinehe eingeht, weil niemand erfahren darf, dass er in Wirklichkeit schwul ist, und das drohende Auffliegen dieses dunklen Geheimnisses machte ihn zu einem Hauptverdächtigen im Fall des Mordes an seiner Cousine.

Ein Musical-Darsteller schwul? In welcher Welt sollte das skandalös sein? War das vielleicht ein historischer Roman? Angesiedelt in Russland? Weit gefehlt. Das Buch spielte im zeitgenössischen London – beziehungsweise in Lundun, wie ich die Stadt genannt hatte, damit mir, damals noch nie auf den britischen Inseln gewesen, niemand unterstellen konnte, mich mit meinem Setting nicht auszukennen. Scott war wenigstens keine Witzfigur – das muss ich dabei sagen, denn das Buch war humoristisch gemeint und sollte mich zum Terry Pratchett des Krimis machen – und diente nicht zur Bedienung von billigen Schwulenklischees –  was aber auch daran liegen kann, dass das Buch nicht über die ersten zwanzig Seiten hinausgekommen ist und Scott, der nur eine sehr kleine Rolle hatte, im vorhandenen Text nur in einem Halbsatz erwähnt wurde.

Und doch hatte ich das Gefühl, da gegen ungeschriebene Tabus zu verstoßen. Ich wusste wohl, dass es – zumindest in der Bundesrepublik – nicht mehr verboten war, schwul zu sein, aber durfte in einem Buch darüber schreiben? Ich kannte nicht nur niemanden, der schwul oder lesbisch war – oder wusste es zumindest von niemandem -, sondern hatte praktisch keine Beispiele für Queerness in den Büchern, die ich in rauen Mengen verschlungen habe. Anfang der Neunziger war niemand schwul – und dass Rosa von Praunheim dann Hape Kerkeling und Alfred Biolek als schwul geoutet hat, war ein Paukenschlag, ein Skandal von einer Größe, den man sich heute kaum noch vorstellen kann. Ich lebte im konservativen Münsterland, da gab es sowas nicht. Und ansonsten hatte ich da keinerlei Berührungspunkte.

Ausnahmen gab es wenige. Da war das Jugendbuch »Ich sag ja, du sagst nein« von John Donovan, dessen Klappentext (»eines Tages sind sie zärtlich zueinander«) so verhuscht daherkam, dass ich als junger Leser nicht mal verstanden habe, dass es in dem Buch um Homosexualität ging. Dann gab es Joel Cairo in Dashiell Hammets »Malteser Falke«, das ich in einer alten Übersetzung gelesen hatte, in dem »queer« mit »halbseiden« übersetzt wurde, und auch hier verstand ich erst Jahre später, dass der schwul war. Und dann gab es »Himmelblau« von Joe Keenan. Das Buch, auf Deutsch im Heyne-Verlag erschienen mit dem Zusatz »ein schriller Roman«, war             ganz unverfroren schwul. Für mich, Teenager und jahrelang vom Coming-out entfernt, war das Buch augenöffnend skanadlös, und über allem schwebte die ein »Darf der das? Dass der das darf!«

Aber ich, zumindest verstand ich das so, durfte das nicht. Scott blieb ein Einzelgänger, auch wenn ich in noch einer anderen Krimireihe einen verkappt schwulen Cousin hatte, blieb auch in meinen Büchern queere Repräsentation genauso Fehlanzeige wie ein »Ende« unter einem dieser Manuskripte. Und das änderte sich nicht einmal, als ich nach Köln zog, um zu studieren, und meinen Horizont gewaltig erweitern konnte. Das Gemeinschaftprojekt »Die Öbba« hatte zwar nicht weniger als neun Hauptfiguren und darunter drei Liebespaare, aber keine von uns drei Autorinnen war auf die Idee gekommen, irgendjemand von denen könnte etwas anderes als hetero sein.

Ich fing viele neue Bücher an in dieser Zeit, inzwischen Mitte der Neunzigerjahre angekommen, aber um alles, was irgendwie von der sexuellen Norm abgewichen wäre, machte ich weite Bögen. Vielleicht, weil es erfordert hätte, mich mit meiner eigenen Sexualität auseinanderzusetzen – und dafür war ich einfach noch nicht bereit. Meine Freunde ahnten da vielleicht etwas, andere Bekannte nannten mich »verklemmt«, und ich machte weite Bögen um alles irgendwie Sexuelle. Erst, als ich dann 1996/97 meine »Flöte aus Eis« schrieb, fing ich an, die Dinge zumindest zu hinterfragen. Ich überlegte – auch wenn das niemals in der Geschichte selbst thematisierte – ob der Elf Keil vielleicht heimlich in den menschlichen Glücksritter Felder verliebt sein könnte: Aber ich kam nicht auf die Idee, etwas daraus zu machen. Jetzt, wo ich, fast dreißig Jahre später, das Buch noch einmal schreibe, wird diese Liebesgeschichte Einzug halten in die Geschichte, auch wenn ich noch nicht weiß, was ich damit machen werde.

Nach der »Flöte« schrieb ich mein über achthundertseitiges Großwerk »Die Spinnwebstadt«, und zu dem Zeitpunkt wusste ich bereits, dass ich eben nicht hetero war. Ich hatte mich herzzerreißend in meine beste Freundin verliebt, aber das durfte niemand wissen außerhalb meiner allerengsten Vertrauten, und auch in diesem Buch spielte es keine Rolle. Auch wenn ich mich immer wieder fragte, ob die Freundschaft zwischen Protagonist Mowsal und seinem Freund Maril vielleicht doch mehr als Freundschaft war – immerhin unternimmt Mowsal seine Queste rund um die Welt, nur um Marils Leben zu retten – wagte ich es nicht, das offen zu thematisieren. Tabu blieb tabu. Und das Äußerste, was ich wagte, war, dass die weise Elbe Lamair meinte, dass Mowsal seine Quest ja offenbar aus Liebe unternommen hätte – woraufhin der ihr vehement erklärte, dass sie doch wirklich nur Freunde wären. Aber immerhin, ich hatte Homosexualität angesprochen, wenn auch nur ein ganz kleines bisschen.

Wagemutiger wurde ich erst danach. Im Sommer 1998 war ich noch ziemlich frisch mit meinem Freund – heute mein Ehemann – zusammen, und wir unternahmen eine Interrailtour nach Großbritannien (inzwischen mein drittes Mal, sodass ich heute keine Stadt mehr Lundun nennen müsste). In Bath regnete es, und wir langweilten uns – und fingen an, gemeinsam einen Roman zu schreiben – so entstand der »Torbryen-Zyklus«, der entgegen seines Titels nie über ein Buch hinauskam, und das ist auch nie fertiggeworden. Aber immerhin: Jeder von uns hatte vier Hauptfiguren, und ich beschloss, etwas zu wagen, das ich noch nie zuvor gewagt hatte. Trispen und Trelovor, Zauberstudenten, teilten sich auf ihrer Akademie nicht nur das Quartier – sie waren auch ein Paar. Ganz in echt, ganz offiziell – ich hatte meine ersten schwulen Hauptfiguren.

Vielleicht, weil das Buch mehr ein Spaßprojekt war – zwar strebte ich für meine inzwischen fertige »Flöte aus Eis« die Veröffentlichung an, aber dieses Buch war ein Gemeinschaftsprojekt, und mein Partner war schon damals eher öffentlichkeitsscheu und auch nicht an einer Veröffentlichung interessiert (ja, das muss man klären, bevor man auch nur die erste Zeile geschrieben hat!), sodass ich mir erlauben konnte, was ich in einem für den Markt bestimmten Buch niemals gewagt hätte. Aber Trelovar und Trispen hatten da eine Mauer in mir eingerissen, und ich habe mich geweigert, sie jemals wieder aufzubauen.

1999 zog ich in Köln mit zwei sehr guten Freundinnen in eine WG, von der ich heute behaupte, dass es eine Künstlerkommune war. Plötzlich war Queerness kein Tabu mehr. Wir spielten schwule Figuren im Rollenspiel, und meine Mitbewohnerinnen malten zahlreiche Bilder über die Liebesgeschichte zwischen ihren Vampire-Charakteren, die bald die ganze Wohnung ausfüllten. Das war die Situation, in der ich Anfang 2000 mit der Arbeit an meinen »Chroniken der Elomaran« begann, die ganze Geschichte vor allem darauf ausgelegt, meinen Mitbewohnerinnen zu gefallen. Ich las abends in der Küche mein am Tag Geschriebenes vor, erzählte vom geplanten Plot und nahm Wünsche entgegen, wie sich die Handlung entwickeln sollte, und beide waren sich nachdrücklich einig: Alexander und Halan sollten zusammenkommen.

Ich war erst ein bisschen skeptisch – vor allem, weil Alexander in seinen Wutausbrüchen Halan tendenziell schlecht behandelt hatte und ich mir nicht vorstellen konnte, wie daraus Liebe erwachsen sollte – aber ich wollte meine beiden Freundinnen die Freude nicht nehmen und baute brav die Liebesgeschichte ein, und auch wenn das keine besonders gesunde Beziehung wurde, die auf eher tönernen Füßen stand, sollte sie die Geschicke dieses bis heute epischen Werkes entscheidend prägen und hielt deutlich länger stand als die WG, die sich 2003 in Freundschaft auflöste.

Die »Chroniken der Elomaran« an einen Verlag zu schicken, stand erst einmal nicht zur Debatte – nicht wegen der Sexualität meiner Hauptfiguren, aber weil ich die ganze Reihe erst fertigschreiben wollte, ehe ich das irgendwo anbieten wollte. Aber ich machte etwas anderes damit: Ich stellte die Geschichte online, mit allen schwulen Liebesszenen, und das unter meinem richtigen Namen. Vergessen war die Angst, vergangen das »Dass der das darf!« – ich durfte das. Und ich wollte kein Geheimnis mehr draus machen müssen. Auch wenn mir regelmäßig Leute nicht glauben wollen, dass ich selbst queer war – schließlich hatte ich einen männlichen Partner, konnte also folglich nur hetero sein – wollte ich dazugehören zur queeren Community.

Nur vorstellen, dass wirklich ein Verlag an dieser Buchreihe interessiert sein sollte – das fiel mir schwer. Ja, ich wusste inzwischen, dass es schwule Nischenverlage gab, aber die schieden für diese Reihe aus, denn im dritten Band ist die Hauptfigur Varyn, und Varyn ist hetero, und überhaupt, ich wollte ja nicht ins Reservat. Um so erstaunter reagierte ich, als die Anfrage dieser Münchner Agentur kam, die das Projekt unter Vertrag nehmen wollte. Hatten die das Buch wirklich gelesen? Hatten die wirklich gesehen, dass da eine schwule Liebesgeschichte im Zentrum stand? Sicherheitshalber fragte ich nicht nach, sondern unterschrieb ganz schnell den Agenturvertrag, ehe sie sich das nochmal anders überlegen sollten. Aber da hätte ich mir wirklich keine Sorgen machen müssen. Meine Agentin hat seither so viele Bücher von mir angeboten, so viele mit queeren Themen, und ich brauche mich nicht zu verstecken.

Zugegeben ist es heute immer noch schwer, Fantasy mit schwulen Protagonisten in Deutschland zu verkaufen. Da gibt es immer noch viele Vorurteile, und ich werde nie vergessen, wie mir mein einziger männlicher Betaleser abgesprungen ist, als 2012 der Geisterfotoraph Percy eine Affäre mit einem anderen Mann angefangen hat: Natürlich hatte der Betaleser kein Problem mit schwulen, aber er wollte da keine Bücher drüber lesen müssen, ich sollte das nicht persönlich nehmen … Ich nahm es trotzdem persönlich. Natürlich tat ich das. Aber die Liebesgeschichte blieb drin. Die Buchreihe: Bis heute unveröffentlicht.

In der Neraval-Sage habe ich bei vier Protagonisten einen schwulen Mann, eine Hetero-Frau, einen Asexuellen und einen Narzissten, und ich bin kürzlich noch über einen Verriss des »Gefälschten Siegels« gestolpert, der sich über Lorcans Homosexualität mockierte nach dem Motto »das soll ja ein modernes Buch sein!«, als ob ich Lorcan nur aus Quotengründen schwul gemacht hätte. Da muss ich durch. Als ich mich als transgender geoutet habe, waren schließlich auch Leute da, die dachten, ich wolle mich nur wichtigmachen. Solche Stimmen muss ich einfach ausklammern und ignorieren, mit solchen Leuten kann man nicht diskutieren.

Aber immerhin habe ich mit »Die Schatten von Owls End« inzwischen einen Roman auf dem Markt, in dem die Hauptfigur von Anfang an lesbisch ist, das auch weiß und eine heiße Romanze mit anderen Frau erleben darf. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist es, meiner Auffassung nach, einfacher, eine lesbische Liebesgeschichte zu verkaufen als eine schwule, vielleicht, weil die Genrekonventionen der Romantasyliteratur üblicherweise eine weibliche Hauptfigur verlangen und das bei schwulen Protagonisten schwer wird.

Auch wenn wir da noch lang nicht am Ende angekommen sind, die von mir gewünschte Normalität noch lang nicht erreicht ist, sehe ich da gerade auch auf dem deutschsprachigen Buchmarkt erfreuliche Entwicklungen. Homosexualität ist kein Tabu mehr, über das wie in meiner Jugend nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen werden darf, queere Repräsentation ist inzwischen überall zu finden, auch mit Figuren, die transgender sind oder nicht binär oder asexuell – und auch wenn das Ende der Fahnenstange lang noch nicht erreicht ist, auch wen der englischsprachige Markt da schon deutlich weiter zu sein scheint und queere Bücher da erfolgreicher sind als in Deutschland: Die Sache ist in Bewegung. Und zumindest was mich selbst betrifft, lasse ich mich nicht mehr aufhalten. Noch nicht einmal von mir selbst.

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