Aus alt mach neu

Bei Computerspielen ist das schon ganz lang ein Trend: Alte Spiele erscheinen in einer Neuauflage, die den technischen Entwicklungen Rechnung trägt, mit mehr oder weniger überholten Grafiken, und werden damit für ein modernes Publikum wieder spielbar. Was das angeht, warte ich ja schon seit Ewigkeit auf einen Reboot meines bald fünfzehn Jahre alten Lieblingsspiels »Dragon Age – Origins«, zu dem ich meine erste und einzige Fanfiction geschrieben habe. Manchmal sind diese Remakes wirklich eine Offenbarung und gewinnen dem alten Spiel neue Aspekte ab, manchmal stellen sie einen echten Rückschritt dar, und manchmal sind sie virtuell vom Original nicht zu unterscheiden und nur ein Versuch, ein bisschen Geld zu drucken. So oder so, sie sind nicht mehr wegzudenken. Und warum auch nicht? Vielleicht braucht ein Game von 2020 noch kein Remake, aber die Chance, alte DOS-Graphiken, ausgelegt auf eine Bildschirmauflösung von 360×480 Pixeln wieder spielbar zu machen, ist den Versuch zumindest wert.

Aber es ist nicht nur die Technik, die sich in den letzten dreißig Jahren weiterentwickelt hat. Das gilt auch für mich und mein schreiberisches Talent. Ich werde, das habe ich schon mehrmals erwähnt, dieses Jahr fünfzig, und damit ist es an der Zeit für ein paar Rückblicke. Geschrieben habe ich schon vor vierzig Jahren und mehr, sicherlich war ich ein sprachlich begabtes Kind, aber erst im Studium und mit der Anschaffung meines ersten Computers habe ich wirklich große Entwicklungssprünge gemacht, und als ich 1997, parallel zur Diplomarbeit, meinen ersten Roman fertiggestellt habe, dachte ich, jetzt hätte ich es geschafft. Ich wünsche allen Autor:innen, ihren ersten Roman so sehr zu lieben, wie ich das mit »Eine Flöte aus Eis« getan habe.

Und ich bin mir auch nicht böse, das Buch, nachdem ich es dreimal gründlich überarbeitet hatte, bei allen erdenklichen Verlagen, allem, was um die Jahrtausendwende auf dem deutschsprachigen Markt Fantasy veröffentlicht hat, angeboten zu haben. Kein Buch von mir hat auf mehr Verlagsschreibtischen gelegen als mein Erstling, weil ich es wirklich immer und immer wieder versucht habe. Bei Klett-Cotta bin ich allen Ernstes in die engere Wahl gekommen, das war mein ganzer Stolz, und dass mir die damalige Lektorin dann am Ende eine Absage geschickt hat, hat mir zwar das Herz gebrochen, war aber begründet und nachvollziehbar – bis ich irgendwann nicht mehr verstehen konnte, warum die gute Frau überhaupt das Gesamtmanuskrit angefordert hatte. Denn bei aller Liebe, die ich damals für meinen Erstling empfunden habe, musste ich doch zugeben, dass es kein besonders gutes Buch ist.

Bin ich so gut gealtert, oder das Buch so schlecht? Wahrscheinlich ist es beides. Jedenfalls war ich irgendwann an dem Punkt angekommen, an dem ich mich für Elemente dieses Buchs wirklich geschämt habe. Nicht mal stilistisch oder sprachlich – da verwundert es mich nicht, dass ich mich weiterentwickelt habe. Daran habe ich hart gearbeitet, und heute würde ich nicht mehr die ersten anderthalb Seiten in der Vorvergangenheit schreiben, weil ich eingesehen habe, dass das schlechter Stil ist, und den Infodump vom Anfang würde ich heute auch anders verpacken. Dass ich mich handwerklich weiterentwickelt habe, sei mir gegönnt. An der Stelle hätte die Klett-Cotta-Lektorin mit einem Lektorat vielleicht noch eine Menge rausholen und mir etwas beibringen können.

Auch dass das Buch strukturelle Schwächen hat, kann ich mir noch verzeihen. Auch das fällt in die Kategorie »Ich wusste es nicht besser« – dass ich über dem Nebenplot um Felder und das verlorene Königreich Thoria den Hauptplot um die vier magischen Instrumente aus den Augen verloren habe, ist meinem jugendlichen Enthusiasmus, mit dem ich mich in diese Figur verliebt habe, geschuldet. Das war der Hauptgrund, warum die Klett-Cotta-Lektorin das Buch damals abgelehnt hat. Aber tatsächlich ist es nicht der Grund, warum dieses Buch so über alle Maßen mißraten ist. Das ist es an einer Stelle, die ich auch mit meinen einundzwanzig, zweiundzwanzig Jahren hätte verstehen müssen: Diese Geschichte glorifiziert Stalking.

Das Buch beginnt mit den beiden Alifwin Keil und Schwinge – er ein neugieriger, aufgeschlossener Barde, sie eine verbitterte, menschenhassende Jägerin. Ihre Eltern wurden von Menschen getötet, überhaupt benehmen sich die Menschen seit ihrer überraschenden Ankunft in der Welt wie die Äxte im Wald, breiten sich unkontrolliert aus und haben die Alifwin mit Gewalt zurückgedrängt, dass die nun in den tiefen Wäldern Zuflucht gesucht haben. Keil und Schwinge ziehen aus, um vier magische Instrumente zu finden, von denen sich ihr Volk Schutz verspricht, holen sich Hilfe bei den unsterblichen Zauberern, und bis zu der Stelle, wo sich ihnen Zauberer Morren, der seine eigenen Ziele verfolgt, anschließt, ist noch alles im Lot.

Aber dann begegnen sie Lonnìl. Der kommt den Alfiwin zur Hilfe, als sie in einem Gasthaus von drei Menschenmännern belästigt werden, und selbst das ist noch okay. Aber dann findet Lonnìl, dass er sich unsterblich in Schwinge verliebt hat, und folgt der Gruppe so lange, bis Morren (nicht mal Keil oder Schwinge selbst) ihn einlädt, sich ihrer Suche anzuschließen. Schwinge macht schon an der Stelle sehr, sehr, sehr deutlich, dass sie nichts von Lonnìl will, dass sie etwas dagegen hat, dass sie von Menschen begleitet werden – immerhin geht es darum, dass die Alifwin von den Menschen bedroht werden, sie nicht nicht auf einer Mission der Völkerverständigung, sondern suchen etwas, das sie beschützt.

Aber Lonnìl gibt nichts auf Schwinges Nein, respektiert weder es, noch sie, und fährt den Rest des Buches damit fort, sie zu belästigen – so lange, bis Schwinge einsehen muss, dass sie sich in den Menschen geirrt hat, und ihr Leben gibt, um seines zu retten. Was, bittte, ist das für eine Botschaft? Ja, ich war gerade erst Anfang zwanzig, aber ich war schon damals eine Feministin, ich hätte es wirklich besser wissen müssen. Genau in der Zeit hatte ich einen Verehrer, von dem ich nichts wollte, der mich immer wieder angerufen hat und sich nicht abwimmeln ließ, und ich habe mir am Ende nicht zu helfen gewusst, als mein Telefon auszustöpseln und, wenn ich nicht selbst angerufen habe, für niemanden erreichbar zu sein. Ich wusste, wie es ist, belästigt zu werden – und dann war Schwinge die Figur, zu der ich keinen Draht gefunden habe? Mit der ich mich nicht identifizieren konnte, und deren Tod ich nicht beweinen konnte?

Natürlich, das Buch machte sich auch über Lonnìl und seine verhinderten Buhlversuche lustig, und auch Lonnìl war nicht meine Lieblingsfigur. Aber ich habe mit ihm und seinem Verhalten, das ich vielleicht als lächerlich dargestellt habe, aber nie als die Belästigung und das Nachstellen, das es wirklich war, das Buch endgültig ruiniert. Dass von allen Ideen, die ich hatte, ausgerechnet das die erste Geschichte war, die ich fertiggeschrieben habe … Was bin ich froh, wirklich froh, dass am Ende kein Verlag dieses Buch haben wollte, dass ich mein Debüt über zehn Jahre später mit dem »Puppenzimmer« gefeiert habe! So wurde mein Erstling zu etwas, das ans hinterste Ende der Schublade wanderte und von dem ich froh war, dass es dort bleiben sollte – auch wenn meine Mutter manchmal, wenn ich ihr etwas Neues zu lesen gab, anmerkte, dass ihr die »Flöte aus Eis« doch um Längen besser gefallen hätte als das, und warum ich nicht doch nochmal versuchen würde, für dieses Buch einen Verlag zu finden …

Und so vergingen die Jahre, ich schrieb deutlich über ein Dutzend weiterer Romane, manche großartig, manche weniger, einige wurden verlegt, viele nicht – und ich fing an, mich alten Schätzen wieder zuzuwenden, die ich immer noch liebte und nicht loslassen wollte. Als erstes nahm ich mir »Lichtland« vor, meinen Nanowrimo-Roman von 2007, den ich 2015 neu aufzog, wieder vor die Wand fuhr, und 2023 noch einmal hervorholte, um dann festzustellen, dass ich immer noch keinen Plot für die jahrealten Löcher habe. Trotzdem, irgendwann wird das was mit mir und »Lichtland«. In ein paar Jahren vielleicht …

Dann besann ich mich auf meine »Chroniken der Elomaran«. Die überarbeitete ich nicht, aber ich schrieb da weiter, wo ich ein Dutzend Jahre früher aufgehört hatte, brachte den fünften Band zu einem Abschluss und stecke jetzt mitten im sechsten, der vielleicht, wenn alles glatt geht, dieses Jahr einen gewaltigen Sprung in Richtung Ende machen soll. Und dann, wo ich gerade dabei war mit den alten Kamellen, schnappte ich mir die »Kinder des Hauses Otrempa«, bruchgelandet im Nano 2013 und seither plotlos, polierte das Ganze mit einer neuen Liebesgeschichte auf und entfernte diese postwendend wieder aus dem Buch, als meine Agentin nicht zu Unrecht meinte, eine Liebesbeziehung zwischen zwei Ziehbrüdern wäre immer noch zu inzestuös für ein Jugendbuch ab zwölf. Das habe ich also im letzten Jahr nicht nur einmal, sondern gleich zweimal neu geschrieben, und Ideen, wie es weitergehen kann,

Und dann, Ende Dezember 2024, lag ich nachts wach, konnte nicht schlafen, und kam plötzlich auf die Idee, mir die »Flöte aus Eis« noch einmal vorzunehmen. Darin steckten viele Ideen, die ich immer noch mag – die Sammelquest mit den magischen Instrumenten, die Namensmagie der Alifwin, die Korrumpierung des Zauberers Morren, der Verlust Thorias, so viele Elemente, uas denen man ein tolles Buch hätte stricken können, hätte ich vor dreißig Jahren schon das Können von heute gehabt und nicht einen Stalker zum Helden ernannt. Mir kamen gleich Ideen, wo ich ansetzen kann: Wieso sollen ausgerechnet die Eltern von Schwinge, die ich ganzes Leben in den tiefsten Wäldern verbracht hat, getötet worden sein – während auf der anderen Seite Keil mit seinem Stamm aus den Flussauen in die Wälder fliehen musste. Warum ist dann nicht Schwinge die Neugierige, Keil der Traumatisierte? Warum hatte ich das Buch nicht von Anfang an anders aufgezogen?

Am anderen Morgen war mein Entschluss gereift: Dieses Buch schreibe ich nochmal. Ich schreibe es nicht um, ich schreibe es nicht ab – ich will es nicht einmal nochmal lesen, sondern nur auf Basis dessen, was mir als Gut im Gedächtnis geblieben ist, und neuen, besseren Ideen nochmal von vorn anfangen. Ich weiß nichtmal, ob ich mir damit einen Gefallen tue, ob ich nicht meinem zweiundzwanzigjährigen Ich rückwirkend den Erfolg nehme, ein Buch vollendet zu haben. Der große Sir Terry Pratchett hat immer bedauert, seinen Erstling »The Carpet People« als Erwachsener neu aufgezogen zu haben, er meinte, dass das Endergebnis hinter seinen damals aktuellen Stoffen zurückblieb, aber auch nicht mehr das Werk des jugendlichen Terrys war. Aber ich mache mir ja nichts kaputt. Der alte Text bleibt bestehen, die Ur-Flöte, sozusagen. Ich mache nur etwas Neues aus der Idee. Und wenn es nicht gut wird, und wenn es mir nicht gefällt, wird es dem anderen Buch in der Schublade Gesellschaft leisten. Doch wenn es gut wird …

Seitdem schäume ich nur so über vor Ideen, was ich aus dem Buch machen kann. Ich habe den neuen Anfang vor Augen, in dem Keil, genau wie damals, den Namen es Waldes in Erfahrung bringt – aber damals hat er nur beiläufig genickt: So-so, Wälder haben Namen, das ist ja nett … Aber er hat nichts mit diesem mächtigen Wissen angefangen. Jetzt, der neue Keil, der mit Glück in den Wald hat fliehen können, während große Teile seines Stammes ums Leben gekommen sind, gibt dem Wald einen Befehl: Beschütz mich. Woraufhin der Wald das Alifwin-Dorf ein undurchdringliches Dickicht spinnt, durch das niemand hineinkommen kann, aber auch niemand hinaus. Was Schwinge und ihre Jäger gar nicht gern sehen und für Konflikt zwischen den zukünftigen Gefährten sorgt, bevor sie auch nur aufgebrochen sind …

Aber nicht alles wird so einfach. Ich weiß noch nicht, was ich mit meinen Menschen mache. Für Lonnìl hätte ich eine Lösung im Kopf: Wenn es nicht zu einer unerwiderten Liebe kommt, wenn nicht mehr Lonnìl die arme Schwinge stalkt, sondern es zu einer gegenseitigen Anziehnug kommt, hätte Lonnìl einen Grund, sich der Gruppe anzuschließen, diesmal eben nicht gegen den Willen der Alifwin, zumindest nicht gegen Schwinges, und damit kann ich arbeiten. Es darf Spannungen zwischen Keil und Schwinge kommen, aber ich will nicht mehr, dass Morren wie ein Diktator den Alifwin Menschen aufs Auge drückt. Nur fällt es mir schwer, mir einen neuen Lonnìl, der eben kein Stalker mehr ist, vorzustellen … Mal schauen. Und auch, wie ich Felder einbauen soll, ist noch ein großes Fragezeichen.

Dafür überlege ich, ob ich auf die Dauer eine sehr, sehr zarte Romanze zwischen ihm und Keil ins Spiel bringe. Schon bei der allerersten Buchfassung hatte ich mich gefragt, ob Keil vielleicht in Felder verliebt sein könnte – aber weil ich mich damals noch nicht getraut habe, queere Geschichten zu thematisieren, habe ich es bei der Fragestellung belassen und nichts damit angefangen. Jetzt bin ich nicht nur mehr als doppelt so alt, sondern auch out and proud, und ich würde Keil gerne seine Romanze gönnen. Nur ausgerechnet mit Felder, dem Frauenhelden? Das verspricht spannend zu werden …

Im Moment schiebe ich noch Ideen im Kopf hin und her. Das Projekt hat es nicht eilig, niemand wartet darauf, und eh ich das einem Verlag anbiete, muss ich wirklich felsenfest überzeugt sein, dass es nicht nur besser als die erste Version ist, sondern auch nicht schlechter als andere Stoffe, die ich in den letzten Jahren fabriziert habe. Aber wenn ich es schaffe, dann will ich es wirklich wissen. Dann will ich mir auch die niemals fertiggestellte Fortsetzung »Fenoriels Augen« vornehem und, wenn auch aus der etwas werden sollte, den dritten Band, »Durch die Nebelpforte«, den ich 1997 abgebrochen habe, weil ich das Gefühl hatte, ich bin noch nicht bereit dafür. Jeder Band in sich abgeschlossen, jeder Band eine neue Herausforderung … Ich bin keine einundzwanzig Jahre mehr alt. Aber meine Träumen sind immer noch die gleichen.

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