In den Jahren, seit ich mit der Arbeit an den »Chroniken der Elomaran» angefangen habe, habe ich mich in jedweder Hinsicht weiterentwickelt. Damals, Anfang 2000, hatte ich zwar schon mehr als zehn Jahre Schreiberfahrung im Rücken, aber noch nicht wirklich viel zu Ende geschrieben. Ich trat auf der Stelle mit der »Spinnwebstadt«, die ich für mein Opus Magnum hielt und an der ich zu dem Zeitpunkt seit drei Jahren arbeitete, was mir sehr lang vorkam – ich war knapp fünfundzwanzig Jahre alt, ich war ungeduldig, und ich brauchte ein Erfolgsergebnis. Ein Erfolgsergebnis, das war endlich wieder ein fertiges Buch, und ein Buch ist fertig, wenn ich das sage.
Heute steht die »Spinnwebstadt« als ein einziger Roman in meinem Werkeverzeichnis, aber damals, als ich daran schrieb, war sie ein Vierteiler. Das hatte einen ganz einfachen Grund: Wenn ich wollte, dass jemand meine Bücher las – also zum Beispiel meine Mutter oder mein Freund – dann druckte ich ihnen ein Exemplar aus, hübsch formatiert und im A5-Format, damit man es gut in die Hand nehmen konnte, und ging damit in den Copyshop, wo ich das Ganze binden ließ. Heißleimklebebinung, lautete das Zauberwort, Kostenpunkt um die 6 D-Mark pro Band – und mit einem begrenzenden Faktor. Lag ein Buch deutlich über 200 Seiten, fiel es nämlich beim Lesen auseinander. Und das wollte ich nicht.
Meinen Erstling, »Eine Flöte aus Eis«, ein Buch von ungefähr 400 Seiten, musste ich also in zwei Teile hacken und so binden lassen, aber es ärgerte mich, dass das ein willkürklicher Cut nach sieben Kapiteln war und keine richtigen Teile mit eigenem Spannungsbogen, und als ich mich dann an die »Spinnwebstadt« machte, teilte ich den Plot in vier Bände auf, jeder irgendwo zwischen 200 und 250 Seiten, und freute mich entsprechend, wenn ich einen Teil fertig hatte, jeder von ihnen ein Erfolgserlebnis. Und so gewöhnte ich mich daran, dass ein ordentliches Buch ungefähr 200 Seiten hat.
So ging ich dann auch an »Engelsschatten« heran, das erste Elomaran-Buch. Ich hatte einen Lauf, schrieb nahezu jeden Tag an dem Buch, mal drei handschriftliche Seiten, mal fünf, und als der Oktober kam, hatte mein Buch 271 Seiten, und ich erklärte es für beendet. Nicht, weil die Handlung irgendwie am Ende gewesen wäre, aber weil ich wusste, mehr kann ich im Copyshop nicht binden lassen. Nach diesen 271 Seiten hatten Halan und Alexander zwar immer noch keine Ahnung, was wirklich mit Alexanders Krone passiert war, aber dafür einen ganz wundervollen Cliffhänger. Und Cliffhänger, das wusste ich, waren das A und O, um einen Fantasyroman aufhören zu lassen.
Ich war aufgewachsen mit den Fantasyromanen, die in den Achtzigern und Neunzigern in Deutschland veröffentlicht wurden – und diese Bücher, ob sie nun bei Goldmann erschienen, bei Heyne oder bei Bastei Lübbe, hatten alle etwas miteinander gemeinsam: Es waren Übersetzungen aus dem Englischen. Und weil englische Texte in deutscher Übersetzung länger werden, und weil Fantasyliteratur schnell und billig produziert wurde und die Verlage ihre Leser:innen nicht für voll nahmen, wurden diese Bücher für den deutschen Markt in mehrere Teile zerhackt. Ein englisches Buch ergab im deutschen zwei, drei, manchmal sogar vier Bände (z.B. bei Robert Jordans »Wheel of Time«), und die Cuts waren nicht weniger willkürlich als meine »Flöte aus Eis« in zwei Teilen.
Nach einem Kapitel war plötzlich Schluss, und man musste auf das Erscheinen des nächsten Bandes warten – und so lernte ich, dass Fantasyromane immer aufhören, wenn es gerade am Spannendsten ist. So hatte ich meine »Spinnwebstadt« geschrieben, und so endete auch »Engelsschatten« mitten im entscheidenden dialog. Ich hatte immerhin einen geschlossenen Plotbogen drin, weil es kurz vor dem Schluss zwischen Halan und Alexander gefunkt hatte und ich damit für das Buch sozusagen ein Happy End – aber der Hauptgrund, dieses Buch für beendet zu erklären, war wirklich, dass ich die äußerste Grenze erreicht hatte, was mein Copyshop würde binden können.
Aber danach passierte etwas. Ich hörte auf, meine Bücher in den Copyshop zu tragen, um sie unters Volk zu bringen. Stattdessen reichte es mir aus, das Buch online zu stellen, und damit war die Seitenbegrenzung weg. Bis das zweite Elomaran-Buch, »Schwanenkind«, fertig war, vergingen nicht weniger als fünf Jahre, wohnte ich nicht mehr in Köln, arbeitete nicht mehr direkt neben einem Copyshop, und die Seitenzahlbegrenzung war weg. Das Ende von »Schwanenkind« bedeutete, Halan und Alexander für die nächsten beiden Bände den Rücken zu kehren, und so bekam dieses Buch einen viel geschlosseneren Schluss. Immer noch ungewiss, aber so, dass man sagen konnte »Ja, das ist ein Ende«.
384 handschriftiche Seiten hatte der zweite Band, war damit mehr als hundert Seiten länger als der erste und entsprach damit mehr der gesamten »Flöte aus Eis« denn den Einzelteilen der »Spinnwebstadt« – die ich inzwischen überarbeitet, gekürzt und in einem Band zusammengefasst hatte. Zu dem Zeitpunkt arbeitete ich bereits seit drei Jahren am dritten Band, »Dämmervogel« – kein Problem, das sind ja voneinander völlig unabhängige Handlungszweige -, und bis dieses Buch dann 2008 fertig war, hatte ich eine neue Möglichkeit gefunden, meine Bücher auszudrucken und unters Volk zu bringen: Nicht mehr auf dem privaten Tintenstrahldrucker ausgedruckt, nicht mehr im Copyshop gebunden, sondern ganz professionell, selbstverlegt bei Lulu.com.
Und als »Dämmervogel« erst nach nicht weniger als 429 handschriftlichen Seiten sein Ende erreichte, grämte ich mich nicht weiter. 429 Seiten, das war kein Problem für Lulu.com, und dass ich hier deutlich länger war als der erste Band, störte mich nicht gewaltig. Das dritte Buch endete an genau der richtigen Stelle, ich liebte es, und so machte ich mich an die Arbeit am vierten Buch, »Falkenwinter«. Das wurde dann nochmal länger. 537 Normseiten hatte das Manuskript, das ich am Ende meiner inzwischen gefundenen Agentur schickte.
Eine gute Länge für ein Fantasybuch, das in einem deutschen Verlag erscheinen sollte – wo inzwischen, 2010, auf Fantasy deutschsprachiger Autor:innen erschienen, wo Mehrteiler nicht mehr in noch mehr Teile zerhackt wurden, und wo die Bücher ruhig ein bisschen länger sein durften. Nicht die Länge von »Falkenwinter« erschien mir problematisch – aber dass »Engelsschatten« ein bisschen zur kurz war im Vergleich, das ging mir schon auf. »Engelschatten« war nur halb so dick wie »Falkenwinter«, der Schluss vielleicht doch zu abgehackt, und ich ahnte, das würde sich noch als Problem herausstellen.
Aber das Hauptproblem zu dem Zeitpunkt war nicht mal die Länge der einzelnen Bände, sondern der Gesamtumfang der Serie. Ich war eine unveröffentlichte Autorin und gab die Anzahl Bände der »Chroniken der Elomaran« mit »acht bis zehn« an. Verlage lachten mich sehr höflich aus für diesen Größenwahn, und keiner kaufte die Reihe. Meine Agentin schlug vor, die Reihe umzukonzipieren und eine Trilogie drauszumachen oder, allerlängstensfalls, einen Fünfteiler, aber besser wirklich eine Trilogie. Ich versuchte es wirklich. Überlegte, »Engelsschatten« und »Schwanenkind« zu einem Band zusammezufassen, »Dämmervogel« und »Falkenwinter« zum zweiten, und dann der Geschichte, die doch eigentlich gerade erst angefangen hatte, ein Ende zu verpassen, aber es funktionierte nicht.
Da konnte ich noch so viel geplante Plotelemente in die Tonne treten – und tat der Stringenz der Geschichte damit wirklich gut – aber es wurde keine Trilogie mehr draus. Und wo »Engelsschatten« und »Schwanenkind«tatsächlich als ein Buch funktionieren würden, waren »Dämmervogel« und »Falkenwinter« waren zu lang zum Zusammenpacken, zusammen an die tausend Seiten, ich sah kein ausreichendes Kürzungspotenzial, und beschloss, es in zwei Bänden zu lassen – aber ich wollte, dass ich gleich viele Bücher über Alexanders und Varyns Teil der Geschichte haben sollte, und mit nur noch einem Band Alexander auf zwei Bände Varyn verlor ich meine geliebte Symmetrie.
Vielleicht hätte ich anders gearbeitet, eine funktionierende Lösung gefunden, hätten wir einen Verlag an der Hand gehabt, das die Reihe als Drei-, Vier- oder Fünfteiler wirklich hätte machen wollen. Aber auch zu diesen Konditionen fanden wir keinen. Und so versuchte meine Agentin es stattdessen mit anderen Büchern von mir, und ich hörte auf, an den »Elomaran« zu schreiben. Und so vergingen dann zwölf Jahre. Zeit, in der ich mich weiterentwickelte, in der ich mehrere Bücher veröffentlichte, darunter mit der »Neraval-Sage« immerhin einen Dreiteiler. Da endete auch der erste Band mit einem zu scharfen Cliffhänger, und da war mir auch der dritte Band so komplett aus dem Ruder gelaufen, dass ich für die Veröffentlichung fast 200 Seiten hatte rauskürzen müssen.
Nicht nur ich selbst hatte seit »Engelsschatten« mehr als dreißig Kilogramm zugenommen, auch meine Bücher hatten gewaltig an Umfang zugelegt. Und als ich dann 2023 die Arbeit am fünften Elomaran-Buch, »Zornesbraut«, wieder aufnahm, zeigte sich schnell, dass es ein langes Buch werden würde. Nicht so lang wie »Das gefälschte Land« – so ein langes Buch will ich nie wieder schreiben – aber doch nochmal mehr als hundert Seiten länger als »Falkenwinter«. So wurden es am Ende 645 Normseiten. Ein Dickerchen. Keine unzumutbare Länge für einen Fantasyroman – aber in keinem Verhältnis mehr zum ersten Band. Ziemlich genau so lang wie »Engelsschatten« und »Schwanenkind« zusammen.
Und jetzt muss ich mich fragen, was ich mit der Reihe machen will. Ich habe inzwischen beschlossen, dass es acht Bände werden soll – ja, das ist ehrgeizig bis größenwahnsinnig, aber die Reihe braucht es. Acht, das ist die Zahl der Engel, das ist die perfekte Bandzahl für die Elomaran. Das heißt, noch drei Bände, und ich bin fertig. Die Bände sechs, sieben und acht sollen alle vom Umfang ungefähr da liegen, wo auch Band Fünf steht. Nur, was mache ich mit den anderen Teilen? Versuche ich, »Engelsschatten« auszuwalzen, damit es nicht so hinter den späteren Bänden abstinkt? Fasse ich es doch mit »Schwanenkind« zu einem Band zusammen, und muss dann erklären, weswegen dann »Dämmervogel« mit seinen 429 Seiten so viel kürzer ist?
Wie man’s macht, macht man’s verkehrt. Ich will die Entscheidung erst mal vor mir herschieben, die Reihe zu Ende schreiben, und dann weitersehen. Vorher will ich die Reihe nicht anbieten, sie hat, vor allem in den ersten Bänden, so hohen Überarbeitungsbedarf, dass ich das en Block überarbeiten können will. Ich kann kein 23 Jahre altes Manuskript auf den Markt loslassen, und beim Abschluss der »Neraval-Sage« habe ich sehr drunter leiden müssen, dass die ersten beiden Bände schon auf dem Markt waren und sich nicht mehr überarbeiten ließen. Die Elomaran, mein Opus Magnum, sollen so perfekt und so rund wie möglich sein, wenn sie auf den Markt kommen. Und wenn dann der Auftaktband am Ende was dünner ist – vielleicht ist das im Sinne des Anfixens gar nicht so schlecht.