Hier kommt mein persönlicher Abschlussbericht zum PAN-Stipendium, bei dem ich dieses Jahr in der Kategorie »Debüt« in der Jury sitzen durfte. Da heute auf der Frankfurter Buchmesse die Preisträger:innen bekanntgegeben wurden, darf ich endlich mein Schweigen brechen und ganz herzlich gratulieren.
Nachdem ich innerhalb von acht Wochen nicht weniger als 106 Debüt-Romane durchgesehen und meine Bewertung dazu beim Jurybüro abgegeben, war die Arbeit noch lange nicht am Ende. Denn jetzt galt es nicht nur, zusammen mit den anderen Debüt-Juror:innen die Shortlist unserer eigenen Kategorie zu erstellen, sondern auch die Shortlists der anderen Kategorien durchzusehen. Sprich, noch mehr Leseproben und Exposés, die ich dann in meine persönliche Reihenfolge bringen durfte.
Für die Debüt-Shortlist haben wir uns in einem Zoom-Call zusammegesetzt und so lange diskutiert, bis wir auf zehn Titel runter waren. Zehn Titel, das klingt wie eine echt lange Shortlist, und wir hatten auch von allen Kategorien die längste, aber vier Juror:innen bewerten völlig unterschiedlich, wir hatten noch deutlich mehr Lieblingsbücher, die es am Ende nicht auf die Liste geschafft haben, und am Ende haben es zum Beispiel von meinen drei absoluten Favoriten nur zwei (aber immerhin zwei) auf die Shortlist geschafft, während sich an meinem dritten Lieblingsbuch die Geister so sehr schieden, dass es dafür nicht gereicht hat – und das galt entsprechend auch für Lieblingsbücher anderer Juror:innen.
Das wollte ich eigentlich schon laut sagen, als vor ein paar Wochen dann die Shortlists veröffentlicht wurden: Auch diejenigen, die es nicht drauf geschafft haben, müssen sich nicht grämen. Da waren so viele, so tolle Bücher dabei, dass wir einfach gewaltig sieben mussten. Und natürlich spielen auch immer die persönlichen Vorlieben der Juror:innen mit rein. So sehr man sich bemüht, objektiv zu beurteilen, kommt doch natürlich auch der eigene Geschmack ins Spiel. Dieses Buch, das mich so geflasht hat und mit dem andere in der Jury weniger anfangen konnten, war faszinierend geschrieben, aber hoch experimentell, spielte vielleicht etwas zu sehr mit Perspektiven und hatte ein absolut surrealistisches Setting, und wie in der bildenden Kunst kann nicht jede:r mit Surrealismus etwas anfangen. Ich fand es großartig, hatte aber damit gerechnet, dass es für den Titel schwer werden könnte, und ich sollte recht behalten.
Mein zweites Lieblingsbuch, das es dann auch auf die Shortlist geschafft hat, hat mich vor allem der Weltenbau begeistert. Da wurde auf den wenigen Seiten der Leseprobe die Welt derart lebendig, dass ich sie fühlen konnte und wirklich froh sein, dort nicht leben zu müssen – und sprachlich toll war das Ganze noch dazu. Bei meinem dritten Lieblingstitel stimmte für mich dann alles – es war gut geschrieben und zu lesen, hatte ein fesselndes Setting, auch ein paar abstrakte Elemente, und vor allem eine wirklich originelle Grundidee. Und bei den beiden Büchern konnte ich meine Mitjuror:innen dann auch mit ins Boot holen.
Alles in allem haben wir an dem Tag bestimmt zwanzig Titel mehr oder weniger heiß diskutiert. Sylvia Rieß, die Koordinatorin des Projekts, hatte uns im Vorfeld eine Midlist geschickt, auf neben den drei Lieblingsbüchern der Juror:innen auch die Titel aufgeführt waren, die im Durchschnitt die höchsten Punktzahlen bekommen hatten. Und da waren dann auch Titel dabei, die keine:r von uns für die engere Wahl auf dem Schirm gehabt hatten, die von jede:r, aber dafür eben jede:r, eine nur leicht überdurschnittliche Punktzahl bekommen hatten, während bei den persönlichen Top Drei eben Bücher dabei waren, die von anderen nur wenige Punkte erhalten hatten.
So wurden Bücher, die keinem von uns wirklich viel bedeuteten, schnell verworfen – es ist einfach so, dass man von 106 Büchern nicht alle mag, und viele sind dann von der Sorte, die man liest, nicht liebt und nicht hasst und die einfach keinen Platz im Herzen erobern, ohne dass sie jetzt schlecht gemacht, schlecht geschrieben, schlecht geplottet wären. Bei anderen haben wir lange diskutiert, aber auch wenn wir nicht immer einer Ansicht waren, sind wir uns nicht an die Gurgel gegangen, immer bei der Sache geblieben, und uns freundlich und respektvoll begegnet: Natürlich standen da Lieblingsbücher auf dem Spiel, aber wir haben uns gegenseitig ernst genommen, uns es sind keinerlei Fetzen geflogen.
Die Shortlist war dann ein echtes Gemeinschaftswerk: Einige Titel, die für mich Kompromisse waren dafür, dass ich an anderer Stelle meine Favoriten durchgeboxt hatte, und mit denen ich persönlich nicht ganz so viel anfangen konnte, waren ebenso dabei wie Titel, die ich erst zwar nicht auf dem Schirm hatte, bei denen ich aber dann im Dialog doch verstanden habe, dass ich sie eigentlich doch ganz gern hatte. Und dann eben ein paar, die ich richtig, richtig toll fand und denen ich den Sieg wünschte. Aber die Entscheidung lag nicht mehr nur in unserer Hand.
Wie schon oben geschrieben, wurden alle Shortlists von allen Juror:innen, allen sechzehn, durchgehen und in eine Rangfolge gebracht. Auf die Weise habe ich einen Einblick bekommen, was in den anderen Kategorien eingereicht worden ist – auch wenn ich, zugegeben, froh war, nach 106 Debütromanene dort nur noch die Titel der Shortlist durcharbeiten zu müssen und nicht auch noch die Bücher, die es nicht in die engere Wahl geschafft haben. Auch wenn ich mir sicher war, dass auch da bei den Aussortierten echt gute Bücher gewesen wären, die eben das Pech hatten, nicht vier Juror:innen auf einmal überzeugt zu haben.
Aber auch wenn es wirklich viel Arbeit war, auch wenn ich in der Zeit so viel mehr gelesen habe als wie ganzen restlichen Jahr zusammen, hatte ich wirklich einen großen Spaß mit den Einsendungen. Ich habe mich querbeet durch Genres gelesen, mit denen ich sonst weniger Berührungspunkte hatte, und habe mich in Bücher verliebt, von denen ich das nie erwartet hätte – und war umgekehrt auch von ein paar Titeln enttäuscht, die ich eigentlich lieben wollte, auch das kann passieren. Nicht immer bilden Exposé und Titel eine Einheit, kann das eine halten, was das andere verspricht, und umgekehrt. Trotzdem habe ich jetzt schon bei PAN angemeldet, dass ich gerne noch mal die Debüt-Jury machen würde. Das wird nicht im nächsten Jahr passieren, die Jurys sollen jedes Jahr wechseln, und das ist wichtig, damit frische Augen frischen Wind reinbringen, aber zu einem späteren Zeitpunkt stehe ich gern wieder zur Verfügung.
Doch die Durchsicht der Shortlist-Titel brachte in meinem Fall auch Probleme mit sich. Ich habe nämlich Manuskripte wiedererkannt – es haben sich einfach so viele Tintenzirkler:innen beworben, deren Projekte ich wiedererkannt habe. Allein vier Bücher kannte ich aus den Nanowrimo-Boards der letzten Jahren, eines hatte um Hilfe bei der Exposéerstellung gebeten und einer nach Vergleichstiteln gesucht, und in all diesen Fällen kannte ich in meiner Funktion als Admin nicht nur die Spitznamen der Autor:innen, sondern auch noch die Realnamen dahinter – ein No-go bei einem Stipendium, bei dem die Manuskripte anonym, völlig unabhängig von den Einsendenden, bewertet werden sollten.
In meiner Debüt-Kategorie habe ich den so erkannten Büchern keine Punkte gegeben und ins Anmerkungsfeld geschrieben, dass ich sie erkannt habe. Da wurde dann eine Durchschnittspunkzahl gebildet, für die dann die von mir nicht bewerteten Bücher einfach nur durch drei statt vier geteilt wurden. Also kein so großes technisches Problem. Aber bei den Shortlists wurde es dann deutlich schwerer, weil mit einer Rangfolge gearbeitet wurde statt mit Punkten – und ich wollte weder komplett befangen meinen Freund:innen den Preis zuschustern, noch sie abwerten und auf den letzten Rang setzen müssen. Ich habe also jeweils zwei Listen erstellt – eine persönliche Rangfolge aller Titel, bei der ich die identifizierten Bücher gekennzeichnet habe, und eine zweite, bei der ich diese Bücher komplett weggelassen habe. Das Jurybüro hat dann ein System entwickelt, diese Listen auszuwerten, ohne dass sich mein Bias zum Vor- oder Nachteil ausgewirkt hätte. Es tut mir leid, dass ich da so viel Zusatzarbeit verursacht habe!
Und bei einem Buch war ich wirklich, wirklich, wirklich befangen. Das muss ich ganz offen sagen. Ich habe Malinche sowas von den Sieg gewünscht – das Buch war toll, das war der Hauptgrund, aber ich konnte das nicht mehr trennen davon, dass ich Malinche auch als Mensch toll finde, sie ist seit Jahren Moderatorin im Tizi, sie schreibt phantastische Bücher, denen ich den allergrößten Erfolg wünschte – und ich war echt froh, als sie auch ohne meine Stimme tatsächlich die Kategorie Roman gewonnen hat.
Das muss ich nämlich loswerden: Auch wenn sechzehn Juror:innen noch mal mehr Meinungen mitbringen als viere, haben in drei von vier Katogorien die Titel gewonnen, die ich selbst auf den ersten Platz gesetzt habe, und in der vierten immer noch ein Buch, das ich gern mochte. Neben Malinches Sieg habe ich mich ganz besonders über den Siegertitel meiner Debüt-Kategorie gefreut. Das war eines meiner absoluten Lieblingsbücher, dem ich von Anfang an alle Daumen gehalten habe, und ich habe es so toll gefunden, dass ich mich gemeldet habe, dafür das Mentoring zu übernehmen.
Ja, es geht für mich noch weiter mit diesem Stipendium. Das Schöne am PAN-Stipendium ist ja, dass es nicht nur Geld gibt, sondern auch ein Mentoring mit einem erfahrenen Buchmenschen, und ich habe mich sehr gefreut, als ich im Life-Stream gehört habe, dass »mein« Buch noch nicht fertig und in der Überarbeitungsphase ist, sondern über die Leseprobe hinaus noch nicht viel Text steht: An der gleichen Stelle war ich, als ich vor zwei Jahren das Stipendium gewonnen habe, und ich weiß, dass ich an der Stelle hilfreich zur Seite stehen kann, nicht nur bei Plotproblemen helfen, sondern auch bei dem Druck, mit dem Stipendium im Rücken auf Knopfdruck das beste Buch der Laufbahn abliefern zu müssen.
An dieser Stelle einen herzlichen Glückwunsch an alle Preisträgerinnen! Gewonnen haben: Sabrina Železný mit »Salz und Asche« (Roman), Kathrin Tordasi mit »Die Vögel von Paris« (Kinder- und Jugendbuch), Helen Winter mit »SAM« (Climate Fiction) und Crísdean McRagin mit »Das Krematorirum der guten Ideen«. Mögen sie sich als würdige Stipendiat:innen erweisen, eine tolle Zeit haben und nicht wie ich unter dem Druck des Stipendiums zusammenklappen. Das Stipendium ist eine Hilfestellung, keine Krücke – macht das Beste draus, habt Spaß, und schreibt tolle Bücher!
Nawww, Maja, danke für deine lieben Worte! Ich freue mich auch schon sehr darauf, das »Krematorium« mit dir zusammen in die Realität umzusetzen!
– Crìs
Die Freude ist ganz auf meiner Seite! Ich habe dir so sehr die Daumen gedrückt und freue mich, dass es geklappt hat!
Danke für die Einblicke zu deiner Juryarbeit – und dass du auch transparent machst, wie ihr mit von dir erkannten Titeln umgegangen seid! Mir war vor dem Event gestern auch gar nicht klar, dass die finalen Ergebnisse kategorienübergreifend ermittelt werden, das finde ich aber einen tollen Ansatz (und bin umso geflashter, dass mein Roman es geschafft hat).
Und natürlich auch danke für deine lieben Worte! <3