Zweieinhalb Jahre ist es jetzt her, seit ich mich in diesem Blog als trans/genderfluid offenbart habe, und seitdem sind einige Dinge passiert – genug Dinge, um jetzt das Thema noch einmal aufzugreifen und zu erzählen, wie es danach weitergegangen ist.
Vieles hat sich nicht geändert. Manchmal bekomme ich eine Mail, die mich mit »sehr geehrte:r Maja Ilisch« anredet, und dann freue ich mich ein bisschen, weil sich da jemand Gedanken gemacht hat und sich auf mich vorbereitet – aber ich fühle mich dann auch irgendwie schlecht, weil ich jemandem Aufwand und Umstände bereitet habe. Und Aufwand und Umstände sind auch das Hauptthema dieses Artikels.
Mir war es wichtig, meine Geschlechtsidentität bekannt zu machen, um aus der Frauenschublade rauszukommen, das war mir ein Anliegen – aber ich betrachte diese Identität als eine so persönliche Sache, dass ich auch nicht wollte, dass sie eine Auswirkung auf andere haben sollte. Da wollte ich ein ganz pflegeleichter trans Mensch sein. Habe also allen Leuten versichert, dass sich für sie nichts ändert, dass ich ja jetzt nicht ein anderer Mensch werde, sondern nur sein will, wer ich schon immer war. Ich habe meinen weiblichen Namen behalten, ich höre weiterhin auf weibliche Pronomen und Artikel, ich will es allen ganz, ganz einfach machen, in der Hoffnung, dass es ihnen dann ohne große Umstellung leichter fällt, mich zu akzeptieren …
Und so habe ich auf sehr viele Menschen Rücksicht genommen, nur nicht auf den einen, auf den es ankommt: Mich selbst, nämlich. Ich habe in vorauseilendem Gehorsam Rücksicht genommen auf angenommene Befindlichkeiten, ohne es jemals anders versucht zu haben. So tief geht das, dass ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt Probleme habe, meine sexuelle Identität wirklich zu verstehen. Vielleicht bin ich gar nicht genderfluid. Vielleicht empfinde ich mich doch mehr als Mann, vielleicht würde ich gern als einer leben – aber ich habe mich so darin eingefahren, pflegeleicht und genderfluid zu sein, niemandem wehzutun, von niemandem eine Umstellung zu erwarten, dass es mir schwer fällt, meine eigenen Gefühle und Bedürfnisse aus dieser Rücksichtnahme rauszurechnen und klar zu sagen »Ich bin« oder »Ich will«.
Manches kann ich ziemlich eindeutig sagen. Ich möchte, zum gegenwärtigen Zeitpunkt, keine geschlechtsangleichenden Eingriffe an mir vornehmen lassen. Zum einen habe ich echt panische Angst vor Operationen. Zum anderen, und das ist noch wichtiger, bin ich mit meinem Körper im reinen, einschließlich meiner primären und sekundären Geschlechtsmerkmale. Ich bin froh, dass das so ist. Ich habe keinen Leidensdruck durch Gender Dysphoria, und ich weiß, dass sich nicht jeder trans Mensch operieren lässt. Ich fühle mich nicht rundum wohl in meinem Körper, aber es ist mein Gewicht, mit dem ich hadere, nicht meine Brüste. Ich akzeptiere sie als einen Teil meiner Selbst, und ich denke sogar, ich würde sie vermissen. Und wenn ich ein Mann wäre: mit meinem Gewicht hätte ich wahrscheinlich immer noch welche. Dann doch besser so.
Anders verhält es sich mit der Frage nach Testosteron. Da fehlt mir einfach die Vergleichsbasis. Ich weiß nicht, wie ich mich mit mehr Testosteron im Körper fühlen müsste, oder ob ich mich dann männlicher fühlen würde. Ich vermisse es, manchmal bitterlich, keinen Bartwuchs zu haben – da würde Testosteron helfen. Aber auf der anderen Seite habe ich Angst, dass es zu sehr in meinen Gefühlshaushalt eingreifen würde, dass ich am Ende nicht mehr ich selbst wäre. Ich bekomme schon eine Menge Psychopharmaka, sie sind nötig, damit ich keine ständigen Psychosen erleide und schlafen kann – ich glaube, das reicht mir zum gegenwärtigen Zeitpunkt an Medikamenten, die in meinen Hormonstoffwechsel eingreifen. Mal abgesehen davon, dass ich mich in den Wechselahren befinde und sich mein Verhältnis Testosteron zu Östrogen im Körper gerade sowieso verändert.
Aber das sind nur die körperlichen Aspekte, und mein Körper hat mir niemals viel bedeutet. Über weite Teile meines Lebens habe ich gelernt, meinen Körper zu ignorieren, in einem Maße, dass es mir schwerfällt, ihn zu hören, wenn er mal wirklich etwas zu sagen hat. Das kommt mir jetzt in meinem Transsein entgegen, geht aber ursprünglich auf meine Neurodermitis zurück, auf den quälenden Juckreiz, den ich nur rausrechnen konnte, wenn ich den Rest des Körpers gleich mit ignorierte. Ich habe gelernt, auf die harte Tour, mich einfach zu kratzen, wenn es mich juckt, und erobere mir langsam meinen Körper zurück. Aber die meiste Zeit über ist er nur ein Anhängsel an meinem Gehirn. Dass dieser Körper dann eher weiblich als männlich aussieht – das nehme ich wahr. Aber es ist weniger relevant für mich.
Aber dass ich meinen weiblichen Körper akzeptiere, heißt nicht, dass ich eine weibliche Rolle akzeptieren möchte. Eigentlich nicht einmal temporär. Vor zweieinhalb Jahren dachte ich noch, ich fühle mich manchmal weiblich, manchmal männlich und manchmal neutral, aber tatsächlich schwankt es zischen neutral und männlich, mit Tendenz zu männlich. Und die weiblichen Pronomen, die ich der Einfachheit halber weiter verwendet habe, stören mich zunehmend. Ich habe zwar erklärt, dass ich männliche und weibliche Pronomen verwende, aber das ist nur in der Theorie. In der Praxis verwenden die Leute die weiblichen Artikel, die zu meinem weiblichen Namen passen. Und da stehe ich jetzt, und habe ein Problem.
Ich mag meinen Namen. Das tue ich wirklich. Es ist ein Frauenname, aber es ist vor allem mein Name. Er ist ein Teil meiner Identität. Nur verhindert er jetzt, dass ich einen anderen Teil meiner Identität ausleben kann. Was tue ich jetzt? Bestehe ich auf »Maja, er«? Dann habe ich es mit einer Kombination zu tun, die nicht nur für andere sperrig wirkt, sondern auch in meinen eigenen Ohren falsch klingt. Bleibe ich bei »Maja, sie«, stört mich das falsche Pronomen zunehmend. Und so überlege ich jetzt tatsächlich, obwohl ich niemals vorhatte, meinen Namen zu ändern. Zumindest im Tintenzirkel möchte ich einmal ausprobieren, wie es sich anfühlt, mit einem Männernamen und männlichen Pronomen angesprochen zu werden.
Aber noch ist es mir nicht gelungen, einen Namen zu finden, von dem ich so gut sagen kann »Ja, das bin ich«, wie ich das mit meinem richtigen Namen kann. Daran hakt es gerade also noch. Nur, wenn ich einen gefunden habe – dann werde ich die Rücksichtnahme in den Wind schießen, meine eigneen Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellen und sagen »Ich weiß, das ist jetzt eine Umstellung, aber bitte nennt mich so, und bitte achtet auf den Artikel.« Im Tintenzirkel muss ich vor niemandem Angst haben. Wir haben einige Mitglieder, die trans sind und im Forum ihren Namen geändert haben, und damit ist noch jeder klargekommen. Da falle ich niemandem zur Last, das weiß ich. Da werde ich, auch das weiß ich, akzeptiert, egal was oder wer ich bin.
Aber das Leben besteht nicht nur aus dem Tintenzirkel. Da ist auch eine Welt draußen, und in der habe ich, unter meinem richtigen Namen, Bücher veröffentlicht. Ich habe hart daran gearbeitet, mir einen Namen zu machen, und jetzt, mit dem Erfolg von »Unten«, fängt das gerade an, ein bisschen abzuheben. Will ich riskieren, noch mal bei Null anfangen zu müssen? Aber ist es mir nicht das Wichtigste, nach außen eben nicht mehr als Frau wahrgenommen zu werden? Es ist nicht einfach. Und es wird noch schwerer. Da ist nämlich, völlig unabhängig von meinen Veröffentlichungen, noch die Tatsache, dass ich einen Partner habe. Und was immer ich in meinem Leben für Veränderungen einfordere, betrifft auch ihn.
Für die Liebe zu meinem Mann macht es keinen Unterschied, ob ich selbst ein Mann, eine Frau oder irgendwas dazwischen bin. Ich weiß seit dreißig Jahren, dass ich bisexuell bin. Aber mein Mann ist es nicht, und ebenso wenig, wie ich wollen würde, dass irgendjemand an meiner sexuellen Orientierung rüttelt, möchte ich das mit seiner tun. Ich will ihn nicht verlieren. Ich will aber auch nicht nur für ihn etwas sein müssen, das ich nicht bin. Wir sind seit fünfundzwanzig Jahren zusammen, wir haben schon die eine oder andere Hürde genommen – aber eine Hürde ist das. Das will ich nicht kleinreden.
Bis jetzt, so wie ich es für mich arrangiert hatte, pflegeleicht, machte es für ihn keinen Unterschied. Aber wenn ich sage »Das reicht mir so nicht mehr«, wenn ich den nächsten Schritt gehe und vielleicht dann noch mal dreie – dann wird es einen Unterschied machen. Da müssen wir eine Lösung finden. Und das werden wir auch. Ich vertraue uns. Und freue mich, wenn mir mein Mann per Textnachricht eine Idee für einen hübschen Männernamen schickt, der ihm noch eingefallen ist und der echt gut zu mir passen würde.
Aber ich bin es leid, mich zurückzustellen. Ich bin bereit, sperrig zu sein, wenn ich dafür mich selbst so leben kann, wie ich es möchte. Und ganz ehrlich? Ich tu ja auch niemandem weh, wenn die sich einmal einen anderen Namen merken müssen und darauf achten, das richtige Pronomem zu erwischen. Aber ich hadere mit meinem Geschlecht seit vierzig Jahren, hadere mit der Rolle, die man mir damit zugedacht hat, und ich habe die Welt vierzig Jahre lang geschont, mich angepasst und zurückgenommen – dann kann die Welt jetzt auch einmal etwas tun, um mir entgegenzukommen.
Was wird also jetzt passieren? Wie geht es weiter? Und was wird mein neuer Name? All das kann ich gerade noch nicht sagen. Dafür sind es zu viele Dinge, die ich selbst noch nicht klar benennen kann, und zu vieles geht in meinem Kopf drunter und drüber. Da gibt es verschiedene Dinge, die würde ich gerne im Rahmen einer Psychotherapie besprechen, bevor ich Entscheidungen treffe, die langfristige Auswirkungen auf mich haben. Die letzte Therapie, die ich gemacht habe, liegt mehr als 15 Jahre zurück, ich dürfte also mal wieder, aber Therapieplätze sind schwer zu kriegen, und da kommt wieder diese ungesunde Rücksichtnahme ins Spiel – ich habe eigentlich, auch aus anderen Gründen, eine Therapie bitter nötig, aber ich möchte niemandem, dem es schlechter geht als mir, einen Platz wegnehmen. Ich weiß, ich muss lernen, auch mal an mich selbst zu denken. Aber es fällt mir einfach schwer. Und deswegen stehen auch hier jetzt Sachen, die meine Geschlechtsidentität betreffen, in den Sternen, weil ich dafür erst andere psychische Baustellen abarbeiten muss.
Auch mit meinen Eltern möchte ich reden, um sie mit ins Boot zu holen. Ich habe bislang mein Coming Out nie mit ihnen thematisiert – es sollte ja keinen Unterschied machen, es ändert sich ja nichts für sie, ich bleibe immer noch ihr Kind … Und so war ich out gegenüber aller Welt und der Wikipedia und weiß bis heute nicht, inwieweit das bei meinen Eltern angekommen ist. Vielleicht wird es auch einfacher, wenn ich mich klar zu einer männlichen Identität bekenne und der Eiertanz, Genderfluidität erklären zu müssen, ein Ende hat. Ich weiß, ich muss vor meinen Eltern keine Angst haben, und sie werden mich als Menschen immer akzeptieren. Auch als Sohn? Das weiß ich nicht. Aber ich hoffe es.
Vielleicht hilft es, sie an die Geschichte mit der Badehose zu erinnern. Das ist eine Sache, an der ich ziemlich genau festmachen kann, dass ich mich schon als Kind nicht als Mädchen identifiziert habe. Die Badehose war blau und hatte drei Streifen, und ich war neun Jahre alt, im vierten Schuljahr, und bekam von der Schule aus Schwimmunterricht. Soweit ich weiß, stammte die Badehose aus einem Sack geerbter Kleidung, wahrscheinlich von meinem älteren Cousin, und ich trug sie voll Stolz zum Schwimmunterricht. Mein Schwimmlehrer nahm mich beiseite und sagte mir, dass ich so nicht schwimmen dürfte – ich bräuchte einen Badeanzug. »Warum?«, fragte ich. Ich war ja nicht nackt. Meine halbe Klasse trug Badehosen. Warum dann ich nicht? Mein Lehrer geriet, haha, ins Schwimmen. »Wegen der Brüste«, sagte er endlich. Ich hatte keine Brüste. Ich war neun Jahre alt. Es sollte noch fast fünf Jahre dauern, bis sich da auch nur die ersten Ansätze zeigen sollten. Und sah nicht ein, etwas anderes als meine Badehose zu tragen. »Aber der J. hat viel größere Brüste als ich«, sagte ich und deutete auf einen etwas übergewichtigen Mitschüler, der selbstverständlich auch nur eine Badehose trug.
Es half nichts, mein Lehrer biss sich an mir die Zähne aus, und ich nahm zum ersten Leben wahr, dass ich etwas nicht durfte, weil ich ein Mädchen war oder sein sollte. Ich war zornig und enttäuscht und fand die Welt ungerecht und sexistisch. Bis heute verstehe ich nicht, warum man vorpubertäre Mädchenoberkörper derart sexualisieren sollte, dass man sie nicht zeigen darf – völlig unabhängig davon, dass ich auch jede erwachsene Frau verstehen kann, die lieber oben ohne schwimmen möchte. Aber ich konnte noch so sehr bocken – mein Lehrer rief meine Eltern an und drängte sie, mich dazu zu bringen, einen Badeanzug anstelle der Badehose zu tragen.
Und wo meine Eltern niemals irgend ein Erlaubnis oder Verbot an meinem Geschlecht festmachten, gingen sie trotzdem mit mir einen Badeanzug kaufen. Blau, mit vier Streifen. Ich schluckte das Argument, dass man an einem Badeanzug ja viel mehr Schwimmabzeichen befestigen könnte als an einer Badehose, aber ich wusste, es war nur vorgeschoben. Und so froh ich war, dass nicht auch noch meine Eltern das »du musst, weil du ein Mädchen bist«-Unargument brachten, war es doch eine Niederlage. Heute, fast vierzig Jahre später, würde die gleiche Situation vielleicht anders ausgehen. Würden meine Eltern, sensibilisiert dafür, dass auch Kinder bereits transgender sein können, durchsetzen, dass ich meine Badehose tragen darf, und mir erlauben, als Junge zu leben.
Und nichts anderes möchte ich jetzt, mit Ende vierzig, tun. Es ist nie zu spät, man selbst zu sein. Und wenn es jetzt noch mal ein paar Jahre dauert, bis ich für mich die entsprechenden Veränderungen auch umsetze und einklage – dann ist es dafür immer noch nicht zu spät. Heute hat das Kabinett das neue Selbstbestimmungsgesetz auf den Weg gebracht, das es trans Menschen erleichtern soll, ihren Namen und das eingetragene Geschlecht zu ändern – und auch ich werde wahrscheinlich diese Möglichkeit nutzen, wenn in zwei Jahren mein nächster Personalausweis fällig ist. Und bis dahin werde ich hoffentlich verstanden haben, ob der Eintrag dann »nichtbinär« lauten soll oder »männlich«. Ich will nichts überstürzen. Aber ändern wird sich etwas – für mich. Und mit mir. Und ich freue mich darauf.
Lieber Maja,
ja, klingt sperrig, aber das passt ja zum Thema, dass du bereit bist, sperrig zu werden. Jeder einzelne Schritt wird sich weisen und du wirst wissen, was zu tun ist, wenn es dran ist. Probier aus, was für dich stimmig ist. In deinem Tempo. Du musst keinen Schritt machen, den du (noch) nicht willst.
Nur Mut und alles Liebe!