Es ist schon wieder passiert. Ich habe ein Buch, an dem nur noch eine einzige Szene fühlte, monatelang liegengelassen, weil ich nicht wusste, wie ich die Lücke stopfen sollte. Man sollte meinen, ich hätte den Dreh allmählich raus – da stopfe ich routiniert zwölf Jahre alte Plotlöcher, wenn ich mich nur hinsetze und drüber nachdenke, und ausgerechnet »Owls End« blieb unvollendet. Ausgerechnet deswegen, weil das Buch verkauft ist. Es soll (voraussichtlich) im Winterhalbjahr erscheinen, und Ende Juli muss ich das fertig überarbeitete Manuskript abgeben. Das ist in einer Woche …
Zum Glück war ich nicht ganz faul. Überarbeitet ist das Buch schon, bis auf die letzten beiden Kapitel – aber diese Lücke, ausgerechnet im großen Finale, hat mir Bauchschmerzen bereitet, mit jedem Tag ein bisschen mehr. Bauchschmerzen schreiben schlechte Bücher. Und so sehr ich mir auch den Kopf zerbrechen mochte, mir kam und kam einfach keine rettende Idee. So habe ich die Frage dann ausgelagert. Nein, ich habe nicht ChatGPT oder eine andere selbsterklärte KI befragt. Ich weiß, dass andere Autor:innen damit erfolgreich Plotlöcher gestopft haben – aber ich mag die Vorstellung nicht, dass aller Plot, den ich dem Algorithmus als Prompt verfütterte, danach selbst Bestandteil des Algorithmus wird. Und ich möchte Bücher machen, die durch und durch von Menschen stammen, nicht aus dem Automaten. Auch wenn ich am Ende alles selbst geschrieben hätte, keinen maschinengenerierten Text verwendet: Allein die Vorstellung, dass da eine Szene inhaltlich von einer Maschine ersonnen worden wäre, hätte mich gestört.
Und so habe ich auf Menschen zurückgegriffen, um mir zu helfen, auf die geballte Kreativität des Tintenzirkels. Das habe ich im Laufe der Jahre schon oft gemacht, wenn ich an einem Plotloch angekommen bin, aber diesmal hatte ich tatsächlich Manschetten. Die Stelle, an der ich da hing, war nicht irgendeine – es ging um nicht mehr und nicht weniger als das dramatische Finale des Buches. Und ausgerechnet so eine wichtige Stelle auf andere Autor:innen abwälzen – das erschien mir falsch. Also habe ich erstmal vier Monate lang so rumgewurstelt, im Sinne von: Andere Sachen geschrieben und die strittige Szene nicht angeschaut – bis die drohende Deadline mir doch zu sehr im Nacken saß und ich keine Wahl mehr hatte, als einmal beherzt im Hilfe zu rufen. Und die Tizis haben mich erhört.
Ziemlich kurz, nachdem ich dort mein Problem in aller Ausführlichkeit geschildert hatte, kamen die ersten Vorschläge rein, zusammen mit strategischen Fragen, um auf den Punkt zu kommen und mir zu helfen, das Ganze aus anderen Blickwinkeln zu betrachten. Und als ich dann in der folgenden Nacht nicht schlafen konnte, machte es klick, und aus den Anregungen und meinen eigenen verschütteten Ideen ergab sich eine Lösung, eine fehlende Szene, die genau in mein Loch passen sollte. Zweitausend Wörter hatte ich für die Szene budgetiert, damit das entsprechende Kapitel die passende Länge bekommen sollte – und etwas über zweitausend Wörter habe ich dann auch geschrieben. Und jetzt ist »Owls End« fertig.
Noch mal ein großes Dankeschön an all die Tizis, die mitgeholfen haben. Und an die, die im Nanowrimo 2020, als die erste Hälfte des Textes entstanden ist, so lieb meine Schnipsel gelesen und kommentiert haben. An meine Agentin, die sofort angetan war von der Idee, und an den Verlag, bei dem ich damit offene Türen eingerannt habe. Jetzt kommt also, nach dem »Puppenzimmer« und »Kettlewood« mein dritter historischer Gaslichtroman auf den Markt. Und ich freu mich, dass ich ihn im Kasten habe. Fristgerecht doch noch geschafft. Owlsendlich fertig.