Ich werde nie den Nobelpreis gewinnen, aber es ist der Running Gag, dass ich das gerne würde. Literaturnobelpreisträger. Das ist klangvoll, da ist man in guter Gesellschaft – aber ich werde ihn nicht kriegen. Fangen wir mal mit dem offensichtlichen an – ich schreibe Fantasy. Fantasyautoren bekommen keine Literaturnobelpreise. Und selbst wenn? Dann bekomme trotzdem ich den nicht. Ich bin ein kleines Licht. Mich kennt man noch nicht mal in Deutschland, geschweige denn weltweit. Und dann bin ich erst achtundvierzig Jahre alt. Viel zu jung für diesen Preis – der ursprünglich mal ein Förderpreis für junge Talente sein sollte. Aber man wird ja noch träumen dürfen. Vom Literaturnobelpreis zu träumen ist gut, da riskiert man nicht, dass das in Erfüllung geht und man plötzlich ohne Träume dasteht. Und wenn den ein anderer bekommt, tut es nicht weh, denn, siehe oben, ich weiß, warum ich den niemals bekommen kann.
Andere Preise … andere Preise sind so eine Sache. Es gibt tolle Literaturpreise für Phantastikautoren. Von denen habe ich nie zu träumen gewagt, nicht so wie vom Nobelpreis. Ich habe trotzdem von ihnen geträumt. Aber sie sind immer an andere Leute als mich gegangen. Lange lag das daran, dass ich überhaupt nicht veröffentlicht war, und das tat weh – ich wollte ja veröffentlichen, aber das Veröffentlichen wollte mich nicht. Dann war ich veröffentlicht – aber ich hatte nur ein Ebook, und die Literaturpreise wollten, dass man aber eine Druckausgabe vorweisen sollte. Das tat beinahe noch mehr weh. Und dann hatte ich ein Buch im Druck – und bekam trotzdem keine Preise dafür. Das hat unterm Strich am wehsten getan.
Ich sehne mich nach Anerkennung, und kaum etwas sagt besser »Du bist anerkannt« als ein Literaturpreis. Meine Bücher sind keine Bestseller, werden das wohl auch nie. Aber eine Würdigung meines literarischen Könnens – auf sowas habe ich immer gehofft. Und immer vergeblich. Die Longlists wurden veröffentlicht, und ich stand nicht drauf, weder bei den Publikumspreisen, bei denen die Leserschaft die Titel nominiert und dann darüber abstimmt, noch bei den Fachpreisen, wo das ganze über eine Jury läuft. Ich wollte immer schrecklich gern einen Preis gewinnen. Aber ich tat es nicht.
Jeder Mensch hat gute und schlechte Eigenschaften. Zu meinen schlechten gehört dieser Neid. Das heißt aber nicht, dass ich mich nicht für andere freuen kann! Im Gegenteil – gerade weil ich solche Preise so toll finde, freut es mich, wenn jemand, den ich kenne, einen gewinnt. Wenn schon nicht ich selbst, dann bitte meine Freunde! Und so grün und gelb ich auch werde, wenn die Longlist ohne mich veröffentlicht wird, so sehr freue ich mich für jeden Namen, den ich darauf kenne. Und in den vergangenen Jahren sind diverse Preise innerhalb meines Dunstkreises gefallen. 2009 hat ein damaliger Tintenzirkler den hochdotierten »Wolfgang Hohlbein-Preis« gewonnen, und wir waren alle völlig aus dem Häuschen. Wir (echt, ich sage schon »wir« dazu, weil jeder Preis für einen Tizi auf das ganze Forum abfärbt) hatten schon den Phantastik-Preis und den Seraph, und jetzt fehlt uns für das Quartett noch der Krefelder Pentagondodekaeder, aber den kriegen wir auch noch …
Aber über keinen Preis habe ich mich so sehr gefreut wie letztes Jahr, als Sabrina Železný für ihre »Kondorkinder« den Phantastikpreis der Stadt Wetzlar gewonnen hat. Zum einen, weil das ein tolles Buch ist. Zum zweiten, weil sie ein toller Mensch ist. Und zum dritten, weil das der beste Preis überhaupt ist – ein anerkannter Literaturpreis, der literarisches Schreiben würdigt und das speziell für phantastische Literatur, der nicht nur innerhalb der Fantasyszene vergeben wird, sondern bei dem Fantasyautor:innen gleichberechtigt neben Büchern aus Literaturverlagen stehen, bei dem Bücher für Jugendliche und Bücher für Erwachsene dabei sind und das verbindende Element das phantastische ist. Für mich ist der Phantastikpreis der Stadt Wetzlar sowas wie der Nobelpreis für deutschsprachige Fantasy. Ich habe von ihm geträumt, heimlich, verstohlen, aber als 2019 mein »Gefälschtes Siegel« herauskam und ich den Verlag bat, es dort einzureichen, schaffte ich es nicht auf die Longlist, und mit Band zwei und drei der Trilogie versuchte ich es dann gar nicht erst mehr.
Aber ich gewann etwas. Das Jammern nahm ein Ende, als ich 2021 mit meiner »Neunten Träne« das PAN-Stipendium gewann. Endlich waren Preise nicht mehr nur für die anderen! Und von da an wurde aus einem verzweifeltem »Ich gewinne doch sowieso nie etwas« ein »Ich kann alles schaffen, wenn die richtigen Faktoren zusammentreffen«. Im Rahmen des Stipendiums hatte ich auch die Möglichkeit, die Phantastische Bibliothek Wetzlar zu besuchen, und die ist rein zufällig die treibende Kraft hinter dem Phantastikpreis, und ich träumte ein bisschen heftiger davon, diesen Preis einmal zu gewinnen, schon damit ich noch mal die Bibliothek besuchen durfte, den wundersamsten Ort, den man sich als Fantasy-Buchmensch nur vorstellen kann. Alles, was ich brauchte, war das richtige Buch im richtigen Moment.
Und dann kam »Unten«. Das klingt jetzt passiver, als es wirklich war – »Unten« ist nicht irgendwie passiert, ich habe es geschrieben, von der ersten Idee bis zur letzten Seite, von 2016 bis 2021 daran gearbeitet, viel Arbeit für ein nicht mal so entsetzlich langes Buch. Zehn Tage, nachdem meine Agentin das Buch erstmals angeboten hatte, kam schon die Zusage von einem Verlag, der das Buch unbedingt machen wollte, und wir schlugen zu, und dann ging alles ganz schnell, und im Januar 2023 konnte ich das fertige Buch in den Buchhandlungen bewundern. Und ein Wort stand dabei ganz früh im Raum: »preisverdächtig«. So sagte es mir meine Lektorin in unserem ersten Videocall, so stand es in der Vorschau, und ich bekam ein bisschen Vorfreude und ganz viel Angst, weil ich dachte, das so zu beschreien kann doch nur Pech bringen … Aber ich hoffte. Ich hoffte ganz, ganz fest. Wenn es ein Buch gab, das wirklich einen Preis verdient hatte, dann dieses. Nur, hatte ich das nicht schon bei jedem anderen Buch gesagt und dann doch zugeschaut, wie andere die Preise gewannen?
Aber dann wurde »Unten« in der FAZ besprochen. Und in der Süddeutschen. Die Rezensionen waren durch die Bank positiv, wenn nicht sogar begeistert. Klar, es gab immer auch jemanden, den das Buch nicht überzeugen konnte, aber das gehört dazu, und man will es nicht allen recht machen. Trotzdem, unterm Strich kann ich sagen, dass noch nie ein Buch von mir derart gut angekommen war und eine derart hohe mediale Sichtbarkeit hatte. Die Stiftung Lesen hat es empfohlen für den Einsatz als Schullektüre, beim Vorlesewettbewerb wurde im Finale draus vorgelesen, ich fand wunderschöne Rezensionen von Menschen, die ich mit diesem Buch wirklich berührt hatte – und irgendwie wurde damit immer irrelevanter, einen Preis dafür zu gewinnen. Dieses Buch hatte auch so schon mehr erreicht als jedes meiner Bücher vor ihm. Braucht es da noch einen Preis? Brauche ich einen?
»Unten« ist das Buch, das ich als Kind immer lesen wollte und als Erwachsener auch, ein ganz besonderes Stück Literatur, bei dem ich selbst lang gezweifelt habe, dass sich jemals ein Verlag daran heranwagen würde, weil es so anders ist als andere Bücher, so schräg, so verrückt, so tiefsinnig, so politisch. Es liegt viel von mir in dieser Geschichte, Träume, die ich als Kind hatte, und Ängste als Erwachsener, es ist von der Wirklichkeit überrollt worden und dabei doch phantastisch geblieben, es ist persönlich, ein Denkmal für das Kind, das ich einmal war, und für meine Schwester, die nichts davon ahnt, dass sie mein eigentliches Vorbild für Nevo war, es ist für die Kinder von heute und die, die früher einmal ein Kind waren, und ich denke, es gehört zu dem aller-allerbesten, was ich jemals geschrieben habe.
Und als die Preissaison anrollte, begann ich doch wieder zu hoffen. Ich kann nicht anders. Mir bedeuten diese Preise einfach so viel, und ich bin psychisch angeknackst und brauche die schriftliche Bestätigung, dass ich doch etwas wert bin, während die kleinen Stimmen in meinem Kopf das Gegenteil brüllen. Im Mai wurde die Longlist für Wetzlar veröffentlicht, und das Wunder geschah – »Unten« stand drauf. Zwischen hochkarätigen Büchern, einige, von denen ich das erwartet hatte, und andere, die ich nicht auf dem Schirm hatte. Dystopien, zu denen ich auch »Unten« zählen würde, waren mehrfach vertreten, dazu zwei Märchenadaptionen, mehrere Migrationsgeschichten, und mich dort zu sehen, in dieser Gesellschaft, bedeutete mir die Welt.
Ich hoffte auf die Shortlist. Aber so oder so wusste ich, ich hatte es endlich geschafft. Nominiert in Wetzlar. Es fühlte sich an, als hätte ich bereits gewonnen. Den Nobelpreis. Mindestens. Ich hibbelte auf die Bekanntgabe der Shortlist hin, nervte wahrscheinlich mein gesamtes Umfeld damit, aber ich wusste, die Chancen, nicht unter die letzten drei zu kommen, war größer als die, dabei zu sein, und die anderen Titel sahen alle so toll aus, so erfolgreich, dass ich nicht glaubte, echte Chancen zu haben. Kann sich ein Buch für Zehnjährige gegen so eine Konkurrenz durchsetzen? War nicht mein Schluss dafür zu simpel gestrickt, meine Zielgruppe zu jung, und überhaupt, hatte jemals ein Kinderbuch den Wetzlarer Phantastikpreis gewonnen?
Aber dann kam die Shortlist, von zehn Titeln runter auf drei – und »Unten« war darunter. Und ich fragte mich, vorsichtig, ob ich mir jetzt doch echte Hoffnungen machen dürfte oder besser doch nicht. Von den drei Titeln war einer, »Auf See« von Theresia Enzensberger, schon für den Deutschen Buchpreis nominiert gewesen, und ich war mir sicher, sie würde das Rennen machen. Ich kannte das Buch noch nicht, aber der Klappentext las sich spannend, und die Leseprobe war toll geschrieben, und ich beschloss, mich nicht zu sehr zu grämen, wenn ich den Preis nicht gewinnen sollte. Ich wusste, und das erlaubte ich mir auch, ich würde sehr, sehr traurig sein wenn nicht. Aber he, ich hatte es auf die Shortlist geschafft. Meine erste Shortlist überhaupt. In Wetzlar.
Und wenn ich nicht gewann – dann hatte ich immer noch eine Auszeichnung für »Unten« gewonnen, die mir niemand mehr wegnehmen konnte: Den ersten Platz bei den Schmökerhits der Erfrurter Kinderbuchtage, ein Preis, der von einer Kinderjury vergeben wird. Der erste Preis für eine Veröffentlichung von mir überhaupt, und ich habe mich wirklich sehr darüber gefreut. Gerade weil das eine Kinderjury ist, und ich erst Angst hatte, dass »Unten«, das nur erwachsene Testleser hatte, am Kindergeschmack völlig vorbeigehen würde. Ich war leider nicht in Erfurt, als die Preisträger da verkündet wurden, aber es muss eine tolle Sache gewesen sein. Und während ich wegen Wetzlar hibbelte, freute ich mich über Erfurt, und das sollte auch das Loslassen leichter machen.
Aber stattdessen flatterte mir eine Mail ins Haus, aus Wetzlar. Ich dachte, dass man mir vielleicht eine schicke Graphikdatei für meine Webseite zukommen ließ, damit ich mit meiner Shortlistplatzierung ein bisschen angeben könnte – aber da war keine Plakette. Da war die Mail, dass ich gewonnen habe. Ich schrie nicht. Ich starrte nur auf diese Mail und konnte es nicht glauben. Dann rief ich meinen Mann rüber, damit der mir bestätigen konnte, dass das da wirklich stand. Dann starrte ich weiter. Dann lief ich debil grinsend durch das Haus. Und bis jetzt hat sich an diesem Zustand nichts geändert. Ich habe Wetzlar gewonnen! Ich! Wetzlar! Ich bin immer noch grün und blau, so oft habe ich mich gekniffen, um zu sehen, ob ich nicht doch aufwache und alles nur ein Traum war. Ich will nicht aufwachen. Und ich wache nicht auf. Es ist wirklich.
Diese Preise der anderen – jetzt habe ich auch einen davon gewonnen. Und in diesem Moment schweigen sogar die kleinen Stimmen, die sonst immer sagen, dass es ein Irrtum sein muss, dass ich keinen Preis verdient habe, dass die sich bestimmt im Jurybüro vertan haben … In diesem Moment bin ich mit mir im reinen. Ich habe es verdient, glücklich zu sein. Und ich bin es.