Quartalsschreiber

Seit 2006 schreibe ich jedes Jahr den Nanowrimo, und seit 2010 gehe ich noch einen Schritt weiter und setze mir ein ehrgeiziges Wortzahlziel für das ganze Jahr. Aber nur zweimal habe ich es geschafft, dieses Ziel auch zu erreichen – 2010 habe ich die 410.000 Wörter geknackt, 2011, berauscht von meinem Vorjahrserfolg, noch eine Schüppe draufgelegt, mir ein Ziel von 500.000 Wörtern gesetzt und das dann auch ziemlich locker runtergeschrieben. Das waren zwei Jahre, in denen ich (in 2011 zumindest noch bis zum September) halbtags berufstätig in der Aachener Unibibliothek, und das Schreiben neben der Arbeit war anstrengend, ich hatte gesundheitliche Probleme, aber es hat trotzdem geklappt, und ich war stolz auf mich.

Danach, als ich erst arbeitslos war und dann freiberufliche Schriftstellerin, hatte ich keinen Grund mehr, es noch mit einem niedrigeren Ziel zu versuchen. Parallel zur Arbeit hatte ich Sachen geschrieben wie die »Gauklerinsel«, »Das Puppenzimmer« und »Das gefälschte Siegel« – was für große Dinge sollte ich  dann erst zustande bringen, wenn ich den ganzen Tag zum Schreiben hatte? Die traurige Antwort war: trotz Vollzeit-Schriftstellertum, trotz einem Jahresziel von immer 500.000 Wörtern, gelang es mir keinmal mehr, das einzustellen, was ich nebenberuflich geschafft hatte. Ich versuchte es trotzdem immer wieder, jedes Jahr ging ich an den Start, meine halbe Million wörter zu schreiben, startete mit einem meistens erfolgreichen Januar, nur um dann im Februar, spätestens im März den Faden zu verlieren, in die roten Zahlen zu rutschen und nicht wieder rauszukommen.

Meine Jahresrückblicke im Blog fielen dann entsprechend entschuldigend aus – kein gutes Jahr, kein grüner Zweig, es kann nur besser werden … Und es ist ja nicht so, dass ich gar nichts geschrieben hätte in der Zeit. Ich hatte immer noch meinen – jedes Jahr doppelten – Nanowrimo, den ich meistens gewann, und ich habe das eine oder andere Buch geschrieben in den letzten zehn Jahren und einige davon, wie »Die Spiegel von Kettlwood Hall«, »Das gefälschte Herz« und »Land« sowie »Unten« auch erfolgreich veröffentlicht, ich war produktiv genug, um den Verlagen immer noch eine Auswahl zu geben, und weitere Bücher liegen, für wenn es mal ihre Zeit sein sollte, in der Schublade: Aber ich war einfach nicht so produktiv, wie ich es gebraucht hätte, um glücklich zu sein, nur hätte ich auf der anderen Seite glücklicher sein müssen, um zu schreiben. Ein Teufelskreis.

Jedes Jahr nahm ich mir vor, es diesmal wieder richtig zu machen, jedes Jahr hielt ich trotzig an einem Ziel fest, das de facto nicht zu erreichen war, und jedes Jahr scheiterte ich aufs Neue. Lernte ich daraus? Nein. Auch für 2023 nahm ich mir wieder vor, die halbe Million Wörter zu schreiben. Diesmal aber wirlich. Der Januar kam, und ich legte los. Und vor. Ich hatte in dem Monat tatsächlich wenig Plot, wenig Ideen, was ich schreiben wollte, aber ich biss mich durch, und als der Monat rum war, hatte ich nicht die etwas über 40.000 Wörter geschrieben, die für mein Jahresziel nötig gewesen wären, sondern fast 55.000. Gut, dachte ich, da habe ich etwas Vorsprung für den Februar. Der Februar ist haarig, er hat deutlich weniger Tage als der Januar, ich habe noch nie mein Februarziel geschafft, da kann ich den Januarvorsprung abfrühstücken und muss kein schlechtes Gewissen haben – aber stattdessen schrieb ich auch jeden Tag im Februar deutlich mehr als mein Soll, und als der Monat rum war, hatte ich noch mal 45.000 Wörter draufgelegt und konnte produktiv und entspannt in den März starten.

Und noch etwas passierte im Februar. Im Januar hatte ich noch, um irgendwie mein Tagesziel rumzubringen, jeden Tag an etwas anderem gearbeitet, war von Projekt zu Projekt gesprungen, eine Szene hier und eine Session da, und die Wortzahl am Ende gab mir da durchaus recht – aber im Februar schrieb ich mich ein. Allein zehn Tage am Stück schrieb ich an meinem »Sturmtrinker«, davor und danach je eine Woche an »Owls End«. Und als ich den März startete und mir nach zwei weiteren Tagen »Owls End« ein bisschen die Luft und der Plot ausgingen – unmittelbar vor der Fertigstellung, wie das bei mir so häufig passiert, brauche ich eine Pause – fand ich zu meinen »Tränenjägern« zurück. Im letzten Dezember hatte ich mich schon ein bisschen wieder in die Geschichte verliebt – aber das war kein Vergleich zu jetzt. Lange ist es her, dass ich derart in einer Geschichte aufgegangen bin. Dass ich morgens aufwache und mich darauf freue, wieder an meinem Buch schreiben zu können. Nicht, dass ich nicht meine anderen Bücher, an denen ich gerade arbeite, auch gern hätte, und nicht, dass mir die Arbeit daran keinen Spaß gemacht hätte – aber jetzt, im März, mit Andreu und Co., ist das Glück eingekehrt, das ich so lang vermisst gemeldet hatte.

Und ich habe nicht vor, das so schnell wieder herzugeben. Für den April habe ich mich für das Camp Nanowrimo angemeldet, mit dem Ziel, noch mal 40.000 Wörter an dem Buch zu schreiben, damit der erste Band endlich mal fertig wird. Der steht zwar jetzt schon bei rund 115.000 Wörtern, und ja, dann wird das Buch ein Dickerchen, aber das soll mich gerade nicht zurückhalten. Ich habe noch so viele Ideen für meine Tränenjäger, und ich freue mich, dass ich endlich wieder das in dem Buch (bzw der Reihe – es wird ja ein Mehrteiler) sehe, das mich damals dafür bewogen hat, mich ausgerechnet damit um das PAN-Stipendium zu bewerben, und die PAN-Leute, es mir wirklich zu geben. Da ist, mit Verspätung, der Funke gezündet. Und dieser Schwung soll mich noch ein Weilchen tragen …

Trotzdem mache ich jetzt in den nächsten Tagen wieder einen Schritt zurück und schreibe etwas anderes. Ich habe mir, und meiner Agentin, versprochen, dass »Owls End« fertig wird, und wenn ich jetzt allen Plot, den ich für die »Tränenjäger« geplant habe, noch im März auf den Kopf haue, stehe ich plötzlich im Camp Nano ohne da. Nein, die Eulen kommen zuerst dran, und die müssen im Kasten sein, bevor ich campen darf. Aber was mir sonst Bauchweh bereitet hätte, empfinde ich dieses Jahr nur als Ansporn.

Ich liege blendend in der Zeit. Vom März ist noch eine ganze Woche übrig, und doch habe ich mein Monatsziel schon im Kasten. Aufs Jahr gerechnet könnte ich mir jetzt schon einen großzügigen Urlaub von drei Wochen gönnen und würde immer noch im Zeitplan liegen – oder, anders gesagt, könnte ich mein Jahresziel auf 600.000 Wörter erhöhen und wäre immer noch in den grünen Zahlen. Sowas ist mir noch nie passiert. Dieses Vierteljahr ist das produktivste erste Quartal meines Lebens. Noch nicht mal 2011, als ich mein Jahresziel geschafft habe, war das erste Quartal so erfolgreich wie jetzt. Und zum ersten Mal seit über zehn Jahren ist es wieder realistisch, mein Jahresziel zu schaffen.

Genug Projekte dafür habe ich allemal – angefangene Bücher, die endlich fertig werden sollen, und eine lange Liste an geplanten Projekten, aus denen endlich einmal etwas werden soll. Da sind alte Schätzchen dabei, die seit Jahren ruhen, und andere, an denen echt nicht mehr viel fehlt, und wieder andere, mit denen ich noch ein paar echt produktive Jahre verbringen kann und sie immer noch nicht fertig haben werde. Schaffe ich mein Ziel wirklich? Ich will da nicht zu viel versprechen, das könnte am Ende Pech bringen. Es kann immer etwas passieren, immer die Gesundheit dazwischen grätschen. Aber egal was jetzt auch passiert, egal wie der Rest dieses Jahres aussehen wird – ich habe ein Quartal geschrieben, wie ich es noch nie geschrieben habe. Und das kann mir niemand mehr wegnehmen.

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