Elf Jahre ist es her, da hatte ich die Idee zu einem Märchen, oder besser, eine Parodie darauf. »Die gehörnte Prinzessin« war der Arbeitstitel, die Hauptfigur die liebreizende Prinzessin Floradora, die von der Bösen Fee™ verwünscht wird und fortan ein paar stattlicher Widderhörner an ihrem Kopf trägt. Von den Eltern für zu unansehnlich zum Herzeigen befunden, kommt Floradora auf das Dunkelwald-Internat von Fräulein Griselda und Fräulein Gräulich, während daheim im königlichen Palast eine mechanische Puppe, die Floradora bis auf die Hörner aufs Haar gleicht, ihren Job beim täglichen Winken vom Balkon übernimmt. Doch als Floradora im Dunkelwald-Internat ankommt, muss sie feststellen, dass die Dinge nicht so sind, wie sie auf den ersten Blick scheinen …
Ich schrieb etwas über dreißig Seiten an diesem Buch, das ein Weihnachtsgeschenk für meine Mutter werden sollte, und kam nicht weiter, als Floradora im Internat den dort ansässigen anderen Kindern, die allesamt verwunschen sind wie sie selbst, begegnet – und das Buch wanderte in die Schublade zusammen mit den Romananfängen, aus denen ich irgendwann mal was machen könnte, und ward nicht mehr angerührt. Elf Jahre lang. Elf Jahre, in denen ich meiner Mutter andere Dinge zu Weihnachten schenkte und diverse andere Bücher schrieb, in denen ich von der Hobby- zur Berufsautorin und beinahe, aber nur beinahe, wieder zurück wurde und praktisch keinen Gedanken mehr an meine Prinzessin verschwendete.
Und dann verkaufte ich mein Kinderbuch-Manuskript »Unten« an den Dressler-Verlag und war von einem Tag auf den anderen eine Kinderbuchautorin, und weil ich mir in dieser Rolle gefiel, wollte ich gleich das nächste Kinderbuch hinterher schreiben, wo ich gerade Schwung geholt hatte – und das Konzept dazu kam mir, wie so oft, in der Badewanne. »Die vierte Wand« handelt von einem Mädchen, das verstehen muss, dass es sein ganzes Leben lang in einem Puppenhaus gelebt hat, und ich plante, das im Nanowrimo zu schreiben – aber bis es soweit war und der November kam, klopften die Zweifel an die Tür. »Die vierte Wand« ist ein tolles, spannendes, philosophisch wie psychologisch interessantes Konzept, doch vom Ansatz her (ein Mädchen und sein Haus) zu ähnlich wie »Unten«. Vielleicht doch erst ein anderes Buch schreiben? Die Frage war nur: Was für eins? Und da fiel mir, aus heiterem Himmel, wieder meine »Gehörnte Prinzessin« ein.
Ich stellte das Konzept im Tintenzirkel meinen Mit-Naniten vor, und die sagten unisono: »Schreib das!« Ich stellte es meiner Agentin vor, und die sagte das gleiche. Damit war es beschlossene Sache. Bedenken hatte ich trotzdem: Ziel im Nanowrimo ist es, 50.000 Wörter zu schreiben, und ich wusste nicht, ob diese eher kurz angelegte Geschichte überhaupt so lang werden sollte. Dazu kam, dass ich keinen Plot hatte. Elf Jahre, nachdem ich den Roman vor die Wand geschrieben hatte, stand ich noch genau da, wo ich aufgeholt hatte. Neue Ideen? Fehlanzeige. Aber ich baute auf den Zauber des Nanos. Auf Plotideen, die mich aus dem Nichts anspringen sollten. Und für die ersten Tage hatte ich Material – denn das, was ich vor elf Jahren geschrieben hatte, entsprach nicht mehr meinem jetztigen Können, so dass ich noch mal komplett von vorn anfangen wollte. Plot für drei, vier Tage, und dann weitersehen … Und so startete ich in den Nano.
»In den alten Zeiten, als das Verwünschen noch geholfen hat …«, fing ich an und war sofort drin in einem märchenhaften, leicht ironischen Stil. Zugegeben, mein Stil ist oft märchenhaft und leicht ironisch, aber hier passte es einmal perfekt zur Geschichte. Die Geschichte von damals, geschrieben mit dem Können von jetzt, ging mir gut von der Hand. Ich konnte einige Szenen inhaltlich behalten, andere konzipierte ich komplett neu, und das Schreiben ging gut von der Hand – und als ich an die Stelle kam, wo ich vor elf Jahren ausgestiegen war, schrieb ich einfach weiter, immer mit Plot für genau einen weiteren Tag im Kopf. Manchmal hing ich einen halben Tag lang und wusste nicht, wie es weitergehen sollte, bis mir die rettende Idee für die nächste Szene kam. Und so schrieb ich jeden Tag um die 2.000 Wörter, und ich war durchaus zufrieden mit mir selbst.
Meinen Mitlesern im Forum gefiel die Geschichte, sie lachten an den richtigen Stellen, aber es blieb der Running-Gag, dass ich keinen Plot hatte. Selbst als ich unmittelbar vor dem Showdown stand, musste ich den noch zusammenfassen mit »und dann Gurkensalat«. Wie das Buch ausgehen sollte, das wusste ich, aber wie dorthin kommen … Ich schrieb weiter, hangelte mich Szene um Szene voran, bis ich unmittelbar vor dem Showdown meinen Nanowrimo-Sieg einfuhr – und mir nur einen Tag, bevor ich die Szene schreiben musste, klar wurde, wie mein Showdown aussehen würde. Und so, als wäre da nie ein Hindernis gewesen, schrieb ich weiter.
Seit 2006 schreibe ich jedes Jahr im November meinen Nanowrimo. Noch nie bin ich in dem Momat auch mit dem Buch fertiggeworden. Zweimal, 2006 und 2010, bin ich dann noch im gleichen Jahr im Dezember zum Ende gekommen, aber meistens war der Nanowrimo nur der erste Schwung für eine lange, fruchtbare Arbeit, und viele meiner Nano-Projekte, die ich über die Jahre angefangen habe, sind erst Jahre später fertig geworden oder warten da noch immer drauf. Dieses Jahr ist es zur Premiere gekommen: Am 28. November, ein paar Tage nach meinem Nano-Sieg, habe ich die letzten Worte an der »Gehörnten Prinzessin« geschrieben: »Und wenn sie nicht gestorben sind, dann tun sie das ein andermal.« Und ich bin echt glücklich mit mir und der Geschichte.
Jetzt ist er also vorbei, der Nano, und ich habe ein fertiges Buch mehr in der Tasche. Es liegt gerade bei der Agentin, und wir können nur hoffen, dass es auch meiner Kinderbuchlektorin gefallen wird. Ich aber nutze den Schwung aus dem Nano zum Schreiben. So viele Bücher, die ich dieses Jahr in meinem Schreibloch sträflich vernachlässigt habe, wollen endlich fertig werden. Und dass ich das kann, Bücher zuende schreiben – das habe ich mir gerade selbst unter Beweis gestellt.