Bereits im Spätommer hatte ich stolz verkündet, dass von »Unten«, dem dystopischen Kinderbuch mit Nonsense-Elementen (oder umgekehrt) nur noch wenige Seiten Text fehlten, und wie es für mich typisch ist, habe ich für die dann wieder ein bisschen länger gebraucht, weil sich unmittelbar vor dem Schluss noch ein Plotproblem aufgetan hat, für das mir so schnell keine Lösung eingefallen war. Und so gingen die Wochen ins Land, gut ausgefüllt mir Lektorat und Überarbeitung des »Gefälschten Landes« und der Arbeit an der »Neunten Träne«, und ich dachte zwar ab und zu daran, dass ich mir versprochen hatte, »Unten« fertigzustellen, bevor das Jahr herum ist, aber es fehlte ja nur noch so wenig, kein Grund, mir Sorgen zu machen, und plötzlich hatten wir das vierte Adventswochenende, und ich hatte das Buch noch nicht einmal wieder angesehen.
Aber während ich an meinem Ausblick auf 2022 saß und auflistete, an welchen Büchern ich dann zu arbeiten gedenke, tauchte »Unten« in der Liste nicht mehr auf – wirklich, ich hätte mich gechämt, ein Buch, das wahrscheinlich nur noch eine einzige Schreibsession erfordert, mit ins neue Jahr zu nehmen, allein der Listeneintrag hätte länger gedauerte als das Fertigschreiben, und dann kam auch, auf den letzten Drücker, ein Aha-Moment, und ich verstand, dass ich mein vermeintliches Plotproblem nur von der völlig falschen Seite betrachtet hatte. Es war gar keines. Und ich setzte mich hin, schrieb zwanzig Minuten lang, und war fertig.
»Unten« ist ein Buch, auf das ich unglaublich stolz bin. Es hat viele brillante Momente, und wo ich meinen ersten Versuch, ein Kinderbuch zu schreiben »Der Schattenstein« von 2006, noch nicht einmal damals gemocht habe, liebe ich »Unten« über alles. Es ist meine Antwort auf »Alice in Wunderland«: Ein Mädchen fällt in einen Schacht, und unten wird es absurd. Es ist meine Antwort auf William Sleators »Haus der Treppen« in seinem beklemmenden Elementen. Es ist inspiriert von der Kowloon Walled City in Hongkong, von dem kleinen Mädchen, das ich selbst einmal war, von Regelwerken, die sich selbständig gemacht haben, es enthält so viele große und kleine Ideen, dass sich auf jeder Etage des Hauses eine völlig neue Welt entfaltet.
Ich bin im Nanowrimo 2019 ohne großen Plot in die Geschichte gestartet, ich hatte nur ein Haus und noch nicht einmal einen Namen für meine Hauptfigur. Ich wusste nicht, dass es ein Kinderbuch werden sollte, und dachte, ich habe keine zusammenhängende Handlung, nur Episoden und Einzelschicksale, zusammengehalten von dem einen Haus, das kein Ende nimmt. Mehrere Jahre lang hatte ich mit der Idee geliebäugelt und mich nie drangewagt, aber dann habe ich als »Alles kann, nichts muss« Zeitprojekt neben dem »Gefälschten Land« angefangen, und es hat sich auf wundersamste Weise selbständig gemacht. In dem Jahr habe ich meinen Doppelnano gewonnen, und es war ein tolles Jahr.
Wenn ich es jetzt lese, finde ich viel »Alice im Wunderland« darin, vieles davon Anspielungen, die nur jemand verstehen wird, der »Alice« wirklich in- und auswendig kennt: Es ist keine Nacherzählung, keine Fortsetzung, keine Modernisierung, es ist etwas ganz eigenes, die Parallelen sitzen in den Wänden, wo nur ich sie sehen kann und mich an ihnen erfreuen. Schon meine »Spiegel von Kettlewood Hall« hatten viel von »Alice» geerbt, aber ich denke, »Unten« ist ein besserer Vertreter, weil es die Nonsense-Fahne hochhält und ich endlich einmal Platz für meinen Wortwitz hatte.
Bei den Mitlesern im Tintenzirkel ist »Unten« wirklich gut angekommen. Dafür, dass sich das Buch eigentlich an Kinder richtet, habe ich bis jetzt vor allem ein erwachsenes Publikum begeistern können, und ich weiß, dass die Zielgruppe »Kinder« mir noch Probleme einbringen wird – das Buch ist zu lang geworden für eines, das sich an Grundschulkinder richtet, und auch wenn ich es beim Überarbeiten noch so sehr kürzen werde, wie ich irgendwie kann, wird das Endergebnis immer noch grenzwertig lang sein. Ich habe Elemente darin, die Kindern wirklich Angst machen können – keine Ungeheuer, kein Blutvergießen, aber die Vorstellung, dass die eigenen Eltern einen vergessen können, hätte ich als Kind viel, viel schlimmer gefunden. Ich puffere das ab mit so viel Nonsense und absurden Humor, wie hineingepasst hat, und in meinen Augen funktioniert diese Mischung – aber ich kenne kein anderes Kinderbuch, das so ist, und drücke mir jetzt selbst die Daumen, dass ich einen Verlag dafür begeistern kann.
So oder so ist »Unten« ein ganz besonderes Buch geworden, eines der Besten, die ich jemals geschrieben habe, und was immer jetzt daraus wird, ich bin gewaltig stolz darauf. Sechs Bücher wollte ich 2021 fertigschreiben, am Ende ist es immerhin ein Hattrick geworden – und ich gehe und stolz und aufrecht in Jahr 2022. Mein Ausblick folgt. Aber bis es soweit ist, feiere ich jetzt erst einmal mich. Und auf »Unten«.
Oh, ich liebe dieses Buch! (Ich weiß nicht, ob du dich erinnerst, ich gehörte mit zu den begeisterten Mitlesenden im Tintenzirkel) Die Daumen sind fest gedrückt, dass das Buch gut unterkommt und die Liebe bekommt, die es verdient.
Vielen Dank! Daran erinnere ich mich noch gut. 🙂 Das war ein wirklich toller Nano in dem Jahr! Jetzt muss ich nur noch ein Exposé zustandebringen, das dieser Geschichte gerecht wird …