Als ich neulich ein Zeitungsinterview gegeben habe, war eine der Fragen »Wie viele Bücher haben Sie schon geschrieben?«, und ich ganz schön ins Zählen gekommen, wie viele fertige Romane ich eigentlich im Laufe der Jahre zusammengebracht habe. Dafür, dass es wirklich sehr lange gedauert hat, bis ich zum Ende meines Studiums mit meiner »Flöte aus Eis« einen Roman fertiggestellt habe, sind in den Jahren seitdem doch so viele Romane zusammengekommen, dass ich mich völlig verzählt habe und hinterher festgestellt habe, dass es in Wirklichkeit noch drei Bücher mehr waren. Die komplette Liste habe ich hier als Werkeverzeichnis hochgeladen.
Romane fertigschreiben, das ist nicht mehr die riesengroße Herausforderung für mich. Nicht, dass es einfach wäre – dafür habe ich zu große Angst, den Schluss zu versemmeln, und dafür schreibe ich immer noch zu viele Romane vor die Wand, dass sie niemals fertig werden. Aber ich habe inzwischen doch einiges an Erfahrungswerten, wo es darum geht, Romane zu einem Abschluss zu bringen. Eine völlig andere Sache hingegen ist es, einen Mehrteiler abzuschließen. Das tue ich gerade, nach gut und gern elf Jahren geht meine »Neraval-Sage«, aka. Fälscher-Trilogie, zu Ende. Aber so viele Mehrteiler ich über die Jahre auch angefangen habe, dies ist die erste Trilogie, die ich abschließe. Und es ist eine völlig neue Herausforderung.
Einen fertigen Mehrteiler habe ich in der Schublade – zumindest theoretisch. Mein bis heute unveröffentlichter Roman »Die Spinnwebstadt«, entstanden von 1997 bis 2003, war während seines Entstehens ein Vierteiler. Jeder Band lag zwischen 200 und 250 Seiten, und der Grund dafür war ganz einfach: Ich habe meine Romane damals zuhause ausgedruckt und im Copyshop binden lassen, zu hübschen kleinen Büchern im A4-Format, und die Heißleimklebebindung schafft einfach nicht mehr als maximal 250 Seiten, ohne auseinanderzufallen.
Und wenn ich das sowieso in vier Bänden drucken lasse, kann ich auch jedem Teil einen eigenen Namen geben. Außerdem war es für die lange Zeit, die ich an der Geschichte gearbeitet habe, schön, zwischendurch das Erfolgserlebnis zu haben, dass wieder ein Band fertig war – schließich betrachtete ich die Geschichte als mein Opus Magnum, und da ist es schon irgendwie ironisch, dass ich sie nie einem Verlag angeboten habe. Immerhin ist sie dann irgendwann, mit um die tausend Normseiten, fertig geworden. Ich wollte sie bei Klett-Cotta anbieten (damals mein aus der Ferne bewunderter Traumverlag, heute mein über alles geschätztes Verlagszuhause), aber alles richtig machen, und habe die Geschichte buchstäblich zu Tode überarbeitet, wieder und wieder von vorn, bis meine aktuellen Sachen eigentlich so viel besser waren als die »Spinnwebstadt« und ich stattdessen die angeboten habe.
In den fünf Jahren, die ich damit verbracht habe, das Buch zu überarbeiten, ist kein Stein auf dem anderen geblieben, ich habe es von vorn bis hinten um geschrieben und am Ende so viel rausgestrichen, dass es wirklich nur noch ein dickes Buch war und nicht mehr eine Tetralogie. Und genau deswegen kann ich das jetzt nicht mit meinen Fällschern vergleichen.
Bei denen kann ich nämlich genau eine Sache nicht mehr: Nochmal an den Anfang zurückgehen und dort meinen Hebel ansetzen. Der erste und zweite Band stehen, sind veröffentlicht, in Stein gemeißelt. Ich habe nur den dritten Teil, um die Geschichte zu einem Abschluss zu bringen, und das heißt auch, viele lose Enden zusammenzubringen, auf deren andere Enden ich keinen Einfluss mehr nehmen. Und weil ich es liebe, komplexe, vielschichtige Geschichten voller falscher Fährten und versteckter Andeutungen zu schreiben, habe ich jetzt das Gefühl, ein Puzzle von hunderttauend Teilen fertigpuzzeln zu dürfen – mit der Erschwernis, dass zwei Drittel der Teile schon fest verklebt sind und einige davon nicht an der richtigen Stelle liegen, und andere sich gut versteckt haben.
Es ist eine Herausforderung, die mir tatsächlich großen Spaß macht. Ich schreibe sehr intuitiv, meistens nur mit einem ganz groben Konzept, dessen Details sich nach und nach während des Schreibens ergeben. Der Clou besteht darin, das Endergenbnis so zu überarbeiten, dass die Leser denken, das wäre alles genau so von Anfang an geplant gewesen. Jetzt, mit meinen Fälschern, müssen die Leser das auch denken: ich muss nur das Zauberkunststück hinbekommen, diesen Eindruck nur auf Basis des dritten Bandes zu erwecken.
Eine Figur, die ich im ersten Band nur nebenbei erwähnt habe, bei der ich mich beim zweiten Band gefreut habe, dass da immerhin schon jemand einen Namen hatte, den ich nochmal benutzen kann: Die kann jetzt im dritten Band eine größere Rolle spielen und taucht nicht unvermittelt aus dem Nichts auf, weil ich ja schon im ersten und zweiten Band auf ihr Auftreten vorbereitet habe. Viele kleine Dinge, die ich ohne großen Hintergedanken eingebaut habe, kann ich jetzt ausnutzen. Und ich kann mich an meiner eigenen Genialität erfreuen.
Wieder und wieder lese ich die beiden ersten Bücher, um wie ein Detektiv die versteckten Hinwiese zu finden, die mein früheres Ich dort heimlich deponiert hat, ohne es mir zu verraten. Plotwendungen, die dem »Gefölschten Land« die eigentliche Rafinesse verleihen, waren eigentlich nicht geplant, sind für mich jetzt aber so offensichtlich schon vom ersten Band an angelegt, als hätte ich als Schlafwandler heimlich nachts Sachen in mein Buch eingebaut, ohne mir etwas davon zu verraten, und jetzt finde ich sie und freue mich drüber.
Das sind kleine Wendungen, aber auch eine, die, nachdem ich sie entdeckt habe, zum Dreh- und Angelpunkt des dritten Bandes gemacht habe. Die Schnitzeljagd, die Suche nach den versteckten Hinweisen, das ist eine Sache, die wirklich Spaß macht. Aber manchmal würde ich schon gern nochmal an den ersten Band ran, und das geht nicht. Da muss ich jetzt durch. Auch wenn ich meinen nächsten Mehrteiler wohl wirklich lieber erst komplett fertigschreibe und dann einem Verlag anbiete – Recht zu Scheitern und Option auf Umschreiben inbegriffen.
Was ich so sehe, wenn ich die Geschichte vom ersten bis zum dritten Band betrachte: Wie ich gewachsen bin an dieser Geschichte. Wie die Figuren gewachsen sind. Wie wir alle an Tiefe und Reife gewonnen haben. Ich freue mich darauf, dieses Buch auf die Welt loszulassen, zu sehen, wie die Leser reagieren werden auf die Eröffnungen und Entwicklungen – ob sie die Wendungen vorhersehen konnten, ob sie überrascht sein werden, erfreut, zornig … Ich bin noch nicht fertig, ich habe noch ein paar richtig schwierige Stellen vor mir, aber ich bin da, wo mein Puzzle schon wie ein richtiges Bild aussieht, wo man zwar noch ein paar Löcher hat, aber deren Form klar zu erkennen ist, der Countdown läuft, und nicht mehr lange hin, und ich kann ganz stolz das Wort »Ende« schreiben. Nicht nur unter ein Buch. Sondern unter drei.