Unterm Strich wünschen sich wohl alle Autoren das Gleiche: Sie wollen Erfolg, sie wollen Leser erfreuen, am besten auf der ganzen Welt. Nicht von ungefähr ist unser langjähriger Trinkspruch »Reich und berühmt!«, und auch wenn ich bis heute nicht behaupten kann, dass der Reichtum auch nur in die Nähe meines Hauses gekommen wäre, oder meines Kontos, bekomme ich gerade einen Vorgeschmack von internationalem Ruhm. Und er schmeckt anders als erwartet.
Ich weiß nicht, wie es meinem Verlag gelungen ist, meine allererste Auslandslizenz ausrechnet für den russischsprachigen Markt zu verkaufen. Als ich von meiner Agentin hörte, dass das Puppenzimmer nach Russland geht, habe ich das für einen Witz gehalten, und danach immer noch für einen Irrtum. Dass ausgerechnet ein Land, in dem jede Form positiver Erwähnung von Homosexualität gesetzlich verboten ist, ein Buch einkaufen sollte, in dem sämtliche Küsse zwischen Frauen ausgetauscht werden, konnte ich mir nicht vorstellen, und ich hatte schon einen Blogartikel darüber geplant, wie ich einmal beinahe den russischen Markt erobert hätte, bis die Verantwortlichen den Roman doch noch bis zum Ende gelesen und ihren Fehler bemerkten – aber stattdessen bekam ich die Kopie eines Vertrags, ich bekam einen Vorschuss, und schließlich bekam ich ein Paket mit fünf dicken Büchern. Und langsam begann ich zu verstehen, dass es dieses russische Buch wirklich geben sollte.
Es war ein ganz und gar großartiger, skurriler Moment. Man muss bedenken, dass es in Deutschland meine Bücher nur als Ebooks gibt – wenn man von meinen alten bei Lulu.com selbstverlegen Elomaran-Büchern absieht, die ich nicht zählen mag, weil sie zum einen selbstgemacht waren und zum anderen wirklich nur ein mit Glück zweistelliges Publikum erreicht hatten. Und auf einmal sitze ich da mit bezaubernden Hardcovern, in denen mein eigener Name steht, gedruckt – in einer Schrift, die ich nicht lesen kann. Ich habe schon oft bedauert, nie Russisch gelernt zu haben, aber jetzt erst recht. Alle meine Kenntnisse der kyrillischen Schrift stammen aus dem, was ich meinen Fernkurs »Lerne Russisch Mit Wurst« nenne: Die zweisprachien Prospekte des russischen Supermarkts, der mir zu den Zeiten meiner Kölner WG regelmäßig in den Briefkasten flatterte und mit dem ich gelernt habe, dass Wurst auf Russisch »Kolbasa« heißt. Dabei besitze ich auch diverse russischsprachige Ausgaben von Alice im Wunderland, aber da ich das Buch weitgehend auswendig kann, habe ich nie versucht, die zu lesen.Nun also das Puppenzimmer auf Russisch. Da heißt das Buch Комната кукол, Komnata Kukol, und ich habe verstanden, dass das Wort Komnata Zimmer heißt und mit dem deutschen Wort Kemenate verwandt ist und habe wieder etwas gelernt. Und mein Name wird transliteriert zu Майя Илиш, wörtlich Maija Ilisch oder, wie Google Translate meint, Maya Ilishev. Klingt ja auch viel russischer.
Ich wünschte, ich könnte das Buch lesen, ich hatte ja wirklich befürchtet, dass sie meinen jugendgefährdend queeren Schluss umschreiben würden, aber ich glaube es nicht mehr: Das Buch ist nämlich außerdem illustriert (Hardcover und illustriert, drunter tun wir es nicht!), und das letzte Bild zeigt wunderschön, wie sich Florence und Janet in den Armen liegen. Vielleicht hat es mich gerettet, dass das Buch nicht direkt an einen russischen Verlag verkauft worden ist, sondern über eine in Zypern firmierende Bertelsmann-Tochter in einem Buchklub, der in Russland und der Ukraine operiert, erschienen ist. Bestellt werden kann das Buch aber ganz normal über den Buchhandel, auch über die russischen Buchhandlungen in Deutschland. Es ist ein sehr schönes Buch, ich kann es nur empfehlen.
Aber ich konnte mir immer noch nicht vorstellen, dass es auch beim russischsprachigen Publikum ankommen sollte. Google Translate fand die Rezensionen auf der Buchklub-Seite durchaus positiv, hat aber manches so sinnentstellt, dass ich froh war, über eine sehr liebe russischstämmige Tintenzirklerin deutlich verständlichere Übersetzungen der Leserkritiken zu bekommen. Und ja, die waren wirklich positiv – unterm Strich sogar positiver als viele deutsche, und niemand hat sich, anders als hierzulande, über den Schluss beschwert. Das hat mich wirklich, wirklich, wirklich gefreut. Seitdem plane ich, zumindest eine abgespeckte Version meiner Webseite auf Russisch anzubieten. Abgespeckt heißt, es wird kein russischsprachiges Blog geben, vor allem, da ich die Sprache ja anders als Englisch selbst nicht beherrsche, und ich muss auch nicht die Infos zum längst vergriffenen Geigenzauber übersetzen, wenn dieses Buch dem russischen Markt nicht zur Verfügung steht, aber vielleicht interessiert sich die internationale Leserschaft doch für meine Biographie, für die Hintergrundinformationen zum Puppenzimmer, oder für meine gruselige Puppensammlung …
In der Zwischenzeit entdeckten die russischsprschigen Leser meine Facebookseite. Ich bekam sehr, sehr liebe Zuschriften – die meisten auf Russisch, wo mir wieder Google Translate helfen musste, zwei auf Englisch, und eine Leserin hat sich sogar die Mühe gemacht, mir auf Deutsch zu schreiben. Tatsächlich haben sich diese Leser als deutlich kontaktfreudiger als die Deutschen herausgestellt, die mir meistens nur eine Freundschaftsanfrage schicken oder einfach nur die Seite liken. Ich freue mich immer über Leserzuschriften, aber hier haben sich Dinge aufgetan, auf die war ich nicht vorbereitet. Eine Leserin aus der Ukraine schrieb, dass ich ihr den Tag versüßt habe. Und ich hoffe, ich habe auch hierzulande Tage versüßt – aber was schreibe ich zurück, wenn meine Leserin in einem Gebiet lebt, das gerade von einem Krieg erschüttert wird, wo Menschen sterben, wo Angst und Schrecken herrschen?
Alles, was ich antworten konnte, erschien mir hohl, vor allem, weil ich nicht riskieren wollte, irgendetwas missverständliches zurückzuschreiben und darum Google Translate mit kurzen, einfachen Sätzen auf Englisch gefüttert habe, die in hoffentlich eindeutiges Russisch übertragen werden konnten. So blieb es am Ende dabei, dass ich mich für das Lob bedankte und ihr und ihrer Familie noch alles Gute gewünscht habe, und ich fühlte mich furchtbar dabei. Da ist eine junge Frau, die gerade ganz andere Sorgen hat und die sich doch die Mühe macht, einer Autorin zu schreiben, deren Buch ihr gefallen hat. Ich habe auf die Mail geschaut und geweint vor lauter Hilflosigkeit. Diese Übersetzung hat nicht nur mein Buch in die Welt hinausgetragen – sie hat auch die Welt zurückgetragen in mein Haus. Der Krieg in der Ukraine ist nicht mehr einfach nur im Fernsehen oder weit weg. Er betrifft nicht nur Partisanen, Fanatiker, Nationalisten oder Separatisten. Er betrifft ganz normale Menschen, die vor kurzem noch ganz normale Leben gelebt haben, ganz normale Bücher gelesen, Frieden gehabt.
Was soll ich diesen Lesern antworten? Ich freue mich, dass ihnen mein Buch gefällt, dass ihnen diese Geschichte kleine Fluchten ermöglicht, aber ich schäme mich, dass es kein politischeres Buch geworden ist, dass ich selbst nicht mehr so politisch bin und streitbar wie in meiner Jugend, dass ich zu sehr in meiner Autorenblase lebe und an meinen Phantasiewelten schraube statt an der Wirklichkeit, die es gerade so bitter nötig hat. Ich fühle mich schwach, und hilflos, und ich bin zornig auf meine eigene Trägheit. Und doch – mit diesem unpolitischen, eskapistischen Buch habe ich in diese Leben hineinreichen können und zumindest einer Frau einen Tag versüßen können. Und vielleicht ist das für den Anfang gar nicht mal so schlecht.