Ich bin nicht nur im Tintenzirkel, sondern auch auf Facebook mit einer ganzen Reihe an Autoren vernetzt, und es ist interessant zu sehen, wie unterschiedlich mit Leserkommentaren und Rezensionen umgegangen wird. Da sind die einen, die sich nicht davon abhalten lassen, zu jeder neuen Fünf-Sterne-Rezi einen Link zu setzen mit dem Jubelkommentar »Wieder fünf Sterne fürDas Liebesleben der Stabheuschrecken! Danke!«. Bekommt der Autor nur alle drei Wochen eine Rezi, kann ich damit leben. Leider tendieren manche dazu, das täglich zu machen, ohne wirklich darüber nachzudenken, wie es ankommt. Will ich, als befreundete Autorin, über die persönliche Timeline meiner Autorenbekannten so viel Selbstbeweihräucherung lesen? Oder, wenn sie es über ihre Autorenseiten tun: Wie wirkt es auf den Leser, wenn der Autor es nötig hat, sich in jedem einzelnen positiven Kommentar zu wälzen, als handle es sich um eine Kaviarpackung in einem edlen Spa? Die erste, hundertste, tausendste Rezi darf gebührend gefeiert werden, keine Frage. Aber ich möchte nicht Jede. Einzelne. Rezension. ins Gesicht gedrückt bekommen. Bestenfalls interessiert es mich nicht. Schlechtestenfalls macht es mich unglücklich, weil ich keine zehn Fünfsternerezis am Tag bekomme. Weder das eine noch das andere ist von den Autoren beabsichtigt. Sie machen sich nur keine Gedanken um die Wirkung.
Aber das sind nur die Fünf-Sterne-Rezis. Wenn ich sehe, wie manche Autoren auf eine schlechte Rezension reagieren, und schlecht ist in diesem Fall alles unter vier Sternen, wünsche ich mir mit Rücksicht auf meinen Blutdruck, die betreffenden Personen würden doch lieber ausschließlich Positivrezensionen bekommen. Da wird sich empört, gefaucht, geschäumt und gewütet, dass man meint, im Kindergarten gelandet zu sein, und wenn nicht gleich die Weltverschwörung gewittert wird, dann kann es nur der Racheakt eines Neiders sein, eines anderen Autors, der seine eigenen Bücher besser positionieren will, indem er dem Gegner schadet. Und selbst, wenn dann ein besonnener Kommentar meint, dass es doch sein kann, dass dem Leser das Buch vielleicht nicht gefallen hat, wird die größte Keule herausgeholt: die der Objektivität. Eine Rezension in einem Blog, ein zweizeiliger Kommentar im Onlinebuchhandel muss doch objektiv sein! Unabhängig von der eigenen Meinung muss der Leser doch akzeptieren, dass das Buch großartig ist und gut geschrieben! Das sieht man doch an den ganzen Fünf-Sterne-Rezis … Und ich, Autorin, Buchhändlerin, Bibliothekarin, Rezensentin, stehe da und kann nur den Kopf schütteln.
Es gibt keine objektiven Rezensionen, bei Romanen noch weniger als bei Sachbüchern. Wäre es möglich, ein Buch nüchtern, neutral, kalt, berechnend so zu analysieren, dass nur ein einziger Rückschluss zugelassen wird, wie bei der Lösung eines mathematischen Problems, bräuchten wir keine Rezensenten und keine Kundenmeinungen. Wir bräuchten pro Buch eine einzige Rezension, in der exakt vorgegeben ist, wie der Leser das Buch zu finden hat. Auch die Lektoren könnten sich viel Arbeit ersparen. Da ein Buch nur objektiv bewertet werden kann und darf, kann ein Roman, den einmal ein Lektor abgelehnt hat, niemals einen Verleger finden. Und umgekehrt, ein Buch, das einen Lektor überzeugen konnte, muss nicht mehr rezensiert werden: Es ist ja per Definitonem gelungen. Aber wir wissen doch alle, so einfach ist das nicht. Gerade, wenn wir es mit so einem emotionalen Medium zu tun haben wie mit einem Roman. Wir stecken beim Schreiben nicht nur unsere Gefühle hinein, wir wollen auch beim Leser Gefühle erwecken. Und wir werden niemals die volle Kontrolle darüber haben, welche Gefühle das sind.
Ein Rezensent, der meine Roman nüchern, kalt, objektiv und ohne eigene Meinung betrachtet, interessiert mich nicht – weder als Autorin, noch selbst als Leserin auf der Suche nach guter Lektüre. Lesen ist fühlen, lieben, hassen. Ich mag es nicht, wenn eine Rezension mir ausschließlich auf der emotionalen Ebene begegnet, ohne mir Beispiele und Belege dafür zu bringen, was an einem Roman dem Rezensenten gefallen hat und was nicht, und das gilt für positive wie negative Rezis. Wenn da nur steht »Großartiges Buch, muss man gelesen haben!«, hilft mir das genauso wenig weiter als wenn jemand schreibt »Der letzte Mist, bloß weg damit!«. Ich will Argumente. Ich will von der Meinung des Rezensenten überzeugt werden. Aber ich will, das der Rezensent eine Meinung hat, genau wie ich als Rezensentin eine Meinung habe. Als ich noch Buchhändlerin war, habe ich sehr viel Zeit mit Rezensieren verbracht, hauptberuflich. Wenn jemand objektiv an eine Rezi herangehen muss, dann der Buchhändler: Selbst wenn das Buch nicht gefallen hat – wenn es am Lager ist, möchte man es schon irgendwann verkaufen. Und nicht jeder Kunde hat genau den gleichen Geschmack wie man selbst.
Anfangs war das ein großer Eiertanz. Ich wollte es jedem recht machen, die Kunden glauben lassen, dass sie und ich genau die gleichen Bücher lieben, dass wir in unserem Laden nur die Wahl haben zwischen großartigen, ganz großartigen und sehr großartigen Büchern. Dass der Kunde immer recht haben muss. Etc. Das Ergebnis: Niemand hat mir ein Buch abgekauft. Meine Beratungsgespräche waren allesamt für die Katz. Erst, als ich gelernt habe, persönlicher zu werden, meinen subjektiven Eindruck vom Buch nicht rauszurechnen, sondern hervorzuheben, fing es an zu klappen. Einem Kunden sagen zu können, dass ich mit dem Buch, nach dem er mich da fragt, aus diesem-und-jenem Grund weniger habe anfangen können, aber wenn er einen Tipp von mir will, sich doch mal das-und-das anschauen könnte … Leser wollen bei Buchempfehlungen, und nichts anderes sind Rezensionen, als Menschen ernstgenommen werden, und das kann nur ein Rezensent, der selbst ein Mensch ist und kein Analyseroboter. Wären alle Rezensenten objektiv, hätte es im Literarischen Quartett damals nicht den großen Knall zwischen Frau Löffler und Herrn Reich-Ranicki gegeben, über ein Buch, wohlgemerkt.
Als Autorin, die selbst Rezensionen für ihre Bücher erhält, tut es mir sehr gut, dass ich in der Lage bin, subjektiv zu rezensieren. Ich weiß, wie es sich anfällt, ein Buch zu lieben, und auch, wie es ist, ein Buch zu hassen, und wie es sich anfühlt, darüber zu schreiben: dass ich bei einem Buch, das ich liebe, die ganze Welt an meinem Glück teilhaben lassen will und meine besten Argumente zusammenkratze, damit jeder, aber auch wirklich jeder, hingeht und sich das Buch kauft oder ausleiht, um in den gleichen Genuss zu kommen wie ich. Und dass ich bei einem Buch, vor dem ich warnen will, noch bessere Argumente finden muss, um anderen das Gefühl von Ärger und verlorener Zeit zu ersparen. Das heißt, ich argumentiere am Text selbst, aber auf Basis meines persönlichen, subjektiven Empfindens. Ich billige jedem Leser zu, ein Buch nicht zu mögen, noch nicht mal mein eigenes, schon weil ich mir selbst das gleiche Recht herausnehme.
Wenn ich eine negative Rezension erhalte, tanze ich nicht vor Freude an der Decke, und ich kenne auch keinen Autor, der das täte. Wir sind gelegentlich masochistisch veranlagt, aber nicht so sehr – auch wenn es vermutlich ein Gefühl bitterer Genugtuung sein könnte, wenn der Lektor dem Autor gegen dessen Willen eine Änderung reingedrückt hat und der Rezensent dem Buch dann genau diesen Aspekt vorwirft, ist es kein Vergnügen, eine schlechte Rezension zu bekommen. Aber wenn irgendwo bei einer Rezension Objektivität gefordert ist, dann beim Autor im Umgang damit. Mir tun vor allem die Leser leid, die mit einer Erwaertungshaltung an mein Buch herangegangen sind und enttäuscht worden. Leser wollen gute Bücher, und Leser wollen die Bücher, die sie lesen, mögen. Niemand liest ein Buch, nur um es hinterher schlecht machen zu können. Deswegen haben die allermeisten Bücher mehr positive Rezensionen als schlechte – Bücher, die den Leser schon im Vorfeld vergraulen, werden von diesen nicht gekauft, nicht gelesen und zum Glück auch nur in den seltesten Fällen rezensiert. Das ist der Punkt, wo ich mir vom Rezensenten Fairness wünsche: Lest das Buch zu Ende, wenn ihr es rezensieren wollt, oder lest es nicht zuende und rezensiert es nicht.
Man kann sich nach dreißig Seiten so sehr über ein Buch aufregen, dass man es in die Ecke pfeffert und nie wieder in die Hand nimmt. Dann kann man im Bekanntenkreis von dem Titel abraten. Aber man muss sich nicht hinsetzen und eine Rezension schreiben, die am Ende länger ist als der gelesene Teil. Und noch weniger sollte man dem Buch eine sinnleere Sternewertung verpassen, bei der dem interessierten Leser nicht erklärt wird, wie sie zustandegekommen ist. Ohnehin ist das für mich die größte Pest am Rezensionswesen: die Sterne. Ein Buch, und auch das Leserempfinden dazu, sind für mich zu komplex, um in Zahlen umgerechnet zu werden. Wenn ich selbst rezensiere, wird das ein Text mit einem Fazit. Ich vergebe keine Sterne. Meine Liebe zu einem Buch ist kein numerischer Wert. Leser sollen sich selbst ein Bild von der Wirkung des Buches auf den Leser – in diesem Fall mich – machen können. Wenn ich Sterne vorgebe, impliziert das für mich, dass es sich um einen unumstößlichen, absoluten Wert handelt. Meine Rezensionen können und wollen nicht absolut sein. Und ich will, dass sie gelesen werden und nicht nur auf die Zahl am Ende geschielt wird. Darum vergebe ich keine Sterne.
Im Onlinebuchhandel, wo viele, oft wenig begründete Meinungen aufeinandertreffen, haben Sternchen noch eine Daseinsberechtigung. Als Kaufinteressent will ich nicht mehr Zeit damit verbringen, mich durch Kundenmeinungen zu arbeiten, als es dauern würde, das fertige Buch zu lesen. Da will ich kompakt und auf einen Blick einen Eindruck bekommen, wie die Leser im großen und ganzen auf den Titel reagiert haben. Aber ein Buch, das nur hunderte von Vier- und Fünfsternerezis hat und keinen einzigen Verriss, würde ich wohl keines zweiten Blickes würdigen. Ein Buch, das jedem gefällt und jedem gefallen will, ist zu beliebig für meinen persönlichen Geschmack, und ich fühle mich, als wäre mir vorgegeben, das Buch toll finden zu müssen. Ich würde vermutlich auch kein Buch kaufen, das ausschließlich verrissen wurde, selbst wenn ich es mir durchaus in der Bücherei ausleihen würde, um zu sehen, was an der Sache dran ist. Aber wo nur gejubelt wird, entsteht ein unrunder Eindruck, der allzu leicht an gekaufte Kommentare denken lässt.
Wie soll ein Autor auf Verrisse reagieren? Gelassen, und mit der Kirche im Dorf. Auf keinen Fall anfangen, herumzupöbeln – weder auf der Kommentarseite selbst, wo es schon Fälle gegeben hat, dass Autoren beim Großen A regelrecht Amok gelaufen sind, um ihre Kritiker mundtot zu machen, auch nicht im eigenen Blog, wo es Leser abschreckt, dass man ihnen das Recht auf eigene Meinung abspricht, und auch nicht bei Facebook. Jeder Autor, mit dem ich da vernetzt bin, ist gleichzeitig selbst ein potenzieller Leser, und ein ungemein wertvoller: Kann ich einen anderen Autor von meinem Buch überzeugen, kann der seine Leserschaft für mich mobilisieren. Die Empfehlung eines Autors ist eine Menge wert. Und damit sie genau das bleibt, darf ich nicht verlangen, dass jeder von meinem Buch begeistert zu sein hat, oder unterstellen, dass jeder, der mein Buch nicht mag, ein neidischer Konkurrent ist, der mir ans Leder will. Außenwirkung. Autoren vergessen allzu schnell, dass das nicht nur eine positive Sache ist.