Auch 2014 habe ich, wie in jedem Jahr seit 2006, am Nanowrimo teilgenommen. Was einmal ein Geheimtipp war, ist längst ein Riesenapparat mit Hunderttausenden von Teilnehmern – in diesem Jahr waren es knapp über 175.000 – und, auch wenn die Teilnahme selbst weiterhin kostenlos ist, einer großen Geldmaschine im Hintergrund. Kosten für Personal, Technik, Infomaterial etc. gehen in die Millionen. Der Nano finanziert sich durch Spendengelder, und auch ich habe meine 25 Dollar gespendet, aber ein nicht zu verachtender Betrag kommt durch Sponsoren zustande, Großspender, die ein Minimum von 6.000 Dollar beisteuren, dafür auf der Nanowrimo-Seite prominent präsentiert werden und, indem sie über Winner Goodies und andere Lockvogelangebote Naniten als Kunden ködern können, ihr Geld schnell wieder drin haben. Bei 175.000 Teilnehmern ist das eine Lizenz zum Gelddrucken, und die Buchdienstleisterindustrie hat längst dsa große Potenzial einer Aktion erkannt, die jedes Jahr hunderttausend veröffentlichungswillige Autoren auf die Welt loslässt.
Dementsprechend betrachte ich die Sponsorenangebote längst mit Skepsis. Es ist schön, wenn meine eine gute Schreibsoftware wie Scrivener zum halben Preis bekommt, und auch schön, wenn Anbieter wie Createspace oder Lulu siegreichen Autoren gedruckte Exemplare ihres Buches schenken. Andere Angebote sind aber eher von der Sorte, die, was ihre Seriösität angeht, sich zumindest in einer Grauzone bewegen – kostenpflichtige Lektorate und Zuschussverlage, die Naniten ein angeblich besonders günstiges Publishingpaket anbieten, haben hier mit den Naniten ein sicheres Einkommen. Natürlich können sie nicht alle 175.000 Teilnehmer als Kunden gewinnen, aber selbst wenn es tausend, zweitausend, fünftausend sind, ist das ein schneller Gewinn – und dass Autoren nichts für eine Veröffentlichung zahlen sollten, sondern es Aufgabe der Verlage ist, ihre Autoren zu vergüten, daran ändert auch der Nanowrimpo nichts. Eine weitere Gruppe von Nanowrimo-Sponsoren, die seit einigen Jahren vermehrt auftreten, sind kostenpflichtige Autorencommunities und Webseiten. Bieten sie mehr als der Tintenzirkel, der immer kostenlos und werbefrei bleiben wird? Das kann ich nicht beurteilen, ich habe mich bei keiner dieser Online-Kritik-Gruppen und Foren angemeldet. Was Communities angeht, bin ich mit dem Tintenzirkel so ausgelastet, dass ich auch keine andere mehr testen mag. Aber ein anderes Angebot hat meine Aufmerksamkeit erregt: 4thewords.com.
Seit einigen Jahren schreibe ich mithilfe von 750words.com, einer Seite, bei der man virtuelle Plaketten bekommt, je länger man es schafft, 750 Wörter am Tag zu schreiben. Aber inzwischen hat sich das Konzept für mich abgenutzt. Ich habe alle Plaketten, die man bekommen kann, längst gewonnen, und damit ist meine Motivation ziemlich aufgebraucht – die Seite hat mir nichts neues mehr zu bieten. 4thewords scheint eine Weiterentwicklung der Idee zu sein: Das Tagesziel ist niedriger angesetzt, bei 444 Wörtern pro Tag, dafür gibt es neben den Plaketten auch ein System von Erfahrungsstufen, wie man es aus dem Rollenspiel kennt. Wo man bei 750words.com, sobald man einen Tag verpasst, wieder komplett bei Null anfangen muss, was nach einer Siegesserie von über 600 Tagen sehr frustrierend war, behält man hier zumindest seine Stufe und kann die auch weiterentwickeln. Es gibt verschiedene Herausforderungen, für die man seine erschriebenen Punkte einsetzen kann, um mehr Punkte zu gewinnen, und auch die Möglichkeit, Freunde zu individuellen Zwei- oder Gruppenkämpfen herauszufordern. Alles in allem ein verlockendes Angebot. Natürlich ist es nicht umsonst – was ist das schon noch? – aber ein Jahresabo kostet nur rund vierzig Dollar, als Nanowrimo-Sieger bekommt man darauf nochmal sechzig Prozent Rabatt sowie Freimonate. Macht also 15,98 Dollar – was kann man dafür falsch machen? Ich habe also beschlossen, das Versuchskaninchen zu spielen, und mich angemeldet.
Schon bei der Anmeldung informiert die Seite darüber, dass sich 4thewords.com noch im Betastadium befindet und es sein kann, dass man auf Bugs oder Fehlermeldungen stößt. Aber das ist maßlos untertrieben. Tatsächlich ist 4thewords niemals eine Beta, höchstens eine sehr unfertige Alpha, und es funktioniert überhaupt nichts. Mit dem Firefox kann ich meine Wörter auf der Seite noch nicht einmal abspeichern, was zum schmerzhaften Verlust einer ganzen Schreibsitzung geführt hat, weil ich mich auf die Aussage »alle 30 Sekunden findet ein Autosafe statt, außerdem könnt ihr den Speichern-Button nutzen« verlassen habe. Damit kann ich auch keine der anderen Funktionen von 4thewords nutzen, denn wenn das System die Wörter nicht registriert, zählen sie auch weder für Herausfordungen, Siegesserien noch Erfahrungsstufen. Mit dem Chrome kann ich wenigsten meine Wörter – die ich jetzt wie üblich im Scrivener schreibe und dann rüberkopiere, sicher ist sicher – abspeichern und habe ein paar Plaketten gewonnen. Was jedoch nicht funktioniert, sind die Stufenanstiege. Ich erfülle alle Kriterien für Level 2, verharre aber auf Level 1. Andere Benutzer melden im Forum, dass es ihnen ebenso geht. Von ihnen weiß ich auch, dass die Herausforderungen nicht funktionioren – sie kassieren erfolgreich die virtuelle Spielwährung, geben aber keinen Sieg aus, selbst wenn das Ziel erreicht oder übertroffen wurde. Die eingesetzten Münzen und Kristalle sind damit weg.
Im Forum – das diesen Namen praktisch nicht verdient, bietet es doch nicht mehr als sieben vorfertigte Themen ohne die Möglichkeit, neue zu eröffnen – tauschen sich frustriere Mitglieder aus, während die Betreiber mit Abwesenheit glänzen. Immerhin gab es am 5. Dezember ein Lebenszeichen von »Ed«, nach sechswöchiger Funkstille, wo er eingestand, dass sie Probleme haben und auch mit den Supportanfragen nicht nachkommen. Auch meine, die ich wegen des Firefox-Problems am 1. Dezember geschrieben habe, ist bis heute unbeantwortet geblieben. Und so schön es ist, dass man über neue Features abstimmen kann – wiederum unter Einsatz virtueller Münzen – verkommt das zu einem Hohn, wenn noch nicht einmal die allergrundsätzlichsten Dinge funktionieren. Und auch, dass sie jeden Monat ein Viertel ihres Gewinns an eine wohltätige Aktion spenden, worüber ebenfalls mit Münzen abgestimmt wird, dürfte dieses Produkt im Moment, wo es so weit auch nur vom Betastadium entfernt ist, nicht kostenpflichtig sein. Aber wenn auch nur zehntausend siegreiche Naniten tun, was ich getan habe, und sechzehn Dollar für ein subventioniertes Jahresabo abdrücken, sind das 160.000 Dollar, die eine Spende von 6.000 ans Office of Letters and Light, die Nanowrimo-Organisatoren, schnell wieder einspielen, und »Ed« kann die Füße hochlegen, die Seite als verlassenes Produkt im Dauerbetastatus liegen lassen, ohne sich jemals wieder drum zu kümmern, und sich auf Kosten der Autoren einen schönen Lebensabend machen.
Mein Hauptvorwurf hier geht nicht an »Ed«, von dem man nur weiß, dass er in Costa Rica lebt, sondern an das Office of Letters and Light, das sich ungeprüft von jedem sponsern lässt, der seine 6.000 Dollar (oder mehr) abdrückt und erklärt, etwas mit dem Thema Schreiben zu tun zu haben. Auch wenn sich das OOLL irgendwie finanzieren muss – gegenüber den Teilnehmern haben sie trotzdem eine Verantwortung. Der Nanowrimo ist eine Institution, was sie verlinken und empfehlen, bekommt ungeheures Gewicht. Ein unfertiges Windei wie 4thewords, bei dem man nur von Abzocke sprechen kann, wenn nicht gleich von Betrug, auf 175.000 Teilnehmer loszulassen, ist mehr als nur ärgerlich. Auf der Nanoseite fehlt der Hinweis, dass es sich um eine Beta handelt, und auch bei 4thewords wird das zwar auf der Login- nicht aber der Registrierungsseite angezeigt, so dass man erst davon erfährt, wenn man einmal drin ist – vorher kommt man auch nicht an das Forum mit den ärgerlichen Nutzerstimmen. Und dass es möglich ist, einen Monat kostenlos zu nutzen, ohne sich für ein Abo zu entscheiden, haben nur die wenigsten genutzt, weil der Eindruck erweckt wird, die 60% Rabatt nur bei einer Neuanmeldung nutzen zu können. Alles in allem ein ärgerlicher Flop – für mich aber vor allem ein großer Imageverlust für das Office of Letters and Light.
Da es bis jetzt keine Erfahrungsberichte zu 4thewords gibt, bis auf einige Kommentare im Nanowrimo-Forum, die aber bei einer Googlesuche nicht erfasst werden, werde ich diesen Bericht ins Englische übersetzen und hoffen, vielleicht den einen oder anderen warnen zu können. Ich will nicht ausschließen, dass 4thewords doch noch irgendwann fertiggestellt und nutzbar wird. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann ich nur sagen: Finger weg.