Im März sah alles noch so einfach aus. Traumhaus gefunden, auf zum Notar, Renovieren, einziehen. Großspurig habe ich verkündet, dass wir schon ab Sommer in unserem eigenen Haus wohnen würden. Nun, jetzt haben wir es Sommer, und ich sitze in einer viel zu warmen Altbauwohnung, zweiter Stock, um bis zum Umzug ist es noch lang, lang hin. Nicht, dass wir unser Haus nicht mehr haben wollen würden. Aber es wäre deutlich einfacher, wenn auf dem Haus nicht ein Flucht liegen würde. Es geschieht mir recht, man kann sagen, es ist die Rache der geheimnisvollen Häuser an der Mysteryautorin, aber trotzdem: Es wäre uns deutlich lieber gewesen, auf den ganzen Spuk zu verzichten. Aber besser, das passiert alles vor dem Umzug, als dass hinterher alles schiefgeht und wir am Ende auf einer Baustelle sitzen.
Villa Gorilla sollte nie der offizielle Name des Hauses werden. Es entstand als Witz – in unserem Haus hängt, und niemand weiß warum, in einem Zimmer im ersten Stock ein grüner Plüschgorilla am Kronleuchter. Ein Gorilla. Am Kronleuchter. Okay … Man kann darüber lachen, sich darüber wundern, aber letztlich hat es den Ausschlag gegeben, dass wir uns für dieses Haus entschieden haben. Eine herrschaftliche Villa mit Stuckdecken und Marmorboden – das klingt erst einmal viel zu nobel für mich. Aber mit einem Gorilla am Kronleuchter – da weiß ich, dass man in diesem Haus auch verrückt sein darf. Die Kronleuchter kommen weg. Der Gorilla bleibt. Und obwohl wir immer noch planen, das Haus einmal Villa Löwenzahn zu nennen, hat sich der Name Villa Gorilla jetzt einfach festgetzt, und solange der Gorilla da hängt, wird auch der Name bleiben. Und der Gorilla wird da noch ein Weilchen hängen – es ist ja noch nicht unser Haus. Der Notar-Termin im März? Abgesagt. Neuer Termin? Voraussichtlich Ende August/Anfang September. Wenn alles glattgeht. Es wäre deutlich einfacher, wenn nicht jeder, der schon einmal mit diesem Haus zu tun gehabt hätte, tot wäre. Ein richtiger Fluch, eben.
Auf den ersten Blick sollte es kein großes Problem sein: Auf dem Haus liegt noch eine alte Grundschuld. 30.000 Euro, eingetragen im Mai 2004. Solange die Grundschuld auf dem Haus liegt, kann es nicht verkauft werden, sprich im Grundbuch kein neuer Eigentümer eingetragen werden, aber dann nimmt man eben Geld aus dem Kaufpreis, löst die Grundschuld ab, trägt den neuen Eigentümer ein, und alles ist gut … Wenn man denn wüsste, wem der frühere Besitzer dieses Geld geschuldet hat. Oder man ihn zumindest fragen könnte. Aber da hilft nichts, er ist tot, und das seit über zwei Jahren, und der Grundschuldbrief zur Grundschuld unauffindbar. Der jetzige Besitzer, der nichts über das Haus und seine Geschichte weiß, hat es aus der Erbmasse gekauft, die eigentlichen Erben sind unbekannt, und seit wann und durch wen jetzt der arme Gorilla am Kronleuchter hängt, ist wirklich das geringste Problem, wenn man versucht, ein Haus zu kaufen, das überhaupt nicht verkauft werden kann. Im Leben habe ich nicht so viel über Paragraphen und Hypotheken gelernt wie in dieser kurzen Zeit, die sehr lang werden kann, wenn man etwas haben will und es einem immer vor der Nase weggezogen wird.
Aus dem Grundbuch lässt sich eine Geschichte zusammensetzen, die nicht glücklich aussieht. Der Hausbesitzer, ein Handels- und Versicherungsvertreter, ist verschuldet, und niemand wil lihm mehr etwas leihen. 2011 ist das Haus zur Zwangsversteigerung vorgesehen. Die Versteigerung wird abgeblasen, es hat sich noch jemand gefunden, der dem Mann einen Privatkredit gibt, aber der Frieden wärt nicht lange. Ein halbes Jahr später ist der Handelsvertreter tot, gestorben im Alter von nur kapp über sechzig Jahren. Die näheren Umstände? Unbekannt. Erben? Es scheint eine Tochter zu geben, ihr Name steht auf der Klingel und passt zu einer jungen Frau, die vor ein paar Jahren am örtlichen Gymnasium an einer Schultheateraufführung mitgewirkt hat, aber sie hat das Erbe offenbar ausgeschlagen. Andere Erben sind nicht zu ermitteln, zumindest keinen, der das schöne, aber hochverschuldete Haus haben will. Dem Nachlassverwalter gelingt es, die Gläubiger des Privatkredits von 2012 ausfindig zu machen und eine Einigung mit ihnen zu erzielen. Aber die alte Schuld von 2004 bleibt mysteriös.
Um die lange Sache kurz zu machen: Seit Ende Mai, und noch bis Ende August, läuft beim zuständiges Amtsgericht ein Aufgebotsverfahren, bei dem derjenige, der den Grundschuldbrief hat, sich melden kann oder für immer schweigen. Sobald das Verfahren abgeschlossen ist und rechtskräftig, wird die Grundschuld gelöscht, und sollte der Brief danach noch auftauchen, ist er ein teueres Lesezeichen, aber nicht viel mehr. Dann, und keinen Tag früher, gehen wir zum Notar. Und bis dahin bibbern wir, dass der Brief nicht gefunden wird. Es ist ja eigentlich nicht unser Problem, ist ja noch nicht unser Haus, und der jetzige Eigentümer könnte den Gläubiger, sollte er noch auftauchen, aus unserem Kaufpreis bezahlen – aber was einmal 30.000 Euro waren, kann zehn Jahre später mit Zins und Zinseszins 160.000 Euro sein – wir wissen ja nicht, ob der Kredit jemals bedient worden ist, und 18% Verzinsung sind kein Kinderspiel. Theoretisch kann derjenige, der den Grundschuldbrief hat, ein Vorkaufsrecht für das Haus verlangen, und damit wäre unser Haustraum ausgeträumt.
Deswegen vermeide ich noch, den Ortsnamen zu nennen, und poste keine Außenaufnahme – ich will nicht, dass derjenige im Netz darüber stolpert und noch schnell zum Gericht rennt, um uns das Haus wegzuschnappen. Von den drei Monaten, die das Verfahren läuft, ist jetzt die Hälfte durchgestanden, und wir hoffen, die zweite Hälfte geht genauso ereignislos über die Bühne. In der Zwischenzeit bereiten wir alles vor – unseren Kreditantrag, die Handwerkerliste für die Renovierung, den Sachverständigen für die KfW-Fördermaßnahme zum energetischen Sanieren, etc. Die neuen Küchenmöbel sind schon bestellt, seit Ende Mai – geliefert werden sie im November, aber Ikea hat die Küche aus dem Sortiment genommen, und darum haben wir rechtzeitig zugeschlagen, solange die alten Sachen noch lieferbar sind. Die Maklerin war so lieb, mit uns ins Haus zu gehen und alles auszumessen – überhaupt, man denkt ja immer, Makler und Notare sind im Hauskauf ein teures Übel und kassieren Abertausende von Euro für nichts, aber in unserem Fall müssen Makler und Notar mal so richtig arbeiten. Die Notarsgehilfin meinte, so einen komplexen Fall hatte sie noch nie, und unser Bausparberater stimmt ihr da zu …
Wenn ich nochmal ein Buch über ein geheimnisvolles Haus schreibe, wird es nicht damit anfangen, dass das nichtsahnende junge Paar einzieht. Ich werde mit Maklern, Notaren, Bankern, Hypotheken und dem Amtsgericht anfangen. Aber ein Gutes hat die Sache: Wir hatten viel, viel Zeit, uns darüber klarzuwerden, ob dieses Haus wirklich unser Haus ist. Und das ist es. Wir müssen lange drauf warten – aber ich denke, es ist jeden Tag davon wert. Und ihr Budget an unliebsamen Überraschungen hat die Villa Gorilla jetzt auch bestimmt aufgebraucht. Hoffe ich. Ein Fluch reicht da völlig. Zwei müssen es wirklich nicht werden.