Ich liebe alte Häuser – solche, die von einer Aura des Geheimnisvollen umgeben sind und den Charme des Heruntergekommenen an sich haben, die eine Geschichte erzählen wollen oder darauf warten, dass man sie aus ihnen herauskitzelt. Sachen, die zu neu sind, passen nicht zu mir, das gilt für Schuhe und Hosen wie für Häuser. Alles muss ein bisschen abgewetzt sein, damit ich mich damit wohlfühle. Es ist kein Problem, eine Hose im Second-Hand-Laden zu bekommen, aber wenn man sich auf die Suche nach einem passenden Haus macht, ist es schon schwieriger. Aber als wir uns im vergangenen Jahr auf die Suche nach einem passenden Haus gemacht haben, hatten wir den größten Luxus, den man beim Hauskauf haben kann: Zeit. Wir wussten, was wir wollen und brauchen – ein eigenes Haus, am besten freistehend, damit ich mit meinen instabilen Nerven so wenig wie möglich von den Nachbarn hören muss, mit genug Platz, dass jeder von uns ein eigenes Arbeits- und ein Schlafzimmer haben kann, dazu noch ein Gästezimmer und ein kleines Gärtchen, nicht zu groß, nicht zu klein. Soweit die Pflicht. Und dann die Kür: Es soll etwas besonderes sein. Alt, aber nicht schäbig, geheimnisvoll, kurzum etwas, das zu einer Mysteryromanautorin passt.
Ohne meine Vorliebe für alte Häuser hätte ich sicher nicht so etwas wie Das Puppenzimmer schreiben mögen, ein Buch, in dem das Haus quasi die Hauptrolle spielt. Oder Marigold, oder die Mohnkinder, oder das Haus der verschwundenen Kinder. In meiner Gymnasialzeit kam ich jeden Tag an einem wunderschönen alten Haus vorbei, der Villa Bendix in Dülmen, die für mich heute für alles steht, was ich an alten Häusern liebe. Das Haus stand leer, war in keinem guten Zustand, der parkähnliche Garten völlig verwachsen – und alles wunder-wunderschön. Mitschüler erzählten sich, dass noch die alten Möbel im Haus stünden, Fotoalben herumlägen von der Familie, die vor den Nazis nach Amerika geflüchtet und nach dem Krieg nicht mehr zurückgekommen war. Ich habe mich nie getraut, dort einzusteigen und selbst nachzusehen, und heute ist es zu spät. Man sollte meinen, eine Stadt, die noch weniger als dreißig Gebäude aus der Zeit vor dem Krieg besitzt, Kirchen eingeschlossen, würde mit dem, was sie noch an alter Bausubstanz hat, etwas liebevoller umgehen, aber weit gefehlt. Heute ist dort, wo mal mein Traumhaus stand, ein Supermarkt, der Park ein Parkplatz. Ich könnte heulen bei der Vorstellung, und habe es auch schon getan.
Aber wenn man aus einer Stadt kommt, die erst im Krieg schwer beschädigt worden ist – Dülmen als wichtiger Eisenbahnknotenpunkt wurde 1944 so heftig bombardiert, dass noch zwanzig Kilometer weiter die Erde bebte und Fensterscheiben zersprangen – und dann, wo sie gerade dabei war, auch den Großteil der stehengebliebenen Gebäude abgerissen hat, weiß man, dass ein altes Haus etwas Kostbares, Erhaltenswertes ist, das verdient, seine Geschichte hören zu dürfen. 1991, kurz nach der Wende, besuchte ich Verwandte in Potsdam und ging mit großen Augen durch die Stadt: all die schönen alten Häuser! Heruntergekommen vielleicht, aber schön! Die Kommunikation zwischen Ost und West erwies sich als schwierig: Wenn ich mit leuchtenden Augen sagte »Bei uns hätte man die längst abgerissen«, verstand meine neuentdeckte Familie so viel wie »Die alten Gammelbuden gehören doch längst abgerissen!« und nicht »Was für ein Glück, dass die hier stehengeblieben sind!«. Nicht erst da wusste ich, dass ich einmal ein altes Haus haben will. Aber natürlich hat alles seine Schattenseiten. So schön diese gammligen alten Häuser sind, die man im Osten heute noch für einen symbolischen Euro nachgeschmissen bekommt, sie sind ein Fass ohne Boden, wenn es um Sanierung und Renovierung geht. Und mein Mann und ich sind keine Millionäre – natürlich, ich warte noch auf den Weltbestseller, aber bis jetzt hält sich die Welt da doch sehr zurück.
Ein Mittelweg musste her. Ein Haus, das wir uns leisten können, und zwar sowohl zu kaufen als auch wieder herzurichten. Hier in Aachen ist das schwer möglich. Die Immobilienpreise sind hoch, freistehende Häuser unerschwinglich und auch tendenziell zu neu – die alten Häuser, und von denen gibt es viele wirklich schöne, sind Stadthäuser, die Seite an Seite stehen, schön anzusehen, aber mit einer desolaten Parkplatzsituation und im Zweifelsfall Technowumsen durch die Wand. Und unerschwinglich sind sie sowieso. Aber wenn man einmal aus der Stadt raus ist, und das noch nicht einmal zehn Kilometer, findet man genau die bezahlbaren Häuser, die unserem Bedarf und Portemonnaie angemessen sind. Ich mag Aachen wirklich gerne, ich will in der Umgebung bleiben, unsere Freunde sind hier, der Nervenarzt, die Gesangslehrerin, lauter Leute, die sich nicht so einfach austauschen lassen. Schöne alte Häuser bekommt man auch hier nicht nachgeschmissen, und die ersten Besichtigungen endeten in Enttäuschung. Das erste Haus, Baujahr 1930, war außen schön, aber es war innen so unmöglich geschnitten, dass es effektiv unbewohnbar war – mit einer Küche, die noch insgesamt 1,80 Meter hoch war und einem so schmalen Flur, man sich nicht vorstellen konnte, wie man Möbel in das Zimmer an seinem Ende bekommen sollte. Das nächste Haus, von 1890, war so feucht, dass in einem Zimmer der Fußboden weggemodert war, der Anbau, in dem sich die Badezimmer befanden, hatte kein Dach mehr, und selbst wenn wir das alles restauriert hätten, wäre uns immer noch eine Treppe geblieben, die so steil war, dass ich mich nur rückwärts hinuntertraute – kein Ort zum Altwerden, so viel stand fest.
Und dann kam unser Haus. Baujahr 1900, eine herrschaftliche Villa mit Burgblick, ruhig gelegen, aber nur fünf Gehminuten vom Bahnhof entfernt, mit allem Geschäften des täglichen Bedarfs in Gehweite, auf einem Berg gelegen und alles wunder-wunderschön. Zu schön um wahr zu sein, und wir wollten es eigentlich nur pro forma besichtigen, damit ich es wieder aus dem Kopf bekommen konnte, so wie die anderen Häuser. Eine alte Villa, erschwinglich und optimal gelegen – wir wussten, da kann etwas nicht stimmen. Ich rechnete mit muffigem Gestank, mit modrigen Dielen, mit einem Sanierungsbedarf, der den Kaufpreis effektiv verdoppeln würde. Stattdessen wurde das Haus mit jedem Zimmer schöner. Natürlich ist einiges daran zu tun – angefangen damit, dass es eine komplett neue Heizung braucht, weil es gegenwärtig nur Nachtspeicheröfen hat und man dann auch gleich mit Banknoten heizen kann. Aber alles im Rahmen. Und ich wusste, es ist mein Haus. Es gab noch zwei Interessenten, die es auszustechen galt – ein Wettlauf, denn derjenige, der zuerst »Die Finanzierung steht!« schreibt, bekommt den Zuschlag – aber ich war bereit, zuzuschlagen, und das tat ich. Am Karnevalssamstag haben wir das Haus besichtigt, Rosenmontag hat alles geschlossen, Dienstagsmorgen hatte ich unseren Bankberater am Telefon, Mittwochmorgen den Termin mit dem Bausparvertreter, und Mittwochmittag habe ich zugesagt, unter Vorbehalt, weil wir erst noch mit einem Sachverständigen durchs Haus wollten. Verliebt oder nicht, wir sind ja nicht ganz blöd. Aber auch der Sachverständige hat keinen Klops finden können. Haus und Sanierung sind bezahlbar.
Und jetzt sitzen wir hier und warten auf den Vertrag vom Makler. Dann geht es ans Werk – Energieberater, Handwerker, Heimwerken. Und dann, noch in diesem Sommer, ziehen wir um, in unser eigenes Hollyhock. Wenn alles glattgeht, und natürlich geht nie alles glatt, aber ich bin auf dem Weg in mein Traumhaus. Und weil das gebührend dokumentiert gehört, werde ich in Zukunft in diesem Blog nicht mehr nur noch über meine Schreibfortschritte berichten, sondern auch über unseren Haustraum: Wie es ist, was draus wird, und auch, warum man es Villa Gorilla nennt.