Seit dem ersten Oktober ist es soweit: Ich bin ganz offiziell keine arbeitslose Bibliothekarin mehr, sondern Freiberufler. Alternativ kann ich mich auch als »Familienmitversichterte Ehefrau« beschreiben und die Berufsbezeichnung Hausfrau wählen, aber das würde weder mir, noch meinem Haushalt gerecht werden. Das letzte Jahr über, seit mein Arbeitsvertrag nicht verlängert worden ist, habe ich vor allem eines getan: Geschrieben, geschrieben, geschrieben. Ich hatte vor, mich als Autorin selbständig zu machen, also habe ich einfach so getan, als ob ich schon eine selbständige Autorin wäre, mit dem entsprechenden Arbeitspensum und der nötigen Disziplin. Dass ich damit kein Geld verdient habe, ist jetzt nicht so wild – auch als Schriftstellerin mit Buchvertrag wird man selten reich, und ich darf nicht vergessen zu erwähnen, dass ich ohne meinen lieben Mann diesen Entschluss sicher nicht so hätte treffen können. Aber er steht hinter mir, hat mich das ganze Jahr über klaglos ausgehalten, und jetzt, wo es akut wird und das Arbeitslosengeld ausgelaufen ist, zahlt es sich endlich aus.
Ich habe schon alle Formulare ausgedruckt und gebe sie morgen in die Post, um mich beim Finanzamt ganz offiziell freiberuflich zu melden. Das Schöne am Schriftstellersein ist, dass man dafür keinen Gewerbeschein braucht, aber natürlich braucht man eine Steuernummer und in meinem Fall, das ich Mehrwertsteuer abführen will, auch eine Umsatzsteueridentnummer. Ich muss Buchhaltung machen und Vorsteuern anmelden – endlich bringt es mir einmal etwas, dass ich eine kaufmännische Ausbildung habe und vor der IHK als Jahrgangsbeste meine Prüfungen abgelegt habe. Was mich aber am meisten freut, ist, dass das Versteckspielen endlich ein Ende hat. Ich kann sein, wer ich sein will, ich darf ganz offen eine verrückte bisexuelle Sozialistin sein, ohne mir Sorgen machen zu müssen, mein Arbeitsvertrag könne nicht verlängert werden oder ein Vorstellungsgespräch zu meinen Ungunsten ausstellen.
Andere fürchten die Selbständigkeit wegen der Unsicherheit, nicht zu wissen, was im kommenden Jahr die Rechnungen bezahlt – aber wer die Jahresverträge des Öffentlichen Dienstes gewöhnt ist und in ständiger Gefahr lebt, ans andere Ende der Republik umziehen zu müssen, weil dort gerade eine Schwangerschaftsvertretung zu haben ist; wer zwei eigentlich unbefristete Stellen während der Probezeit verloren hat, für den ist das Angestelltenverhältnis die größte Unsicherheit überhaupt. Ich habe gearbeitet, als hätte ich ein Fallbeil über mir hängen, das jeden Moment herunterkommen kann, wenn ich nur einen Fehler mache, und wer so arbeitet, der macht auch Fehler. Ich hatte mit schweren Depressionen zu kämpfen, war das halbe Jahr über krank oder zumindest in schlechter Verfassung, hatte Schlafstörungen, die es um so schwerer machten, rechtzeitig zum Arbeitsbeginn wieder auf der Matte zu stehen, und habe damit wiederum meinen Arbeitsplatz gefährdet – für mich ein echter Teufelskreis.
Ein Jahr später habe ich die Dosierung meiner Psychopharmaka deutlich reduzieren können – ein Medikament ganz abgesetzt, eines nur noch bei Bedarf, und vom Dritten nehme ich statt 300mg/Tag nur noch 100mg und gehe im Februar auf 50mg Erhaltensdosis runter. Ich habe seit anderthalb Jahren keine Psychose mehr gehabt. Das heißt nicht, dass ich geheilt bin – die Symptome würden wieder zurückkommen, sobald ich mich wieder dieser Stress-und-Angst-Maschinerie aussetzen würde. Aber jetzt bin ich meine eigene Chefin, und ich habe mir zugesichert, dass es ein unbefristetes Arbeitsverhältnis ist und ich die Probezeit längst erfolgreich überstanden habe. Und jetzt, nachdem alle äußeren Bedigungen geschaffen sind, kann ich auch das klitzekleine Stückchen Voraussetzung nachholen und endlich einen Buchvertrag unterschreiben. Details will ich nicht verlauten lassen, bevor ich nicht einen Vertrag schwarz auf weiß in Händen halte und ein Foto von mir, wie ich unterschreibe, die Verlagshomepage ziert, aber freuen darf ich mich trotzdem schon. Es sollten einfach jeden Tag Puppenköpfe in mein Bett fallen.