Dass ich ein leidenschaftlicher Computerspieler bin, ist ja kein Geheimnis – während ich meinen Laptop fast ausschließlilch zum Schreiben benutze, ist der große Rechner mehr ein Spiel- denn ein Arbeitszeug. Aber während ich schon viele Nächte in meinem Leben durchgezockt habe, vorzugsweise mit Diablo II oder World of Warcraft, ist es mir noch nie im Leben passiert, dass ein Computerspiel die Kontrolle über mein Leben übernommen hätte – niemals, bis jetzt. Schuld ist ein Rollenspiel mit Namen Dragon Age: Origins. Normalerweise finde ich die Bezeichnung »Rollenspiel« für ein PC-Spiel vermessen: Ich bin als Pen-and-Paper-Rollenspielerin gewöhnt, Handlungsfreiheit zu haben, eigene Entscheidungen zu treffen, mit anderen zu interagieren und die Persönlichkeit meines Charakters prägen zu können, während ich am PC nur mit Glück das Aussehen des Helden verändern kann oder sehr vage Entscheidungen treffen, die wenig Auswirkungen auf den Ausgang des Spieles haben. Es ist einfach zu viel vorgegeben, als dass ich mich frei bewegen und entfalten könnte.
Auch Dragon Age hat einen Plot, in dem ziemlich viel vorgegeben ist, man kann sich nicht dafür entscheiden, den Erzdämon zum Teufel zu schicken und sich lieber als Schneider zur Ruhe zu setzen, und doch hat man mehr Möglichkeiten, das Spiel zu prägen als anderswo. Es gibt verschiedene Charakterhintergründe, die sich durch die ganze Handlung ziehen, und ob man Mensch, Elf oder Zwerg ist bestimmt mehr als nur das Aussehen und den Stärkewert. Die Welt ist eine düstere, aber immer noch ziemlich klassische Fantasy-Welt, sehr detailliert ausgearbeitet, mit ein paar Wendungen, die man anderswo noch nicht so hatte – so sind die Elfen z.B. nicht die übliche edle Hochkultur, sondern leben zusammengepfercht in Ghettos menschlicher Städte, wo sie kaum besser als Sklaven behandelt werden, und die Magier haben die Wahl, sich komplett der Kontrolle der Kirche zu unterwerfen oder als Abtrünnige gejagt zu werden. Und in kürzester Zeit war ich in diese Welt so sehr eingetaucht, dass ich eigene Geschichten dort ansiedeln möchte oder »richtiges« Rollenspiel machen.
Die Handlungsfreiheit selbst ist nicht so neu. Wie bei anderen Bioware-Spielen, wie Knights of the Old Republic oder Mass Effect, und in Ansätzen beim zehn Jahre alten Neverwinter Nights, kann man im Verlauf der Handlung teils weitgehende Entscheidungen treffen. Aber mein Herz schlägt mehr für Fantasy als Science Fiction, und hier fesselt mich die Handlung wie ein Roman, ist aber durch die Interaktivität für mich viel intensiver. Ich denke wie mein Elf. Ich fühle seinen Zorn, als seine Freundin verschleppt und geschändet wird. Ich teile seinen Hass auf die Menschen, die sein Volk schlechter behandeln als die eigenen Hunde. Ich fange an, zaghaft Vertrauen zu fassen, lerne Freundschaft, verliere mein Herz, finde anderswo die Liebe, und wenn ich am Ende schlaflos in meinem Bett liege, führen die Figuren in meinem Kopf ihre Dialoge weiter, Stunden und Stunden lang. Ich spiele meinen Elfen nicht mehr, ich bin er. Kaels Leben ist mein Leben.
Es mag eine Autorenkrankheit sein. Ich bin daran gewöhnt, Herz und Hirn an fiktive Figuren zu verlieren, fremde Welten zu bewohnen und Leben zu leben, die nicht meine sind. Mich aufzureiben an Fragen, die für mein tatsächliches Leben völlig irrelevant sind. Zwiesprach zu halten mit Leuten, die es nicht gibt. Und so weiter. Aber darüber hinaus war ich immer schon gut darin, mich in ungesundem Maße in Geschichten, eigene wie Fremde, hineinzusteigern, stärker als ich das von meinen Autorenfreunden kenne. Und als mich nun das Spiel vor eine Entscheidung stellt, die ich nicht treffen kann, bedeutet das den Weltuntergang. Ich habe zwei Optionen: Die eine erscheint mir moralisch falsch wie nur irgendwas und zerstört alles, wofür ich gekämpft habe. Die andere bedeutet meinen Tod. Für Kael ist das keine große Frage, er gibt sein Leben. Aber ich will nicht, dass er stirbt, ich hänge doch so sehr an ihm…
Ich habe im Leben noch keine Fanfiction geschrieben und hätte auch nicht mehr erwartet, dass mich auf meine alten Tage und bei meinem angestrebten Leven an Professionalität noch mal die Lust darauf packen würde, und hier stehe ich nun, habe nichts als meinen Elf im Kopf und würde ihm am liebsten ganze Romane widmen. Und es wäre ja noch nicht einmal echte Fanfiction, schließlich ist er doch mein eigenes Geschöpf und nicht eine fremdersonnene Figur, aber da er doch durch seine Welt geprägt wurde, durch seine Erlebnisse und seine Umgebung, wäre es doch ziemlich weit entfernt von meine üblichen Geschichten, die komplett auf meinem Mist gewachsen sind. Neben den Sachen, an denen ich derzeit arbeite, weil ich mir einen Erfolg davon verspreche, wäre Fanfiction reine Zeitverschwendung – so etwas Unerhörtes, schreiben nur aus Spaß an der Freud! Und so suche ich mir schon Schlupflöcher.
Wenn ich einen High Fatasy-Roman mit Elfen schreibe, ich habe da ein Konzept im Hinterkopf, kann ich dann vielleicht Kael irgendwo in die Handlung einbauen? Ob es wohl möglich ist, ihn so weit aus der Dragon Age-Welt loszulösen, dass niemand mehr etwas davon merkt? Immerhin habe ich auch Roashan aus seiner ursprünglichen Rollenspielwelt erfolgreich in eine eigene Umgebung überführt, ohne dass er gelitten hätte, und das Erfebnis ist ein Buch geworden, auf das ich über alles stolz bin. Der Unterschied zur Gauklerinsel ist aber, dass ich Roashan direkt zur Hauptfigur gemacht und die Geschichte um ihn herum erzählt habe – während meine Elfengeschichte in ihrer Konzeption nicht von Kael handelt, sondern von Adimas und Landras, zwei früheren Pen-and-Paper-Rollenspielfiguren, die mit Kael letztlich nur die spitzen Ohren gemeinsam haben. Nicht, dass ich nicht gerade große Lust auf diese Geschichte habe, aber wäre das wirklich ein Ersatz für mein ungeschriebene Fanfiction?
Ich werde mich einfach am Riemen reißen. Im Moment gibt es eine Figur, die mich wirklich dringender braucht, und das ist Percy. Wenn ich die Schattenuhr fertig habe, kann ich immer noch weitersehen. Bis dahin soll mein Elf sich darauf beschränken, eine Bildschirmpersönlichkeit zu sein. Und eine kleine Ecke in meinem Herzen kann ich ihm auch so noch freihalten.