Und plötzlich ist es aus. Eben noch schreibt man jeden Tag zehn Seiten an seinem Lieblingsbuch, da ist es auch schon fertig. Zugegeben, ich musste in die Verlängerung gehen, denn nachdem ich das Buch für fertig erklärt hatte und das letzte Kapitel an meine Betaleser rausgeschickt, mit dem unbefriedigenden Gefühl, das Ende versemmelt zu haben, bin ich nochmal kritisch über das, was ich geschrieben habe, drübergegangen – und es las sich nicht wie ein versemmeltes Ende. Es las sich überhaupt nicht wie ein Ende. Es war mehr so, als hätte ich meinen Betas eine alte Version des Kapitels geschickt, in dem die letzte, entscheidende Szene noch gar nicht drin was. Was sich beim Schreiben wie ein einigermaßen starker letzter Satz angefühlt hatte, war mehr, als würde man bei voller Fahrt aus einem Eisenbahnwaggon springen und brüllen »Ich bin am Ziel!« – viele Meilen vor dem nächsten Bahnhof. Was für ein Glück! Es gibt Problemszenen, da merkt man nicht so eindeutig, was dran falsch gelaufen ist. So habe ich mich am anderen Tag hingesetzt, noch eine Szene geschrieben, mich gefreut, dass mir Percy noch einen Tag länger erhalten bleibt, und das Kapitel ein zweites Mal an die Betas verschickt. Die ersten Rückmeldungen sind positiv ausgefallen.
Und da steh ich nun und weiß nicht, was ich tun soll. Nein, das ist falsch! Ich weiß genau, was ich tun soll. Ich soll Geisterlied zuende schreiben, meinen Nemesis-Roman, der mir den Nanowrimo 2008 ruiniert hat und der letztes Jahr als offizieller Zweitroman eine neue Chance bekommen und genutzt hat. Dieses Buch habe ich schon vor vier Jahren mit dem Wolfgang-Hohlbein-Preis im Hinterkopf konzipiert, und unbestätigten Gerüchten zufolge soll die nächste Runde dieses Wettbewerbs dieses Jahr auf der Leipziger Buchmesse ausgeschrieben werden – da soll das Buch fertig sein. Es fehlen vielleicht noch hundert Seiten – das kann doch so schwer nicht sein! Aber genau das ist es. Ich musste, um den Nanowrimo zu gewinne, unter großem Druck am letzten Tag die entscheidende Szene rausrotzen und war gar nicht glücklich damit, und daran jetzt anknüpfen müssen… Ich will meinen Percy behalten! Ich will sein zweites Buch schreiben, sofort! Aber wenigstens darf ich es schon mal plotten. Dieses Aufs-Schreiben-Freuen vor dem Nanobeginn hat schon den Mohnkindern gutgetan, und ich will, dass die Fortsetzung noch besser wird. Und irgendwann soll Geisterlied ja auch mal fertig werden nach so vielen Jahren.