Es ist mal wieder an der Zeit, mich dem Dreißig-Fragen-Stöckchen zuzuwenden, damit ich noch in diesem Leben damit zum Ende komme, als geht es nun weiter mit der nächsten Frage:
4. Erzähl uns von einer deiner ersten Geschichten/Figuren!
Strenggenommen müsste ich mit Pombo anfangen, wenn ich nicht zugeben müsste, dass ich bis auf seinen Namen so ziemlich alles über ihn vergessen habe. Ich muss damals irgendwas um die vier Jahre alt gewesen sein, und die Geschichten von Pombo habe ich mir erzählt, wenn ich in den Bettkasten meiner Eltern geklettert bin, der eine vortreffliche Höhle abgegeben hat. Hätte ich die Geschichten bloß auch mal jemand anderem erzählt! So weiß ich nur noch, dass Pombo im Eis eines Sees eingefroren war (ob nur mit den Füßen oder Ganzkörper, ist nicht überliefert) und dort auf den Frühling warten musste. Und das war’s auch schon. Abgang Pombo. Aber um so mehr Eindruck hat sein Nachfolger hinterlassen, der Räuber Buddelmann. Und nein, damit ist nicht mein neuer Hamster gemeint, so treffend für den die Bezeichnung auch wäre.
Der Räuber Buddelmann entstand, als ich fünf Jahre alt war und meine Eltern im Urlaub ein Bauernhaus in Ostfriesland hüteten. Es war kein Ferienhaus, und zum Schlafen hatte ich eine Matratze auf dem Boden eines Zimmers, in dem eine Reihe großer Masken an der Wand hing – afrikanisch, möchte ich heute vermuten, aber da es keine Fotos davon gibt, kann ich nur in der Erinnerung kramen. In jedem Fall sind große Masken an der Wand für ein kleines Kind durchaus unheimlich, vor allem, wenn es eigentlich schlafen soll und es draußen dunkel ist, und so erzählte mir mein Vater zu den größten Masken Geschichten – wie der König Kasawubu und sein Hofmarrschall nicht ins Haus gelassen wurden und daraufhin von außen ihre Köpfe durch die Wand gestreckt haben, dass wir heute nichts von ihnen sehen können als ihre maskenähnlichen Gesichter. Da ich für Geschichten immer zu begeistern war, und mein Vater nicht jeden Tag mit neuen Geschichten zur Verfügung stand, fing ich an, mir selbst Geschichten zu den übrigen Masken auszudenken. Und so erfand ich den Räuber Buddelmann.
Leider sind die ersten Geschichten um den Räuber Buddelmann ebenso der Vergessenheit anheimgefallen wie die von Pombo, und bis ich mit sieben oder acht Jahren meine erste schriftlich festgehaltene Geschichte Zirkus in der Stadt, ein Abenteuer mit Löwenjagd und unlösbarem Plotproblem am Ende, verfasst habe, sind meine Ideen leider nicht mehr gut nachzuvollziehen, fest steht jedoch: Der Buddelmann blieb erhalten und diente der Erheiterung meines Vater, meiner Geschwister und mir selbst. Später, als Teenager von fünfzehn Jahre oder so, begann ich, eine Reihe von neuen Geschichten um den Räuber Buddelmann aufzuschreiben, die von anarchistischem Witz sprühten oder zumindest sprühen sollten und von einem Mann handelten, der, etwas begriffstutzig und die Dinge immer wortwörtlich nehmend, beschloss, ein Räuber zu werden, um diesen alten Beruf nicht untergehen zu lassen. Er kleidet sich im Karnevalsfundus ein, sucht sich eine Höhle und trifft die verschiensten Berufszweige, alles im Namen der Satire, und ich wünschte, ich könnte den Hefter mit diesen Texten irgendwo finden – so erinnere ich mich nur an einen grünen Schnellhefter mit maschinengeschriebenen Kurzgeschichten. Der Besitz eines Computer hat doch einiges für sich.
Heute ist der Räuber Buddelmann nur noch eine Anekdote aus meiner Vergangenheit, wie so viele alte Geschichten, aber doch jemand, auf den ich immer gerne zurückblicke. Zwar ist mein Vater überzeugt, dass er es war, der sich den Räuber damals ausgedacht hat, und es hilft auch nicht viel, wenn ich ihn statt dessen an den König Kasawubu erinnere – man billigt mir zu, dass ich ein extrem gutes Gedächtnis habe auch für meine Vorschulzeit, aber da ich nichts beweisen kann, steht es Aussage gegen Aussage, und da gilt doch eher das Recht des Älteren. Meine satirischen Buddelmann-Geschichten jedenfalls waren die direkte Reaktion auf ein Werk aus der Jugend oder Studienzeit meines Vaters, mehrere Seiten Maschinenschrift, per Umdrucker vervielfältigt – die Geschichten vom Scheiß-Karl . Ich möchte nicht behaupten, dass mein Vater meine literarischen Ambitionen teilt oder jemals geteilt hätte, aber irgendwoher muss ich das ja schon irgendwie haben. Meine Mutter, um auch deren Ehre zu retten, hat als junge Frau ein Märchenbilderbuch geschrieben und illustriert. Das sind also Gene von beiden Seiten, Fantasy und Anarchie – und wirklich, auf das, was daraus bei mir geworden ist, kann ich stolz sein.