Münchwärts

In den letzten beiden Jahren habe ich meine Agenten jeweils auf der Frankfurter Buchmesse getroffen, und es war jedesmal großartig, auch wenn der Tag mit viel Stress verbunden war und frühes Aufstehen erforderte. Aber in diesem Jahr bin ich einen Schritt weiter gegangen. Ich konnte nämlich nicht mehr bis zur Buchmesse warten. Ich will Berufsautorin werden, jetzt, sofort, und wie ich das anstellen kann, dafür wollte ich die Strategie mit meinen Agenten besprechen – vor der Messe, damit sie dort schon die Ergebnisse vorstellen können. Ganz dreist habe ich mich also selbst in München eingeladen, und meine Agenten haben auch sofort gesagt, dass sie mich gerne treffen wollen. Nur bei der Terminplanung gab es Probleme: Die Gröners waren nämlich erst noch in ihrem verdienten Urlaub, und die Termine, die dann in Frage kamen, überschnitten sich alle mit dem Oktoberfest – und während dieser Zeit in München eine bezahlbare Pension zu finden ist ein Ding der Unmöglichkeit.

Aber wofür habe ich den besten Autorenkreis der Welt, den Tintenzirkel? Ich habe also eine Anfrage gestellt, ob jemand mich im fraglichen Zeitraum aufnehmen kann, und ich hatte Glück: Mika, auch wenn wir uns noch niemals begegnet sind, bot mir eine Ledercouch in Pasing, und ich habe zugeschlagen. Natürlich ging mir dann erstmal der Arsch auf Grundeis. Auf was hatte ich mich da eingelassen, übernachten bei jemandem, den ich gar nicht kenne? Natürlich, Mika und ich batteln uns im T12 um das Jahresziel von 500.000 Wörtern, da lernt man sich schon ein bisschen kennen, aber reicht das aus? Auch Mika merkte dann irgendwann, auf was sie sich eingelassen hatte, und als wir uns dann endlich gegenüberstanden, gab es erstmal das große Beschnuppern – aber bis es soweit war, hatte ich eine Odysee hinter mir.

Frohgemuts war ich am Donnerstag Morgen von Aachen mit dem Zug aufgebrochen, um von Köln mit dem ICE nach München zu fahren. Ein Fensterplatz im Ruheabteil, eine Tasche voll Bücher, da sollte einer angenehmen Fahrt nichts im Wege stehen. Aber der Zug war nicht nur gut gefüllt, es war auch der Wurm drin. Kurz vor Frankfurt Flughafen kam die Durchsage – dreimal auf Deutsch und nie auf Englisch, so dass die internationalen Reisenden am Ende alle sitzengeblieben sind, weil sie nicht wussten, was los war – dass die hintere Zughälfte, in der ich saß, am nächsten Bahnhof wegen Wagenschadens enden würde und alles in die vordere Hälfte umsteigen sollte. Da ich nett war und von einem sitzengebliebenden Reisenden zum nächsten ging, um auf Englisch den Sachverhalt zu erklären, war der Zug, als ich endlich vorne ankam, völlig vollgestopft, und das mit Münsterländern, die laut grölend mit Dosenbier das Oktoberfest vorfeierten.

Ab Stuttgart hatte ich wenigstens wieder einen Sitzplatz, aber es war stickig und laut und schrecklich, und als ich in München ankam, eine ganze Stunde verspätet, war ich völlig fertig. Wenigstens habe ich eine Bestätigung über die Verspätung bekommen, dass mir jetzt ein Viertel des Fahrpreises erstattet wird, und das ist kein schlechter Trost. Währenddessen hatten Mika und Nina, eine Tintenzirklerin, die ich immerhin schon kannte, im Starbucks ausgeharrt und auf mich gewartet, und dann ging es in die Schandgeige, ein tolles Mittelalterlokal, wo es leckeres Essen und einen netten Autorenstammtisch gab, und meine anfänglichen Sorgen lösten sich ganz schnell in Luft auf, als sich herausstellte, dass auch Mika eine Rollenspielerin ist und ihr Freund, mit dem sie zusammelebt, Physiker ist – Gamer und Geeks, was will ich mehr?

Die Ledercouch, gut, die war ein bisschen schmal, aber wenigstens nicht schmaler als ich, und irgendwann hatte ich es auch raus, wie ich liegen musste, ohne dass sich meine Decke dauernd selbständig machte, und am anderen Morgen (oder etwas später, hüstel) war ich dann auch gut ausgeschlafen. Den Großteil des Tages verquatschte ich dann mit Mika – zwar wollten wir uns eigentlich ein Schreibbattle liefern, aber dazu kam es nie – bis ich dann per Tram und U-Bahn nach Schwabing zu den Gröners machte. Im Gepäck: Mein Laptop, nur für den Fall der Fälle, und eine Präsentationsmappe mit dem ersten Kapitel vom Haus der Puppen, einer Zusammenfassung (der allerdings das noch ungeplottete Ende fehlte) und eine schicke Teaserseite mit einem tollen Bild, das ich auf Deviantart gefunden habe – da die Künstlerin auf meine Anfrage, ob ich das Bild verwenden darf, nicht reagiert hat, kann ich es hier leider nicht wiedergeben – und ich war sehr stolz auf mein Werk und auch wieder sehr aufgeregt.

Aber das Treffen war genauso toll wie die Vorhergegangenen. Ich merke immer wieder, dass ich mit den Beiden auf einer Wellenlänge bin, und wir haben uns ebenso prächtig wie fruchtbar unterhalten. Meine Agentin war, was für ein Glück, vom Puppenhaus so begeistert, dass sie es sofort nach Frankfurt mitnehmen will – und ich habe eingewilligt, es bis dahin zuendezuschreiben, selbst wenn mir noch ein Schluss fehlt und ich zwar eine Ahnung habe, wie das Buch enden soll, aber noch nicht weiß, wie ich dahinkommen kann. Aber sie unterstützen meinen Wunsch, mich als Autorin selbständig zu machen, und setzen jetzt alles daran, dass ich den nötigen Vertrag bekomme, ohne den ich keinen Antrag auf Selbständigkeit stellen kann. Dazu gab es spanisches Essen, mein erster Ausflug in ein Tappas-Restaurant, und es war ein phantastischer Abend, der leider viel zu schnell vorüberging.

Danach lag leider nicht nur halb München zwischen mir und Pasing, sondern auch die Theresienwiese, und jetzt, um halb zwölf in der Nacht, war die Zeit, da die Massen heimwärts wankten. Schnell war meine Tram völlig überfüllt und die Luft so alkoholgeschwängert, dass man fast schon von Passivsaufen sprechen muss. Außerdem mussten wir dauernd anhalten, weil Menschen auf den Gleisen waren, und zu allem Überfluss hat mir auch noch ein Betrunkener, der vom Schoß seines Kumpels abrutschte, dabei vors Knie getreten, was aber erst am anderen Tag wirklich wehgetan hat. Doch einem ansonsten großartigen Tag konnte das keinen Abbruch mehr tun. Ich habe mich prachtvoll mit Mika verstanden, einen schönen Abend mit meinen Agenten gehabt, und große Pläne für die Zukunft – was will man mehr?

Die Rückreise war dann das genaue Gegenteil der Hinfahrt. Der Zug, fast leer und ganz pünktlich, war angenehm und ruhig, daheim erwartete mich ein heißer Tee, und danach konnte ich nur noch von meinem großen Abenteuer schwärmen. Erst zum späteren Abend hin trat langsame Ernüchterung ein. Die Buchmesse ist eine Woche früher, als ich sie im Geiste gelegt hatte. Bis zur Buchmesse – besser wohl ein paar Tage davor – muss Das Haus der Puppen fertig sein, und bei Licht betrachtet habe ich nur noch Plot für einen Tag. Aber das soll dem Glück keinen Abbruch tun. Ich habe bis jetzt noch alles geschafft, was ich schaffen wollte, und wenn ich es jetzt hinkriege, ist es ein doppelter Sieg – denn dann weiß ich, dass ich das Berufsautorentum nicht fürchten muss. Ich will es tun, weil ich es liebe – kann man etwas schöneres über seine Arbeit sagen?

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