Ein Fall für Achim

Ich wollte immer Krimis schreiben. Bevor ich mich 1993/94 auf Fantasy konzentrierte, habe ich es mit Mörderjagden versucht. Meine Detektive hatten genug Profil, um eine ganze Reihe tragen zu können – da war der schräg-geheimnisvolle Orion West, der immer neue Geschichten für das Fehlen seines rechten Daumens hatte, und der gerne verhinderte, auf die Abschussliste zu kommen, indem er allen Verdacht auf sich lenkte und damit für den Mörder ein sanftes Ruhekissen darstellte, oder das »Stümper-Team«, eine Gruppe aus einer verhinderten Autorin, einem klein geratenen Schauspieler und einem korrupten Polizisten, die Verbrechen im englischen Hinterland aufklären sollten. Der Schönheitsfehler lag nur darin, dass meine Morde nicht aufzuklären waren, und Orion West, Alison Ellisson und die ganzen anderen nie dazu kamen, ihre wahre Genialität unter Beweis zu stellen.

Aber ich habe diesen Traum nie aufgegeben. 2005 wäre ich um ein Haar eine Drei-Fragezeichen-Autorin geworden, vermittelt durch die großartige Astrid Vollenbruch: Ich hatte ein Exposee, eine Leseprobe, guten Kontakt zur Redakteurin – und dann bekam ich eine Vollzeitstelle, hatte keine Zeit mehr für Auftragsschreibereien (das war vor meinem ersten Nanowrimo, und mein Zeitmanagement war effektiv nicht vorhanden), und so bin ich dann von dem Plan zurückgetreten, auch wenn ich immer noch finde, dass ich einen guten Plot hatte und noch ein paar interessante Fälle im Hinterkopf. Heute bedaure ich das noch mehr als meine Entscheidung, als Drehbuchschreiberin für Richterin Barbara Salesch auszusteigen – ich bin mit den Drei Fragezeichen aufgewachsen und liebe die Geschichten immer noch über alles. Jetzt, sechs Jahre später, habe ich Lust, einen neuen Vorstoß in Richtung meines alten Traumes zu machen – und helfen soll mir dabei ein Mann namens Achim.


Achim ist ein Produkt meiner Phantasie, aber er ist kein Romancharakter. Vielmehr soll er als Autor in Erscheinung treten. Hintergrund ist, dass ich nicht wie meine Freundinnen aus dem Tintenzirkel einen Jugendthriller zu schreiben gedenke, der sich an ein primär weibliches Publikum richtet, sondern eine Detektivgeschichte – von mir als eine Art Anti-TKKG konzipiert – die auch die Jungen erreichen soll. Ich weiß nicht, ob an dem Vorurteil, dass Jungen keine Bücher lesen, die von Frauen geschrieben wurden, was dran ist, aber ich bin bereit, mich da dem Markt entgegenzubewegen, als auf Risiko zu setzen (das tue ich schon mit der Geschichte selbst, aber dazu später mehr). Männliche Pseudonyme für Autorinnen haben ja Tradition, ich erinnere an George Sand, Currer, Ellis und Acton Bell oder George Eliot. Oder an Joanne K. Rowling, die ihre Harry Potter-Bücher nur als J.K. publizieren durfte, damit ihr Geschlecht nicht zu präsent war auf den Büchern. Beknackt, nicht wahr? Als ob Mächen keine Bücher von Männern lesen würden… Aber Jungen sind eine umschwärmte und schwer zu packende Zielgruppe, während Mädchen, so hat man manchmal das Gefühl, jeden Mist lesen oder zumindest von den Verlagen so behandelt werden.Aber ich brauche sowieso ein Pseudonym für eine Serie von Jungenddetektivgeschichten. Ich habe schon zuviele Eisen im Feuer, und mein Name soll nicht verbrennen, bevor ich auch nur ein Buch auf dem Markt habe. Ebenso wie Grey ihre Blutgabe unter Pseudonym veröffentlicht hat, damit ihre Obsidianstadt immer noch als Debut behandelt werden kann, bin ich bereit, meinen überdimensionierten kreativen Output unter verschiedenen Namen herauszubringen. Ich habe auch eine Lisa in der Hinterhand, als die ich bereit bin, meine Jugendromanzen und Feenbücher auf den Markt zu bringen. Aber ich will, dass meine Vielseitigkeit und mein Genie trotzdem erkannt werden, und darum haben Achim Silja und Lisa Jachim eine Sache gemeinsam: Es sind beides Anagramme von meinem Namen. Ich hoffe, ich komme damit durch. Ich liebe es, was für schöne Sachen sich mit meinem Namen, für den ich so oft gehänselt wurde und der ebensooft falsch ausgesprochen und/oder geschrieben wirde, möglich sind.

Die Serie, mit der Achim Silja durchstarten soll, heißt Alpha³. Als Detektive treten drei Jugendliche – zwei Jungen und ein Mädchen – an, aber ich habe wenig Lust, den endlosersten TKKG-Klon mit Quotenfrau und dicksten Freunden zu schreiben. Daher können sich, zumindest am Anfang, die drei Helden nicht ausstehen und arbeiten nur als reines Zweckbündnis zusammen, bei denen sie die Fähigkeiten der anderen ausnutzen in der Absicht, sich selbst zu profilieren. Zumindest für Jerôme, das Mastermind, gilt das. Der Dreizehnjährige hat keine Freunde und ist auch noch stolz darauf, fühlt er sich doch dem Pack intellektuell so weit überlegen, dass er noch nicht mal sicher ist, ob er überhaupt ein Mensch ist oder nicht doch ein Monster oder höheres Wesen. Er hat soziopathische Gefühle und ist außerstande, sich in andere Menschen hineinzuversetzen – dafür ist er ein großer Manipulator und talentiert in vielen Wissensbereichen, vor allem Naturwissenschaften wie Physik und Chemie. Er setzt alles daran, statt seines piefigen Mittelstadtsgymnasiums auf ein Internat für Hochbegabte zu kommen, was seine Eltern nicht einsehen, und legt es sogar darauf an, durch besonders asoziales Verhalten aufzufallen, damit eventuell das Jugendamt für seine artgerechte Unterbringung aufkommt.

Als einer seiner Mitschüler spurlos verschwindet, stürzt sich Jerôme auf den Fall – er will beweisen, dass er alle anderen, Erwachsene eingeschlossen, in die Tasche stecken kann. Leider rennt er bei der Spurenermittlung in zwei Klassenkameraden, die offenbar den gleichen Gedanken hatten: Außenseiter wie er, sind der tierliebe Naturfreund Florian und Computerfreak Valentina ihm schon den entscheidenden Schritt voraus, dass Jerôme keine andere Chance sieht, als sich mit ihnen zu verbünden, will er nicht seine Fälle davonschwimmen sehen. Da sie keine andere Gemeinsamkeit erkennen, als dass ihre Nachnamen – Arnold, Abel, Alijew – mit einem A anfangen, wählen sie Alpha³ als Bandennamen. Dass sie mit der Zeit erkennen, dass es im Team wirklich am Besten geht und dass sie vielleicht doch das eine oder andere verbindet, versteht sich von selbst, und in späteren Bänden wird sich da sicherlich eine Freundschaft entwickeln.

Aber erst einmal muss ich das Konzept an den Mann bringen. Die Risiken sind hoch – auch wenn die ersten Reaktionen auf das Anti-Team sehr positiv waren und die Leser es vielleicht mal begrüßen werden, wenn die Helden eben nicht solche dauergrinsenden Strahlemänner sind wie Tarzan Tim, Karl, Klößchen und Gaby, ist Jerôme für einen Jugendbuchprotagonisten vielleicht doch etwas arg extrem. Um Flo und Valla mache ich mir da weniger Sorgen, ist ist sicher nicht kontrovers, einen weiblichen Geek und männlichen Baumknutscher zu haben, und sollte ein Moppelchen für so ein Detektivteam Pflicht sein, werde ich Valentina die nötigen Pfunde auf die Rippen schreiben, um nicht wie bei der gräßlichen Gaby immerzu ihr bildschönes Äußeres beschreiben zu müssen (Gaby ist auch der Grund, warum ich TKKG immer gehasst und lieber die Drei Fragezeichen, die ganz auf ein Quotenmädchen verzichten, gelesen habe). Die Fälle können einen leichten Mystery-Touch bekommen, wenn das die Vermarktbarkeit erhöht, und wenn ich im September meine Agenten besuchen fahre – so ist es zumindest geplant – gedenke ich, ein Exposée im Gepäck zu haben. Ach ja. Noch ein neues Projekt. Wenn ich jetzt nur die Zeit zum Schreiben hätte!

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