Einige Wochen habe ich vergnügt am Gefälschten Herz gearbeitet, bis ich das Ende meines Plots erreicht hatte (woher kennen wir das nur?). Dann habe ich zwei Kapitel für Zornesbraut geschrieben, das dritte/fünfte Buch der Chroniken der Elomaran. Und schon liegt beides wieder auf Halde, und ich habe mich endlich einem Herzensprojekt zugewandt: Dem Haus der Puppen. Die Idee dazu ist bald ein Jahr alt, sie kam mir letzten August auf einer Busfahrt von der Arbeit nach Hause – manchmal staune ich über mich selbst, zu welchen kreativen Höhenflügen ich nach Feierabend noch fähig bin, wenn ich eigentlich völlig erschöpft bin und mich nur nach heißem Tee und einem Bett sehne. Im Februar 2000 habe ich auf dem Heimweg angefangen, die Elomaran zu schreiben, und letztes Jahr waren es eben die Puppen.
Schreiben wollte ich das Buch ursprünglich schon im letzten Nanowrimo – aber als ich zwei Wochen vor dem Start immer noch nicht mehr Plot hatte als an jenem Augustnachmittag, habe ich es kurzfristig wieder auf Eis gelegt, in Null-Komma-Nix Geigenzauber aus dem Boden gestampft, geplottet und geschrieben, und auch wenn meine Puppen mir immer wie ein tolles Buch erschienen, wußte ich nicht, ob ich das jemals schreiben kann. Alle Zutaten sind da: ein geheimnisvolles Herrenhaus, Star zahlreicher unsäglicher und weniger guter Mysteryromane, die ich schon immer so gern lese. Puppen, gruselig, bleich und kalt, wie ich seit Jahren liebe und sammeln würde, hätte ich das Geld und den Platz dafür. Und Feen. Habe ich erwähnt, dass ich Feen toll finde, schöne, arrogante Bastarde, die sie sind? Angesiedelt im Jahr 1908, einer Epoche, die ich grundsätzlich hinbekommen müsste – aber es fehlte irgendwie das entscheidende Element, das den Plot ins Rollen bringt.
Recherchiert habe ich. Die BBC-Dokumentationen The 1900 House und The Edwardian Country House brachten mir die Zeit nahe und, sehr wichtig, die hierarchischen Strukturen eines Landhauses im fraglichen Zeitraum. Aber ich schreibe keine historischen Romane, sehr zum Leidwesen meiner Mutter – wenn es nach der ginge, hätte ich schon längst Die Tochter des Goldmachers geschrieben, die Räuberpistole aus dem Jahr 1785, die meine Eltern beim Ahnenforschen ausgegraben haben. Ich fühle mich mit dem Genre nicht wohl, ich lese diese Bücher selbst nicht, und ich habe keinen Spaß daran, eine vorgefertigte Geschichte nachzuerzählen, selbst wenn sie spannend ist und sich wirklich ereignet hat. Ich schreibe Mystery, Fantasy, Phantastik, und mir war von Anfang an klar, dass ich kein Eins-zu-Eins Sittengemählde des Jahres 1908 schreiben will. Und dann stieß ich auf die Baby Farmer.
Ich liebe ja Kriminalfälle, gerade die historischen. Ich habe mich durch Gerichtsakten gelesen, durch die Wikipedia, durch Bücher und Webseiten. Manchmal nimmt das zwanghafte Züge an, ich fange irgendwo an und kann nicht mehr aufhören, und nenne die Ermordeten meine Dämonen. Trotzdem, irgendwann wird mir dieses umfangreiche Fachwissen etwas nutzen – so wie ich kürzlich bei einem USA-Aufenthalt mit meiner Kenntnis verschiedener Brandkatastrophen punkten konnte – und als ich die Baby Farmer entdeckte, machte es sofort Klick, und ich wusste, die brauche ich für mein Puppenhaus. Es handelt sich um ein entsetzliches Phänomen der viktorianischen Zeit und darüber hinaus, die Fälle, die meine Webseiten schilderten, stammten aus England und Australien.
Babyfarmer nahmen für Geld Kinder in Pflege – überflüssige, unerwünschte Kinder, für die es in Ordnung war, wenn sie irgendwo verschwanden, und nach denen niemand fragte. Die armen, oft un- oder anderweitig verheirateten Mütter zahlten stillschweigend, froh, von der Schande verschont zu bleiben, und die Babyfarmer hielten fleißig ihre Hände auch – selbst wenn die Kinder längst nicht mehr lebten oder in die Adoption weiterverkauft worden waren. Die Fälle, die bekannt wurden, verursachten natürlich großes Medienecho und öffentliches Entsetzen – immerhin ging es um unschuldige Kinder, vorwiegend Säuglinge, die wehrlosesten Opfer überhaupt. Viele dieser Frauen – alle Babyfarmer, von denen ich gelesen habe, waren Frauen – wurden zum Tode verurteilt. Und es musste schon damals viel passieren, ehe man eine Frau hinrichtet.
Wie genau jetzt meine Baby Farmer mit den Feen zusammenhängen, weiß ich noch nicht, aber ab dem Moment begann sich der Plot Stück für Stück zu entfalten. Ich weiß, dass die Puppen verpuppte Kinderseelen sind, die sich in geschützter Umgebung von den Traumata ihres Lebens loslösen, bis sie am Ende nur noch Seelen in Reinform sind, leer, ohne Persönlichkeit oder Erinnerung. Ich weiß, wofür die Feen sie brauchen, und warum. Ich weiß, wofür Florence da ist, und warum. Alles fügt sich zusammen, auch wenn meine Mutter mit dem Plot nicht viel anfangen konnte, ihn zu kompliziert fand und wieder mit den Goldmachern ankam – außerdem hat sie noch nicht begriffen, was für einen Ausstoß ich mit dem T12 habe und dass ich in den letzten Monaten vier Romane fertiggestellt habe, und findet, ich habe zu viele verschiedene Geschichten.
Aber ich schreibe nicht nur für meine Mutter. Eher für meine Agentin, und die hat sich aus einer Aufstellung meiner aktuellen und geplanten Geschichten das Puppenhaus als ihren zweiten Favoriten rausgepickt, und als würdigen Nachfolger für Geigenzauber, auch wenn die Leser dann vielleicht denken, ich kann nur Feen. Wenn ich es schon schaffe, jemandem allein mit dem Exposée eine Gänsehaut zu verpassen, habe ich zwar einiges an Arbeit vor mir, vor allem muss ich aufpassen, dass ich die Stimmung nicht ruiniere – vor allem aber habe ich wieder Spaß an meiner Geschichte. Hollyhock Hall, ich komme! Lang geplant wird endlich gut. Und bis der Nano anfängt, will ich damit fertig sein.