Panik vor Mitternacht, oder: Albatros!

Mein Laptop ist kaputt. Ärgerliche Sache, das: Eigentlich ist der Techniker nur gekommen, um mein Motherboard auszutauschen, denn der Akku wurde nicht mehr richtig geladen. Ansonsten lief das Gerät aber gut, und ich konnte zumindest im Netzbetrieb daran arbeiten wie gewohnt. Nur als der Techniker fertig war und alles wieder zusammengebaut hat, erkannte der Laptop seine Tastatur nicht mehr und wollte auch nicht mehr hochfahren. Und weil der Techniker nur auf Motherboard eingerichtet war und nicht auf Tastatur, ist er wieder gefahren, um später wiederzukommen. Das war Freitag, und obwohl ich für teures Geld ein Next-Workday-Servicepaket gebucht habe, wird das ganze natürlich erst morgen in Ordnung gebracht.

Bis dahin arbeite ich an meinem alten Laptop. Den habe ich immer gern gehabt, auch wenn die Tastatur ziemlich klappert im Vergleich zu meinem neuen und der Proz langsamer ist, es ist auch nur Gnome drauf installiert und nicht KDE, woran ich gewohnt bin – die Hardware reicht nicht mehr aus, um ein aktuelles KDE flüssig zu betreiben. Vor allem aber hat der Einschaltknopf einen Wackler, und das Teil fährt nur noch hoch, wenn es gerade Lust hat. Am Freitag habe ich ihn in Gang gebracht, und seitdem läuft er im Dauerbetrieb, stehts nachts im Wohnzimmer auf dem Tisch, damit mich sein Brummen nicht beim Schlafen stört. Aber immerhin, es läuft Write or Die drauf, und das heißt, ich kann arbeiten. Theoretisch.

Praktisch fing ich heute um halb elf Uhr abends an zu schreiben, nach großem Heulen und Zähneklappern, denn ich hänge mitten im Finale, muß die Zitadelle sprengen und habe Angst, die Szene in den Teich zu setzen, nichts ist so schlim wie ein ruinierter Schluß. Aber mein Freund hat mir gut zugeredet, und ich hatte ein paar Sätze für den Szeneneinstieg im Kopf, und so machte ich mich ans Werk. Die Zeit eilte, denn vor Mitternacht mußten 750 Wörter im Kasten sein, damit ich bei 750words.com meinen Status als Albatros zu halten – 30 bis 100 Tage, an denen jeweils 750 Wörter geschrieben wurden – und nicht auf den eines Eies zurückgesetzt zu werden. Also, ich fing an zu Schreiben, Satz reihte sich an Satz, Wörter flossen aus meiner Feder, und um zwanzig nach elf waren 893 Wörter im Kasten. Theoretisch.

Denn als der Text fertig war, habe ich ihn in die Zwischenablage kopiert, wie ich es immer tue, und wollte ihn in mein Dokument einfügen. Es ging nicht, ich klickte etwas hektischer – und merkte, daß sich das System weggehangen hatte. Der Mauszeiger ließ sich noch bewegen, doch darunter war alles eingefroren. Ich hatte 893 Wörter, und ich kam nicht mehr an sie ran. Panik. Heulen. Zähneklappern. Was tue ich mit einem weggehängten Gnome? Ich bin ein KDE-User, ich will meinen Klipper haben, um die Zwischenablage zu verwalten, und überhaupt, mein neuer Laptop, mein KDE, die stürzen nicht einfach ab! Wenn der Text jetzt weg ist? Den krieg ich doch nie wieder so hin! Und so weiter…

Das rettende Bildschirmfoto

Aber ich habe ja ein neues Handy. Ein Smartphone. Da kann ich im Internet mit surfen, und das tat ich dann auch, recherchierte mein erfrorenes Gnome und fand heraus, das sich die Fenster noch mit Alt+F4 schließen ließen, wenn auch sonst nichts mehr funktionierte. So schloß ich vorsichtig Fenster um Fenster, bis ich mein Write or Die freigelegt hatte. Ich war schon bereit, den Text erst abzuschreiben und dann nach erfolgter Arbeit abzutippen, und ich wußte, vor Mitternacht schaffe ich das auf keinen Fall, mein Albatros-Status ist perdu, die Januar-Challenge verloren, alles hin, hin, hin… Dann hatte ich die rettende Idee. Smartphone hat auch Kamera. Ich fotographierte also den Screen ab – auf und ab scrollen konnte ich tatsächlich noch, über die Tastatur, so daß ich mit drei Fotos tatsächlich den ganzen Text im Bild hatte. Dann schickte ich mir die Bilder per Mail.

Ich wechselte an meinen Desktop-Rechner. Der läuft mit Windows und wird hauptsächlich für Spiele und zum Fernsehen genutzt, schreiben kann ich nicht gut daran, aber geschrieben hatte ich ja schon, und keine Lust, das gleiche nochmal zu schreiben, wenn es auch anders ging. Texterkennungssoftware mußte her. Zwar war noch nichts installiert, aber es war erst fünf nach halb zwölf, das sollte reichen. Die Recherche ging schnell, meine Wahl fiel auf die Testversion von ABBYY FineReader, eine Wahl, die ich noch bitter bereuen sollte. Denn die Installation dauerte… und dauerte… und dauerte. Zwölf Uhr nahte, der Albatros war in echter Gefahr – schließlich entschloß ich mich zu schummeln und drehte meine Zeiteinstellungen auf 750words.com um eine Stunde zurück, geschrieben hatte ich schließlich vor Mitternacht, und als das Programm endlich installiert war, lud ich die Fotos rein – ziemlich dunkel und nicht so gut wie echte Screenshots, aber besser als nichts – und ließ die Texterkennung drüberlaufen.

Es klappte. Meine letzten OCR-Erfahrungen lagen zwölf Jahre zurück, damals waren die Ergebnisse ein niederschmetternder Buchstabensalat, der letztlich ein Buch von mir das Leben kostete – ich hatte nur einen Ausdruck vom Siegelstein, die Dateien in einem Crash verloren, und hatte keine Lust, die fünfzig Seiten neu abzutippen. Das habe ich bis heute nicht, und an der Geschichte weitergearbeitet ebensowenig. Egal, so toll war sie auch nicht – aber diesmal hatte es geklappt. Ein paar komische Zeichen, ansonsten alles in Butter. Ich speicherte alles doppelt und dreifach, lud den Text auf 750words.com hoch, stellte die Uhr wieder zurück: Ich bin immer noch ein Albatros, meine Strähne liegt bei genau 50 kontinuierlichen Tagen, alles in Butter. Endlich war es also okay, den Laptop abzuschießen und warmzustarten.

Meine erste Tag nach dem Booten war, in den Ordner zu schauen, wo Write or Die, wenn alles gut geht, die geschriebenen Texte speichert. Und da war eine Datei, datiert auf den Moment des Programmschließens: writordie1.27.2011-0.22.txt – und da standen sie, meine 893 Wörter. Alle Panik, alle Rettungsaktionen, alle Recherchen und Installationen und Texterkennungen waren überflüssig. Die Zeit hätte ich ruhig zum Schreiben nutzen können. Aber da man das immer erst hinterher weiß, ist es mir doch lieber, es so gemacht zu haben. Jetzt warte ich auf den Donnerstag. Und auf den Techniker, der mir meinen richtigen Laptop wieder heile macht. Denn eine Sache ist schon mal klar: Der Techniker ist ja auch Schuld an allem, was heute abend schiefgelaufen ist.

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