Gut voran geht es in diesem Jahr mit dem Nanowrimo, aber das ist nicht weiter verwunderlich, alles andere wäre auch eine Schande. Seit Beginn des Jahres habes ich über 350.000 Wörter geschrieben, weitere 60.000 liegen noch vor mir, da ist ein erfolgreicher Nanowrimo eine Selbstverständlichkeit. Ein wenig haben wir, die wir uns der Herausforderung des T12 gestellt haben, dem das Besondere des Nanowrimos geopfert, und ähnlich einem Junkie, der immer größere Dosen braucht, um seinen Kick zu erreichen, brauche auch ich immer größere Herausforderungen.
Als ich mich 2006 für meinen ersten Nano angemeldet habe, ging ich nicht davon aus, daß dieses Ziel überhaupt schaffbar wäre – es war mehr, als ich in den beiden vorangegangenen Jahren zusammen geschrieben hatte. Aber es war meine einzige Chance, noch vor dem Einsendeschluß aus meiner Idee für den Rowohlt-Jugendbuchwettbewerb zu machen, und was hatte ich zu verlieren? Doch dann lernte ich eine Nanitin aus der Nachbarschaft kennen, die Lokalpresse berichtete, Passanten fragten mich nach meinem Fortschritt, und nun, wo die Ehre auf dem Spiel stand, konnte ich auch meinen Arsch zusammennehmen und das Buch schreiben. Ich habe den Rowohltwettbewerb nicht gewonnen, aber immerhin, Der Schattenstein ist ein gutes Buch geworden.
Im Jahr drauf schrieb ich Lichtland und stand unter dem Druck, wieder gewinnen zu müssen, nachdem ich mir einmal gezeigt hatte, daß ich es kann. Der Ehrgeiz und die Verbissenheit, mit der ich vorging, nahm alle Leichtigkeit aus dem Wettbewerb, und auch wenn ich jeden Tag mein Pensum schrieb, war es stellenweise mehr Krampf als Kampf. Das Ergebnis war gut, wenn ich das Buch auch im Jahr darauf vor die Wand gefahren habe, aber die Siegesserie wurde vor allem fortgesetzt, weil ich das mußte, und was ich am letzten Tag schrieb, war für die Tonne, und das wußte ich, während ich es schrieb – so etwas möchte ich als Autor nicht noch einmal machen müssen.
2008 war das Jahr des Zusammenbruchs. Es war das erste Mal, daß ich während des Nanos berufstätig war, noch dazu in Vollzeit, und innerhalb der ersten vier Tage erkannte ich, daß ich auf eine Psychose zusteuerte, wenn ich so weitermachen wollte. Die Belastung war zuviel, und weil ich nicht meine Arbeit aufgeben konnte und wollte, habe ich den Nano abgebrochen. Ich bereue das heute noch immer, auch wenn es die richtige Entscheidung war, und daß Geisterlied immer noch in den Anfängen liegt, obwohl es so ein tolles Konzept ist, bedaure ich auch. Aber ein gutes hatte die Sache: Der Fluch, jedes Jahr gewinnen zu müssen, war gebrochen.
Davon habe ich 2009 profitiert. Der Druck war raus: Ich konnte gewinnen, mußte es aber nicht, immerhin habe ich immer noch gearbeitet, wenn auch nur auf halber Stelle, und konnte wieder wie 2006 einfach sehen, wie weit ich komme. Ich hatte zwei Asse im Ärme: Das eine war das Programm »Write or Die«, mit dem ich bis heute meine Wortzahlen nur so runterrotze, und das andere war, daß Die Gauklerinsel das größte Vergnügen war, das man als Autor nur haben kann. Da platzte der Knoten, ich hangelte mich nicht mehr an meinen Tageszielen entlang, sondern schrieb locker meine zweitausend Wörter am Tag und kam am Ende auf legendäre 63.000 Wörter hinaus.
Und jetzt haben wir 2010. Nano unter völlig neuem Vorzeichen, aber das ist nur gut so, denn wenn jeder Nano gleich verliefe, wäre das ja langweilig. Ich habe, wie es inzwischen fast Tradition ist, Mitte Oktober mein geplantes Konzept in die Tonne getreten – nur 2008 habe ich schon ab September an meinem Buch geplant, und das war wohl zuviel, um es dann auch wirklich zu schreiben – und mir eine neue Geschichte aus den Fingern gesogen, Geigenzauber, eine bezaubernd leichte Teenieromanze über ein Mädchen mit einer manisch-depressiven Mutter, das in den Bann einer Fee gerät und sich am Ende zwischen zwei Welten entscheiden muß. Die Arbeit fließt mir aus den Fingern, alles ist so gut, daß es schon fast wieder langweilig ist, und wenn das Endergebnis etwas taugt, wird es für den Massenmarkt aufpoliert, denn ich denke, es könnte dort eine Chance haben.
Bis es soweit ist, verfolgt ein süßer kleiner Counter meine Fortschritte, und weil ich das Glück hatte, daß bei den angebotenen Graphiken auch eine Geige dabei war, ist das hier nun selbstverständlich mein Geigerzähler. Und das ist auch der inoffizielle Arbeitstitel meines Buches.