Ich habe mehr als eine schlechte Eigenschaft, aber eine, die doch ziemlich häufig von anderen enttarnt wird, ist mein Futterneid. Vielleicht kommt das, weil ich so viele Geschwister habe und immer Angst haben mußte, daß die mir was wegessen, aber auch wenn ich das gar nicht will und es meinem Bestreben, ein paar Kilos loszuwerden, entgegenwirkt, achte ich doch immer sehr darauf, beim Essen nicht zu kurz zu kommen. Einem meiner Meerschweinchen ist sein Futterneid zum tödlichen Verhängnis geworden, weil es wohl Angst hatte, wenn es zu lang überlegt, ob dieser saftige Efeu genießbar ist, fressen ihm die anderen den weg – aber habe ich daraus gelernt? Nein. Ich achte immer noch mit Argusaugen darauf, daß ich auch wirklich das größte Stück vom Kuchen bekomme. Es ist lästig und garstig, aber so bin ich nun mal.
Aber als Autorin ist das bei mir etwas ganz anderes. Eine Autorin, die ich über alles schätze und herzlich lieb habe, hat das große Los gezogen. Wirklich. Sie hat binnen kürzester Zeit zwei Buchverträge bekommen – eigentlich sogar drei, denn der zweite beinhaltet nicht nur einen Toptitel im Hardcover, sondern auch einen Folgevertrag für ein noch zu schreibendes Buch. Es ist das, was jeder von uns gerne hätte, der als Autor groß rauskommen möchte. Doch so sehr ich es auch versuche, ich kann sie einfach nicht beneiden – ich freu mich nur. Wenn man mich fragt, ob ich gern an ihrer Stelle wäre, schüttel ich den Kopf, denn wenn ich an ihrer Stelle wäre, wär sie ja an meiner und hätte den tollen Vertrag nicht mehr, und dann wäre keinem von uns geholfen. Natürlich, ich hätte auch gern sowas. Aber selbst wenn ich im Restaurant sehe, daß die Frau am Nebentisch etwas extrem lecker aussehendes auf dem Teller hat, will ich ihn der nicht wegnehmen, und als Autorin ist das noch extremer.
Man braucht keinen literarischen Futterneid. Es ist nicht so, daß es jetzt keine Verträge mehr gibt, nur weil Grey einen bekommen hat – ich kann immer noch einen bekommen, wenn es so weit ist; es gibt nicht nur genau dieses Würstchen und genau diese drei Kartoffeln und genau dieses Stück Kuchen – es gibt Kartoffeln und Würsten und Kuchen für alle, wenn sie nur gut genug sind und den Geschmack des Lektors treffen. Natürlich, auch Verlage haben Budgets. Aber ich habe noch nie eine Absage bekommen mit der Begründung »Ihr Buch ist phantastisch großartig, aber wir haben unseren Etat schon ausgeschöpft.«
Und das heißt jetzt: Ich kann mich für Grey so sehr freuen, wie das nur irgendwie möglich ist, und dem Moment entgegenfiebern, wo ihre Bücher erscheinen, und glücklich sein, daß ich so eine tolle Autorin kenne. Sie ist das Beispiel dafür, daß wir es schaffen können; daß Autoren nicht nur irgendwelche Namen auf Buchrücken sind, sondern Menschen, die es wirklich gibt, und wenn es eine Sache gibt, um die ich sie doch beneide, dann höchstens, daß sie es schon in so jungen Jahren geschafft hat. Aber sonst? Vielleicht bin ich einfach zu gut für diese Welt. Aber ich freu mich.