Wenn es eine Sache gibt, die ich wirklich immer gerne tue, ist das Vorlesen. Ich habe meinen Geschwistern vorgelesen, als sie noch kleiner waren und sich über Gute-Nacht-Geschichten freuten, und als sie und ich älter wurden, habe ich andere Ausreden gefunden, ihnen vorzulesen – vorzugsweise die Bücher, die ich selbst gerade mit Begeisterung gelesen hatte. Ich erinnere mich noch zu gut, wie ich meiner Schwester »Das letzte Einhorn« in Gänze vorgelesen habe, und weiß bis heute nicht, ob sie mich nur zu lieb hatte, um Nein zu sagen, oder ob sie da genauso viel Spaß dran hatte wie ich selbst.
Aber das reichte mir nicht. Ich wollte immer theaterspielen, aber die Theater-AG meiner Schule war so elitär, dass man ohne persönliche Empfehlung noch nicht mal zum Vorsprechen durfte, und so blieb mir das Vorlesen als nächstbeste Sache. Als ich so sechzehn, siebzehn Jahre alt war, nahm ich meinen Mut zusammen und marschierte ins Altersheim meiner münsterländischen Heimatstadt, wo ich erklärte, dass ich gern den alten Leuten vorlesen würde. Egal was sie hören wollten, ob Rosamunde Pilcher oder Agatha Christie, selbst Konsalik hätte ich angefasst, solange man mich nur vorlesen ließ. Die Frau an der Rezeption notierte sich meine Telefonnummer, ich ging nach Hause – und hörte nie wieder etwas davon.… Weiterlesen