Besser als gedacht

Bereits Anfang 2019 hatte ich die Idee für einen neuen High Fantasy-Mehrteiler, eine Geschichte, wie ich sie immer schon einmal schreiben wollte: Retro-Fantasy vom Feinsten, eine Sammelqueste auf der Suche nach neun göttlichen Artefakten, getragen von einer Gruppe schillernder Figuren. Es juckte mich in den Fingern, sofort damit loszulegen, aber ich durfte nicht: Erst einmal musste ich meine Neraval-Sage fertigstellen, von der da gerade der erste Band erschienen war und Teil zwei und drei noch ausstanden. So schrieb ich nur einen Prolog und ein Probekapitel um die Abenteuer des von mir liebervoll Nekro-Andi genannten Totenbeschwörers Andreu Madun, hatte Spaß daran, und wandte mich wieder meinen Fälschern zu.

Erst, als da der dritte Band auf seine Fertigstellung zusteuerte, wagte ich es wieder, meine Tränenjäger hervorzuholen, denn ich witterte eine große Chance für diese Geschichte: Das Phantastik-Autorennetzwerk PAN hatte sein erstes Stipendium ausgeschrieben, das ich durchaus gut brauchen konnte, für ein in Arbeit befindliches Werk, der Förderungszeitraum schloss genau an den Abgabetermin des »Gefälschten Landes« an, und der einzureichende Umfang entsprach genau dem einen Kapitel, das ich schon hatte. So machte ich mit, erwartete nicht viel – und gewann.

Der Sieg selbst verpasste mir Auftrieb, die damit verbundene Anerkennung war genau das, was ich nach der durchwachsenen Kritik für mein »Gefälschtes Siegel« brauchte, und nachdem sonst alle Preise in der Phantastik ohne mein Zutun vergeben wurden, war es schön, endlich einmal etwas zu gewinnen.… Weiterlesen

Verloren – gefunden

Vor einem Jahr hatte ich einen gewonnen Nanowrimo in der Tasche und konnte mich nicht darüber freuen. Dabei hätte ich allen Grund gehabt, stolz auf mich zu sein: Nicht nur hatte ich in einem Monat knapp über 50.000 Wörter an meiner »Neunten Träne« geschrieben – ich hatte parallel dazu im gleichen Monat auch noch das gesamte Lektorat des »Gefälschten Landes« absolviert. Es hatte mich kräftemäßig in die Knie gezwungen, das schon, meine Energie war noch nie überragend, aber ich hatte trotzdem all das bewältigt, ohne mich davon kleinkriegen zu lassen … Und doch war ich am Boden. Ich hatte den Nanowrimo gewonnen, aber etwas für mich viel, viel wichtigeres verloren: Die Kunst zu schreiben. Und ich war überzeugt, sie so schnell nicht wiedergewinnen zu können.

Den Schuldigen hatte ich schnell im Verdacht. Im gleichen Herbst war die Medikation für meine Schizophrenie umgestellt worden, von dem Mittel, das mich zehn Jahre lang aus dem Biorhythmus rausgekickt hatte zu einem, mit dem ich einen regelten, fast schon normalen Tagesablauf fahren konnte: Nun fürchtete ich, für diese Normalität den für mich höchsten Preis gezahlt zu haben. Meine Phantasie war versiegt. Ich hatte keine Ideen mehr. Und wo sonst im Nanowrimo ein Einfall den nächsten jagt, schindete ich einen Monat lang nur Wörter auf Basis von einem groben Plotkonstrukt, das ich Monate vorher geplottet hatte.… Weiterlesen

Hörner voran und ab durch die Wand

Elf Jahre ist es her, da hatte ich die Idee zu einem Märchen, oder besser, eine Parodie darauf. »Die gehörnte Prinzessin« war der Arbeitstitel, die Hauptfigur die liebreizende Prinzessin Floradora, die von der Bösen Fee™ verwünscht wird und fortan ein paar stattlicher Widderhörner an ihrem Kopf trägt. Von den Eltern für zu unansehnlich zum Herzeigen befunden, kommt Floradora auf das Dunkelwald-Internat von Fräulein Griselda und Fräulein Gräulich, während daheim im königlichen Palast eine mechanische Puppe, die Floradora bis auf die Hörner aufs Haar gleicht, ihren Job beim täglichen Winken vom Balkon übernimmt. Doch als Floradora im Dunkelwald-Internat ankommt, muss sie feststellen, dass die Dinge nicht so sind, wie sie auf den ersten Blick scheinen …

Ich schrieb etwas über dreißig Seiten an diesem Buch, das ein Weihnachtsgeschenk für meine Mutter werden sollte, und kam nicht weiter, als Floradora im Internat den dort ansässigen anderen Kindern, die allesamt verwunschen sind wie sie selbst, begegnet – und das Buch wanderte in die Schublade zusammen mit den Romananfängen, aus denen ich irgendwann mal was machen könnte, und ward nicht mehr angerührt. Elf Jahre lang. Elf Jahre, in denen ich meiner Mutter andere Dinge zu Weihnachten schenkte und diverse andere Bücher schrieb, in denen ich von der Hobby- zur Berufsautorin und beinahe, aber nur beinahe, wieder zurück wurde und praktisch keinen Gedanken mehr an meine Prinzessin verschwendete.… Weiterlesen

Wo bitte geht’s zur Unterwelt?

Es ist gut und gern fünf, sechs Jahre her, dass ich von der Idee für eine neue Geschichte angesprungen wurde. Soweit, so gewöhnlich – ich bekomme regelmäßig Ideen für neue Geschichten, und nur die Wenigsten davon bringen es auch nur bis zur ersten Seite, weil sie, von allen Seiten beleuchtet, dann doch nicht so gut scheinen wie im ersten Augenblick.

Aber diese Idee setzte sich fest: Eine Reise in die Unterwelt sollte es werden, nicht mehr und nicht weniger. Angesiedelt in einer Welt, in der man den Toten ihre Lebensgeschichte in Bildform auf den Leib tätowiert, sollte diese Geschichte von einem Tätowierer handeln, der bei der Illustration eines Toten pfuscht und ihn zur Strafe in die Unterwelt begleiten muss, um dort von dem Torwächter Rede und Antwort zu stehen. Einen richtigen Arbeitstitel hatte ich nicht, wohl aber einen Platzhalter: »Tättoo und Harry«. Klingt dämlich und ist es auch, aber die Idee hatte was. Nur nicht genug, um sie sofort umzusetzen.

Da gab es zwei Hindernisse. Das eine war, dass ich nicht die einzige im Tintenzirkel war, die eine Geschichte über eine Reise in die Unterwelt plante. Ausgerechnet die großartige Malinche, die ich sehr bewundere und schätze, hatte eine Idee, die meiner nur im allerweitesten ähnlich war – von der Unterwelt abgesehen, hatten wir keine Überschneidungen geplant, ihres war die mexikanische Unterwelt, meines die eines noch näher auszuarbeitenden eigenen Settings – aber weil sie dazu noch von der gleichen Agentin vertreten wird wie ich, wollte ich ihr da wirklich keine Konkurrenz machen.… Weiterlesen

Karussellpferdchen

Ich fühle mich mit meinen Tränenjägern gerade, als wäre ich auf der Kirmes. Eine Runde, und noch eine Runde, und die nächste Runde drehen wir rückwärts! Nun bin ich dran gewöhnt, dass ein Buch die eine oder andere Überarbeitungs- und Lektoratsrunde dreht, bis es meinen Qualitätsstandards und denen des Verlags entspricht – das »Gefälschte Siegel« habe ich dabei nahezu komplett neu geschrieben, und das »Gefälschte Land« musste nach der gründlichen Überarbeitung und Kürzung noch mal um achtzig weitere Seiten gekürzt werden, weil es einfach noch viel zu lang war – aber das sind Schritte, die kommen für mich sonst erst nach der Fertigstellung des Buches. Erstmal schreibe ich meine Rohfassung. Dann geht es ans Überarbeiten, Neuschreiben, Straffen.

Natürlich, manchmal überarbeite ich schon während des Schreibprozesses. Wenn ich merke, dass ich mich mit einer Szene verrannt habe, es nicht so funktioniert, wie ich mir das gedacht hatte, dann schmeiße ich das Szenenfragment in die Tonne, mache einen Schritt zurück und biege an der letzten Weggabelung anders ab, damit es besser funktioniert. Aber ich habe noch nie einen ganzen Handlungsbogen immer und immer wieder von vorne geschrieben. Und genau da bin ich gerade.

Mein Problem ist nicht, dass ich mit einer Szene nicht zufrieden bin, oder mit einem Kapitel – mein Problem ist meine Hauptfigur, Kell, die Küchenmagd mit den ritterlichen Ambitionen.… Weiterlesen

Allein unter Büchern

Jede Bibliothek, jede Bücherei ist etwas Besonderes. Allein die Vorstellung, dass es da einen Hort von Büchern gibt, Geschichten, Geheimnissen, Wissen, und nur darauf wartet, entdeckt zu werden … Ich habe nie aufgehört, Bibliotheken zu lieben. Natürlich freue ich mich über jeden, der sich eines meiner Bücher kauft, weil ich damit meinen Lebensunterhalt verdiene – aber ich freue genauso über jeden, der/die meine Bücher in einer Bücherei ausleiht. Ich wäre geistig verhungert, hätte ich damals meine Stadtbücherei nicht gehabt, und hätte meinen Durst nach Geschichten ohne Beschaffungskriminalität ohne nicht stillen können.

Büchereien sind wichtig und kostbar. Und auch wenn ich, trotz wahrer Leidenschaft im Studium, nie über Praktika hinaus in einer öffentlichen Bibliothek gearbeitet habe – nur dreieinhalb Jahre in einer Unibibliothek, und das hatte sehr wenig mit Büchern zu tun – werde ich nie aufhören, in meinem Herzen Bibliothekarin zu sein. Um so mehr hat mich die Chance gefreut, im Rahmen meines gewonnenen PAN-Stipendiums zwei Wochen als Gast in einer Bücherei zu wohnen, die noch mal eine Ecke besonderer ist als andere: Der Phantastischen Bibliothek in Wetzlar.

Ich war noch nie vorher dort, auch wenn Wetzlar von Köln, wo ich studiert und lange gelebt habe, gar nicht so weit weg ist.… Weiterlesen

Der Romanfriedhof: »Der Siegelstein«

Die meisten Bücher, die auf dem Romanfriedhof landen, schlafen einfach irgendwann friedlich ein, und nach einigen Jahren des Brachliegens finde ich sie wieder und stelle fest, dass sie in der Zwischenzeit gestorben sind. Nicht so »Der Siegelstein«. Das Ableben dieses Romans war laut und tosend und führte schließlich zu einem Happy End, von dem das Buch selbst nichts mehr hatte.

Es war 1997, ein für mich in jeder Hinsicht bedeutsames Jahr. Im Frühling hatte ich meine Diplomarbeit zeitgleich mit meinem ersten Roman beendet – also nach zig Projekten, aus denen nichts geworden war, dem ersten Roman, der es bis zum Ende schaffte – und stand im Sommer, zweiundzwanzig Jahre alt, mit einem Diplom in der Tasche und einem Roman in der Schublade und ohne etwas zu tun. Ich schrieb Bewerbungen, aber die Berufsaussichten für Bibliothekarinnen waren schlecht, und ich wusste nicht viel mit mir anzufangen. Wieder etwas schreiben, natürlich – nur das wollte, fand ich, gut geplant sein.

So viele Bücher hatte ich vor die Wand geschrieben und nur ein einziges fertig, und ich suchte die Schuld in der Projektauswahl: Nach all den Romanwracks, die ich aus dem Bauch und einer Laune heraus angefangen hatte, sollte beim Nachfolger der »Flöte aus Eis« nichts dem Zufall überlassen werden – von nun an sollte jedes Buch, das ich anfing, auch fertig werden, und die Lösung dafür darin bestehen, dass ich einen nicht hundertprozentig erfolgsversprechenden Kandidaten gar nicht erst anfangen durfte.… Weiterlesen