Die Luft ist raus

Über drei Wochen habe ich durchgehalten, mit Leichtigkeit das erste Buch über die Fünfzigtausendermarke geschoben, aber dann, so kurz vor dem Schluss, habe ich doch schlappgemacht. Ich bin erschöpft, schlaflos, alle im Kopf – kurz, platt. Vor allem ärgere ich mich über mich selbst. Vor drei Jahren musste ich erkennen, dass ich aus gesundheitlichen Gründen nur noch in Teilzeit arbeiten kann, aber ich hatte immer gedacht, dass für so eine Sache wie das Schreiben, das ich mehr liebe als alles andere, das nicht gelten würde. Ich will doch hauptberuflich schreiben, ich will davon leben können, ich will meine Tage damit verbringen – aber die Wahrheit ist, eine Schlagzahl von viertausend Wörtern am Tag halte ich auf die Dauer nicht durch. Ich brauche dafür am Tag ungefähr sechs Stunden, auch an Wochenenden, damit komme ich auf eine Wochenarbeitszeit von 42 Stunden – das ist Vollzeit, und Vollzeit packe ich nicht.

Was jetzt? Aufgeben? So kurz vor dem Ziel? Das kommt nicht in Frage. Es wäre ein großartiges Scheitern, nur noch ein paartausend Wörter zu brauchen, noch vier Tage Zeit zu haben und einfach alles hinzuschmeißen. Aber ich muss kürzer treten. Jeden Tag sechs Stunden schreiben plus eine Stunde Statistik für das Team Tintenzirkel, das packe ich nicht.… Weiterlesen

Nazis, Bild und Kinderschänder

Ich habe ja schon zu anderen Gelegenheiten über die Bildzeitung vom Leder gezogen, dieses Mal haben sie mich wirklich wütend gemacht. Natürlich, das tun sie öfters, aber diesmal wirklich. Bild, das neue Sprachrohr der Antifa, warnt uns dieses Mal nämlich nicht vor linkem Terrorismus, sondern zeigt uns, wie wir Nazis im Netz erkennen können:

1. Kindesmissbrauch
Rafael: „Eines der Themen, das von Rechten immer wieder ausgenutzt wird, um ihre menschenfeindlichen Theorien unters Volk zu bringen.“ Erst in der letzten Woche schaltete Facebook die große Themenseite „Keine Gnade für Kinderschänder“ (ca. 74 000 Likes) ab. Dass es sich hierbei um eine rechte Hetzseite handelte, wurde erst auf den zweiten oder dritten Blick klar (mehr Infos oben in der Fotogalerie).

Zwar werden noch drei weitere Punkte genannt (so sollen wir Nazis zum Beispiel daran erkennen, dass sie sich kleiden wie jeder andere auch, mit Schlabberhose und T-Shirts, – muss ich jetzt vor halb Aachen Angst haben?), aber keiner dieser Punkte ist so gut illustriert wie das Thema »Kinderschänder«. Eine fünfteilige Klickstrecke widmen sie der mittlerweile abgeschaltete Facebook-Seite »Keine Gnade für Kinderschänder«, auf der erst harte Strafen für Kinderschänder gefordert wird und bei Zustimmung den Leuten unter die Nase gerieben, dass sie da offenbar die gleiche Position vertreten wie die NPD, ergo die Partei wohl gar nicht so schlimm ist.… Weiterlesen

Im Zeichen des Mohns

Vor knapp einem Jahr in einem Artikel am Volkstrauertag bin ich schon einmal auf ihn eingegangen: Den Armistice Day, der am 11. November in allen Weltkriegsländern außer Deutschland gefeiert wird und der an den Waffenstillstand erinnert, der 1918 das Ende des Ersten Weltkriegs eingeläutet hat. In England trägt man an diesem Tag zum Gedenken der Gefallenen, deren Massengräber in Flandern von Mohblumen überwuchert werden, eine – in Anbetracht der Jahreszeit künstliche – Mohnblume am Revers. Das spielt auch eine Rolle in der Literatur, zum Beispiel in Dorothy Sayers Ärger im Bellona-Club – und jetzt, Percy sei Dank, betrifft es auch mich. Denn nachdem ich mit diesem gutgelaunten Charakter in Klausur gegangen bin, stellte sich heraus, dass er in der Nachkriegszeit lebt, und auch wenn ich kurzfristig zur Zeit nach 1945 tendiert habe – eine Ära, über die ich ein sehr erfolgreiches mündliches Geschichts-Abitur geschrieben habe, bin ich dann doch etwas tiefer in die Vergangenheit eingetaucht und habe die Geschichte im England des Jahres 1921 angesiedelt.

Und plötzlich wuppte dann alles. Als die ersten Mohnblumen auftauchten, nahm der Plot Gestalt an. Und plötzlich ging es überhaupt nicht mehr um bespukte Waisenhäuser oder verschwundene Internatsschülerinnen. Wie schon das Haus der Puppen Gestalt annahm, als ich den Vorgarten mit Malven bepflanzte und dem Haus den Namen Hollyhock gab, wurden aus dem Percy-Buch die Kinder des Mohns.… Weiterlesen

Möööp? Möööp!

Nach neun Tagen Doppel-Nano kann ich ein erstes positives Feedback geben: Ja, es funktioniert. Man – oder zumindest ich – kann jeden Tag an zwei Büchern jeweils rund 2.000 Wörter schreiben, und das ohne größere Einbußen der Lebensqualität. Ich bin seit September arbeitslos und habe dementsprechend viel Zeit – war es mit einer Halbtagsstelle zu vereinbaren, einen erfolgreichen Nanowrimo zu schreiben, sind ohne Arbeit zwei Nanowrimos kein Problem. Ich habe einen Großteil der Arbeit in die Nacht verlegt, so dass von meinen Tagen relativ wenig für den Nano draufgeht, vom Plotten und Denken mal abgesehen, und ich viel Zeit mit Fernsehen und Computerspielen verbringen kann. Sogar der Haushalt sieht mich ab und an, und vorgstern habe ich sogar gekocht: Also, ein Erfolg auf der ganzen Linie.

Die Entscheidung, vier Tage vor dem Nanowrimo meinen Roman zu kicken und ein neues Thema aus dem Boden zu stampfen hat sich bewährt. Meine Kinder des Mohns machen großen Spaß, wenn ich ehrlich bin, deutlich mehr als Geisterlied. So hat sich nahezu unbemerkt ein Vorsprung von zweitausend Wörtern eingeschlichen, einfach weil ich an meinen Mohnkindern immer einen Tacken mehr schreibe als an dem anderen Buch. Trotzdem habe ich gerade einen fiesen Durchhänger, der zwar nicht meinen Schreibfluss zum Erliegen bringt, aber an meiner Motivation knabbert, und das ist folgende Erkenntnis: Geisterlied handelt von einem Mädchen, das erkennen muss, dass seine Vertraute und beste Freundin ein Geist ist – während Kinder des Mohns davon handelt, das ein Mädchen erkennen muss, dass seine Vertraute und Zwillingsschwester ein Geist ist.… Weiterlesen

Tag Drei: Namen, Namen, Namen

Ja, ich weiß, es ist eine lange Liste, und ich bin gerade erst bei der dritten Frage angekommen. Aber ich sehe das Schreiben als eine Lebensaufgabe, und da ich noch vorhabe, noch ein paar Jährchen zu leben – und zu bloggen – ist hier in aller Gemütlicheit, die dritte Frage:
3. Wie kommst du auf Namen für Figuren (und für Orte, wenn du über fiktive Orte schreibst)?

Früher habe ich mich an den Namen obskurer kleiner Orte bedient – schottischen Bahnstationen, cornischen Dörfern, und was im internationalen Vorwahlverzeichnis nett klang. Dabei konnte ich ziemlich danebengreifen, wenn ein vermeintlich obskurer Ort statt dessen ein bekanntes Urlaubsziel ist, von dem nur ich noch nie gehört hatte. Darum habe ich irgendwann von dem System Abstand genommen und tatsächlich meine eigene Phantasie bemüht. Eine Möglichkeit war, mich phonetisch zu einer neuen Schreibweise inspirieren zu lassen – so wurde aus dem walisischen Örtchen Dollwyddelan die Hohe Elbenfeste Dolua’d’llán, und der Held meiner Spinnwebstadt, Mowsal, entspricht der tatsächlichen Aussprache des cornischen Ortes Mousehole. Eine andere Inspirationsquelle waren Anagramme – so wird aus dem profanen Salat der Elb Talas, der Berg Etamot war einmal eine Tomate, und den Fluss Edanomil musste ich umbenennen, nachdem ein Betaleser die Limonade gefunden hatte.… Weiterlesen

Kinder des Mohns

Meinen zweiten Roman für dieses Jahr habe ich mir nicht ausgedacht, er ist passiert, vor ein paar Tagen, als mir aufging, dass ich das eigentlich geplante Die Kinder des Hauses Otrempa nicht würde schreiben können. Wilde Ideen fügten sich zusammen: Geisterphotographie, eine Spieluhr, Eisenbahnunglücke, ein geheimnisvolles Haus, und Percy. Vor allem Percy. Die Zwillinge kamen erst später, aber erst einmal saß ich da mit einem Scherzbold im Trenchcoat, der mir nicht viel von sich verraten wollte. Rückblickend ist es erstaunlich, dass ich nur zwei Tage später einen erstaunlich komplexen Plot hatte. Aber zum einen habe ich das schon letztes Jahr mit Geigenzauber so gemacht, und zum anderen war ich zwei Tage bei den wunderbaren Lavendelgrauen in Bielegfeld und hatte eine schöne lange Zugfahrt zum plotten (aber zum Glück ohne Unglück). Hier ist nun, mit Tusch und Trommelwirbel, der brandneue Plot für die Kinder des Mohns:

London, 1921. Der Erste Weltkrieg hat den Zwillingen Ivy und Laurel Shacklock schon Vater und Bruder genommen und sie mit ihrer Mutter mittellos zurückgelassen, da diese als Ausländerin – der Vater hat gegen den Widerspruch seiner Familie eine Französin geheiratet – keine Hinterbliebenenrente für ihn bekommen konnte. Sie sind gewöhnt, schlimme Gerüchte zu hören, dass der Vater in Wirklichkeit desertieren wollte und in Schande gestorben ist, aber den wahren Grund kennen sie nicht: Ihre Mutter ist keine Französin, sondern Deutsche, aber dieses Geheimnis nimmt sie mit ins Grab, als sie im Januar an der Grippe stirbt.… Weiterlesen

Geisterlied

Mein erster Roman für dieses Jahr ist eine Altlast. Schon im Nanowrimo 2008 wollte ich Geisterlied schreiben, aber schon nach weniger als einer Woche habe ich das Handtuch geworfen – die Belastung einer Vollzeitstelle war für mich zuviel, um nebenbei auch noch einen Roman zu schreiben, und, wie sich später herausstellen sollte, auch zuviel für alles andere. Dass ich den Nanowrimo in jedem Jahr geschmissen habe, bereue ich heute mehr als das allermeiste andere in meinem Leben, und dieses Jahr tue ich also nun Buße dafür. Nachdem ich drei Jahre lang immer wieder vorhatte, das Buch eben irgendwann anders zu schreiben und doch nie wirklich etwas draus geworden ist, mache ich es eben in diesem Nano als eines von zwei Projekten. Und auf die Geschichte bin ich immer noch stolz:

In erster Instanz entstammt die Idee einem Traum. Wer das Lied eines Geistes singt, öffnet ihm damit Tür, Tor und Körper und muss damit rechnen, dass der Geist völlig Besitz von ihm ergreift. Und die Geister singen unentwegt, sanft bohrende ohrwurmartige Melodien, die man einfach mitsingen muss. Während Geister für normale Menschen unsichtbar und – was für ein Glück! – unhörbar sind, werden sie, sobald sie von einem Körper Besitz ergriffen haben, zur Gefahr für alle, und ganze Dörfer sind so schon an die Geisterwelt gefallen.… Weiterlesen