Engel auf meiner Schulter

Wie ich schon angekündigt habe, ist 2025 für mich ein Jahr der runden Jubiläen, und das erste ist gerade ziemlich unvorbereitet über mich hereingebrochen. Eigentlich wollte ich einen Kuchen backen, eigentlich hatte ich lustige Spiele in den sozialen Medien geplant, und stattdessen reicht es jetzt nur für einen Blogartikel – und ich denke nicht, dass irgendjemand die lustigen Spiele vermisst hat, denn den Geburtstag, den ich heute feiere, feiere ich doch ziemlich allein. Die Geschichte, um die es geht, ist weitgehend unveröffentlicht, kaum jemand außer mir kennt sie, und das kleine Fandom, das sie tatsächlich einmal hatte, hat sich längst in alle Winde zerstreut. Und doch feiere ich heute, im Kleinen, den fünfundzwanzigsten Geburtstag einer Geschichte, die einfach nicht totzukriegen ist.

Ich war noch keine fünfundzwanzig Jahre alt, Buchhandelsauszubildende, lebte in Köln in einer richtig coolen WG, als ich auf dem Heimweg in der Straßenbahn nach Holweide mein Schreibzeug auspackte und mit einer Geschichte anfing, die mir seit ein paar Tagen durch den Kopf geisterte. Nicht im Traum wäre ich damals auf die Idee gekommen, dass ich, wenn ich einmal doppelt so alt wäre, immer noch an genau diesem Werk schreiben würde, dass ich über dieses Buch einmal eine Literaturagentur finden würde und eine ganze Reihe von Freund:innen, dass dieses Buch an mir kleben würde wie der Kaugummi unterm Schuh und immer wieder zu mir zurückkehren, auch wenn ich zwischendurch kurz davor stand, meine Engel zu Grabe zu tragen.… Weiterlesen

Ich darf das!

Seit vielen Jahren werde ich nicht müde zu erklären, dass ich meine Bücher, auch wenn ich viele Geschichten mit queeren Hauptfiguren schreibe, nicht im Sortiment eines schwul/lesbischen Nischenverlags sehe, sondern damit einen Platz im allgemeinen Sortiment beanspruche. Womit ich den dediziert queeren Verlagen nicht ihre Existenzberechtigung absprechen möchte – aber ich habe ein Problem mit der Vorstellung, dass queere Stoffe in eine Art literarisches Reservat gehören und Hetero-Lesern alles, was nicht hetero ist, nicht zuzumuten ist. Ich möchte eine Normalität erreichen, im Alltag wie in der Literatur, und auch im Großverlag – ein bisschen Größenwahn muss erlaubt sein – über queere Stoffe schreiben dürfen.

In den letzten Jahren hat sich da vieles getan. Vor zehn Jahren hat mir noch das Lektorat eines Großverlags mit Nachdruck aufgetragen, dass das Happyend gefälligst zwischen der Protagonistin und einem Mann zu sein hat. Vor fünfzehn Jahren kam vom Lektor eines nicht ganz so großen Verlags der Kommentar, dass nicht beide Hauptfiguren schwul sein dürften – sie wären sich sonst zu ähnlich. Aber natürlich hätte man nichts gegen Schwule. Und im Zweifelsfall schiebt man den Schwarzen Peter dem Publikum zu, das ja einfach noch nicht so weit ist und solche Themen nicht akzeptiert, und natürlich will ein Verlag ein Buch, das am Ende niemand kauft, nicht machen.… Weiterlesen

Wandbilder und Zeitzeichen

Manchmal hat man ein Buch, das erscheint so dermaßen wichtig, dass es seine Autor:innen vor Respekt in die Knie zwingt. So ergeht mir das gerade mit meinem neuen Kinderbuch, Arbeitstitel »Die verborgenen Bilder«. In einer Zeit, in der »Kinderbuchautor« als Beleidigung verwendet wird, ist es mir wichtig zu zeigen, wie wertvoll es ist, mit Büchern diejenigen zu erreichen, die einmal über das Schicksal dieser Welt entscheiden werden; in den Köpfen etwas zu bewegen, das Denken anzuregen und das Verstehen. Kinderbücher sind wichtig, Kinderbücher sind mächtig – so mächtig, dass sie den Menschen, die etwas gegen Selbstdenken haben, Angst einflößen.

Nicht von ungefähr sind Kinderbücher das erste, was in autokratischen Systemen verboten wird, was erst vom Lehrplan, dann aus der Schulbibliothek, der Stadtbücherei und am Ende den Buchhandlungen verbannt wird: Bücher über queere Selbstfindung, über kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte, über Unterdrückung und Befreiung – in Russland und Ungarn wie in den USA finden reaktionäre Kräfte Argumente, weswegen diese Bücher von den Kindern ferngehalten werden müssen, und die Kinder von den Büchern. Und ich habe Angst, dass, bis Anfang 2026 »Die verborgenen Bilder« erscheinen, auch Deutschland in einer politischen Situation ist, wo Kinderbücher auf der Abschussrampe landen.

Als ich die Idee für das Buch hatte, waren von solchen Sorgen mir noch fern, und statt einer politisch aufgeladenen Geschichte sollte das ganze eine nette Gruselstory werden.… Weiterlesen

Aus alt mach neu

Bei Computerspielen ist das schon ganz lang ein Trend: Alte Spiele erscheinen in einer Neuauflage, die den technischen Entwicklungen Rechnung trägt, mit mehr oder weniger überholten Grafiken, und werden damit für ein modernes Publikum wieder spielbar. Was das angeht, warte ich ja schon seit Ewigkeit auf einen Reboot meines bald fünfzehn Jahre alten Lieblingsspiels »Dragon Age – Origins«, zu dem ich meine erste und einzige Fanfiction geschrieben habe. Manchmal sind diese Remakes wirklich eine Offenbarung und gewinnen dem alten Spiel neue Aspekte ab, manchmal stellen sie einen echten Rückschritt dar, und manchmal sind sie virtuell vom Original nicht zu unterscheiden und nur ein Versuch, ein bisschen Geld zu drucken. So oder so, sie sind nicht mehr wegzudenken. Und warum auch nicht? Vielleicht braucht ein Game von 2020 noch kein Remake, aber die Chance, alte DOS-Graphiken, ausgelegt auf eine Bildschirmauflösung von 360×480 Pixeln wieder spielbar zu machen, ist den Versuch zumindest wert.

Aber es ist nicht nur die Technik, die sich in den letzten dreißig Jahren weiterentwickelt hat. Das gilt auch für mich und mein schreiberisches Talent. Ich werde, das habe ich schon mehrmals erwähnt, dieses Jahr fünfzig, und damit ist es an der Zeit für ein paar Rückblicke. Geschrieben habe ich schon vor vierzig Jahren und mehr, sicherlich war ich ein sprachlich begabtes Kind, aber erst im Studium und mit der Anschaffung meines ersten Computers habe ich wirklich große Entwicklungssprünge gemacht, und als ich 1997, parallel zur Diplomarbeit, meinen ersten Roman fertiggestellt habe, dachte ich, jetzt hätte ich es geschafft.… Weiterlesen

Wat kütt? Dat kütt! X

2025 wird ein Jahr der Jubiläen. Nicht nur haben wir eine schöne runde Jahreszahl, ist es ein Vierteljahrhundert her, dass wir das neue Jahrtausend eingeläutet haben – es ist auch das Jahr, in dem ich fünfzig werde, das Jahr, in dem die »Chroniken der Elomaran« fünfundzwanzig werden, und wo ich gerade dabei bin, ist es auch das zehnte Jahr, in dem ich in diesem Blog einen Ausblick auf die im jeweils neuen Jahr zu schreibenden Bücher veröffentliche. Dabei klinge ich wie eine kaputte Schallplatte: Jedes Jahr verkünde ich, dass ich 500.000 Wörter schreiben will, jedes Jahr verspreche ich, so richtig durchzustarten, endlich wieder zum Sport zu gehen, das Haus auf Vordermann zu bringen, und so weiter … Aber weil wir so ein Jubeljahr haben, und weil es mir psychisch endlich mal wieder besser geht, hoffe ich, dass ich dieses Jahr auch über die nackte Pflicht hinaus ein paar Kür-Erfolge werde einfahren können.

Zu 2024 muss ich nicht mehr viel sagen, weil ich gerade gestern erst meinen Jahresrückblick veröffentlicht habe. Konzentrieren wir uns also auf das, was kommt. Ich gehe mit großer Angst ins neue Jahr, wo es um die Welt- und Inlandspolitik geht. Schon im Februar wird neu gewählt, und ich bange von einem weiteren Erstarken der Rechten.… Weiterlesen

Ein Jahr im Schatten

2024 ist so gut wie rum, und es ist an der Zeit für meinen traditionellen Jahresrückblick. Nicht, dass ich vorhätte, dem Jahr viele Tränen nachzuweinen, aber ein paar Anmerkungen will ich mir schon noch gönnen. Es ist ein Jahr, in dem ich kaum gebloggt habe, und deswegen muss ich alles, was ich da nicht geschrieben habe, jetzt irgendwie in meinen Rückblick quetschen. Vor allem aber war es ein Jahr im Schatten – psychisch, weil ich es über weite Strecken des Jahres nicht aus dem Haus geschafft habe, und schreibtechnisch, weil es mir nicht gelungen ist, die überragende Leistung von 2023 zu wiederholen oder gar zu überbieten.

Aber es war kein grundsätzlich verlorenes Jahr. Ich habe auch Dinge geschafft, auf die ich stolz sein kann und das auch bin. Erstmal habe ich gar nicht so wenig geschrieben. Auch wenn es unterm strich nur halb soviel war wie 2023, waren das immer noch um die 300.000 Wörter. Allein im Nanowrimo habe ich 140.000 Wörter geschrieben und damit meinen persönlichen Rekord deutlich übertroffen. Das hat mich dann doch sehr dafür entschädigt, dass ich im Mai aus dem Schreibfluss geraten bin und von Juli bis Oktober überhaupt nicht mehr geschrieben hatte: Zum Ende des Jahres habe ich mir bewiesen, dass ich es doch noch kann, und so gehe ich nun guter Hoffnung ins neue Schreibjahr.… Weiterlesen

Glanz oder gar nicht

Da dachte ich, ich hätte das Patentrezept gefunden, um wie ein professioneller Autor zu leben und nie wieder einen Durchhänger zu haben: mit eisernem Willen und Disziplin. Nachdem ich 2020, 2021, 2022 wirklich maue Schreibjahre hatte, in denen ich weit hinter meinen selbstgesteckten Zielen zurückgeblieben bin, sollte ab 2023 alles besser werden. Mit dem ersten Januar startete ich ein Schreibregime, wie es strenger nicht sein konnte, und ich hatte Erfolg damit. An jedem Tag, jedem einzelnen Tag, schrieb ich brav mein Pensum von mindestens 1.390 Wörtern, egal ob ich gesund war oder krank, zuhause oder unterwegs.

Ich verpasste meinen geliebten Filkzirkel auf der Convention im Herbst, weil ich keine Schreibsession auslassen durfte, ich saß auf dem Tintenzirkeltreffen mit meinem Ipad und schrieb, umgeben von ebenfalls schreibenden Kolleg:innen, wie ein echter Profi, und selbst mit Covid und Fieber brachte ich mein Pensum zu Papier. Ich wusste, es war nicht das gesündeste Verhältnis zum Schreiben, das ich da entwickelt hatte, doch mir war wichtiger, meine Streak am Laufen zu halten, und unterm Strich schöpfte ich aus dieser Leistung so viel Zufriedenheit und Kraft, dass ich alles in allem mit einem Plus herauskam und meiner zunehmend besorgten Umgebung versicherte, dass sie sich keine Sorgen um mich zu machen brauchten.… Weiterlesen

Wolken Schatten Spiegel Zeit II

Normalerweise, wenn ich ein Buch auf meinem Romanfriedhof zu Grabe trage, bedeutet das, dass dieses Buch tot ist, mausetot, und ich nie wieder daran arbeiten werde. Es gibt Ausnahmen – so habe ich »Die Welt in der Wühlkiste« ausgeschlachtet und daraus meine »Neraval-Sage« gemacht, und ich plane schon ganz lange, »Klagende Flamme« komplett neu aufzuziehen, abzüglich der zu spät erkannten rassistischen Tendenzen der ersten Fassung, aber noch habe ich mich da nicht drangetraut, da ich mir nicht sicher bin, ob ich schon in der Lage bin, wirklich etwas Besseres als damals aus der Idee zu machen. Aber mit meinem letzten Friedhofsfall ist etwas Erstaunliches passiert. Ich hatte den Beitrag für mein Blog eben erst beendet, und noch nicht gepostet, als ich spontan Lust auf das Buch bekam. Und die Graberde hatte sich noch nicht gesetzt, da griff ich zur Schaufel und buddelte meine Buchleiche wieder aus.

Über diese Geschichte zu schreiben, hatte mir vor Augen geführt, wie stolz ich eigentlich auf das Konzept war, wie sehr ich die Figuren immer noch mochte – und wie gut dieses Buch doch auf dem heutigen Buchmarkt funktionieren könnte. Vor elf Jahren, als ich meinen ersten Versuch mit den »Kindern des Hauses Otrempa« machte, war der Plot, wie so vieles, was ich schreibe, ein Outlier.… Weiterlesen

Der Romanfriedhof: »Die Kinder des Hauses Otrempa«

Nicht alles, was ich auf meinen Romanfriedhof hinaustrage, ist auch wirklich schon mausetot, mumifiziert, kaputt. Manches ist dabei, da denke ich, eigentlich zuckt das ja noch – und dann geht mir auf, dass ich seit zehn Jahren nicht mehr daran geschrieben habe und auch schon genauso lange keinen Plan mehr, wie es weitergehen sollte, und dann ist es doch an der Zeit, mich in Trauerkleidung zu werfen und das Projekt zu Grabe zu tragen. Es muss ja nicht für immer sein. Das Schöne an einem Romanfriedhof ist ja, dass die dort liegenden Werke die Möglichkeit haben, ins Leben zurückzukehren, mit verändertem Vorzeichen oder völlig ausgeschlachtet.

Bei dem Buch, auf dessen Grabstein ich heute mein Rampenlicht richten möchte, habe ich ein bisschen die Hoffnung, dass es irgendwann noch einmal aufwachen könnte. Aber anders als bei den »Chroniken der Elomaran«, wo ich nach zwölfjähriger Pause einfach weiterschreiben konnte, als wäre ich nie weggewesen, werde ich hier, wenn, bei Null anfangen müssen. Denn das, was ich da 2013 zu Papier gebracht habe, ist nichts, was ich jemals irgendwie im Druck sehen möchte, so problematisch ist der vorliegende Text in weiten Teilen.

Angefangen hat alles im November 2010 mit einem Traum. Manchmal habe ich da – einen Traum, so intensiv, so plotreich, so ausgefeilt, dass ich das Gefühl habe, einen Roman zu träumen oder im Traum selbst eine Figur in einem Roman zu sein.… Weiterlesen

Mein Lieblingsbuch

Die wahrscheinlich früheste erhaltene Tonaufnahme von mir befindet sich am Ende eines Mixtapes, das mein Vater für mich aufgenommen hat, als ich drei oder vier Jahre alt war. Nach der Mischung aus Kinderliedern, Folk- und Protestsongs war ein noch ein bisschen Platz auf der Kassette, und mein Vater hat einen kleinen Dialog zwischen uns mit dem Mikrophon des Kassettenrekorders aufgenommen. Welches Lied auf der Kassette mein Lieblingslied ist, fragt er mich, und ich antworte mit beinahe entrüstetem Ernst: »Alle Lieder auf dieser Kassette sind meine Lieblingslieder!« Aber unter väterlichem Druck, genötigt, mir eins auszusuchen, sage ich dann doch, und ohne lange zu zögern: »Denn der Otto, denn der Otto, der ist Maurer« – immerhin ein Kinderlied, wenn auch ein ziemlich politisches, von Fredrik Vahle.

Die Kassetten – insgesamt sechs Stück hat mir mein Vater über die Jahre in den späten Siebzigern aufgenommen – habe ich bis heute, sie sind sogar der Grund, warum ich bis heute ein Kassettendeck an meiner Stereoanlage besitze, und ich finde immer noch, dass alle Lieder auf diesen Kassetten zurecht meine Lieblingslieder sind. Nur den Maurer Otto würde ich mir heute nicht mehr als Lieblings-Lieblingslied raussuchen. Da hat sich in den letzten fünfundvierzig Jahren mein Geschmack doch leicht verlagert.… Weiterlesen