Das, was war, und das, was bleibt

Ich habe ein wirklich gutes Gedächtnis. Das kommt mir sehr entgegen, wenn es darum geht, Liedtexte zu behalten, und Shakespeares »Hamlet« kann ich in weiten Teilen auswendig – aber wo es um meine Depresisonen geht, kommen die Erinnerungen, um mich in den Hintern zu beißen.

Meine Kindheit und Jugend war, alles in allem, schön, mit einem verständnisvollen Elternhaus und drei Geschwistern, mit denen ich mich unterm Strich gut verstanden habe, mit vielen Möglichkeiten, mich zu entfalten und der Freiheit, meinen Weg zu gehen, mit der freundlichen Hilfestellung, außerdem etwas Richtiges zu werden, weil ich Schriftstellerin immer noch werden kann, und ich bin es geworden. Ich habe viele wirklich schöne Erinnerungen, auf die ich zurückblicken kann – doch wenn es drauf ankommt, dann passiert das Gegenteil.

Immer, wenn ich es nicht brauchen kann, kommen die Erinnerungen hoch, die ich am liebsten vergessen würde. Die Male, in denen ich gemobbt wurde, mich habe schikanieren lassen, die falschen Entscheidungen getroffen … Man kann leicht denken, das Problem bei Depressionen sind die Schmerzen, die man im Leben ausgestanden hat, die Traumata, die man erleiden musste, aber bei mir geht es immer um etwas anderes: Um mein eigenens Versagen. In meinen Erinnerungen bin ich nichts, bin ich wertlos.… Weiterlesen

Wie Tag und Nacht

Ich war immer ein Frühaufsteher. Während meiner Schulzeit stand ich routiniert gegen fünf Uhr morgens auf, machte erst meine Hausaufgaben vom Vortag, dann das Frühstück für die Familie, und es es ging mit gut damit. Auch während meines Studiums, als Hausaufgaben kein Thema mehr waren, ging mein Wecker um halb sechs, damit ich vom Bett aus – Luxus meiner Studentenbude: eine eigener Fernseher – noch Anime wie »Voltron« oder »Mila Superstar« auf RTL2 schauen konnte. Und Frühstücken, natürlich. Langes und ausgiebiges Frühstücken war meine liebste Mahlzeit am Tag. Wenn man die Menschen in Eulen und Lerchen unterteilte, war ich, bei aller Liebe zur Eule, eine 100%ige Lerche.

Mir reichten sieben Stunden Schlaf, dann wurde ich tendenziell von selbst wach. Auch in den Ferien ging länger ausschlafen mehr mit später aufbleiben einher – und wenn ich meine beste Freundin in Dortmund besuchte, die gerne lang ausschlief, saß ich morgens in ihrem Zimmer herum und langweilte mich, las lieber ein paar von ihre Büchern, als mich noch mal hinzulegen, wo ich ohnehin nicht eingeschlafen wäre. Jeder Organismus ist unterschiedlich, und meiner war mit seinen sieben Stunden voll zufrieden.

Ich blieb viele Jahre lang ein Morgenmensch, selbst als ich arbeitslos war – aber Dinge veränderten sich.… Weiterlesen

Weltverlust

Eine knappe Woche, nachdem die Flutkatastrophe meine Heimatstadt in Trümmer gelegt hat, sollte man meinen, dass der Verstand endlich anfängt, das ganze zu verarbeiten und zu realisieren, was da alles passiert ist, aber das Gegenteil ist der Fall. Ich sitze in meinem gutbeleuchteten Haus, kann warm baden und das Internet nutzen, und was da nur hundert Meter entfernt von meiner Haustür liegt, fühlt sich völlig unwirklich an, und ich mich völlig stumpf.

Eine seltsame Form des Alltags hat uns wieder. Wir kochen unser Trinkwasser mit einer Selbstverständichkeit ab, als hätten wir das schon immer getan – so wie man sich auch nicht mehr vorstellen kann, einmal ohne Maske auf die Straße gegangen zu sein. Wir leben, als wäre nichts passiert, aber alle digitalen Uhren in unserem Haus blinken und zeigen die Zeit an, als am Samstag der Strom wieder angestellt wurde, wir haben keine von ihnen gestellt, Zeit ist so unwirklich wie alles andere. Ich weiß nicht, welchen Tag wir haben, aber wie viele seit der Flut vergangen sind: Sechs.

Es ist alles nicht wirklich. Am Anfang von »Per Anhalter durch die Galaxis« ist eine Stelle, wo Arthur Dent versucht, die Zerstörung der Erde zu verarbeiten. Er ruft sich vor Augen, was alles nicht mehr existiert, und als er bei Amerika angekommen ist, kommt er zu dem Schluss, dass er an die Existenz Amerikas sowieso nie geglaubt hat.… Weiterlesen

Mit uns die Sintflut

Mittwochnachmittag saß ich an meinem Computer, dachte mir nichts Böses, als plötzlich der Strom ausfiel. Und es war nicht nur mein Arbeitszimmer, oder nicht nur unser Haus: Es war die ganze Straße, mindestens. Nicht, dass das zum ersten Mal passiert wäre: Wir wohnen seit Herbst 2015 in Stolberg, und seitdem hatten wir bestimmt schon zwei größere Stromausfälle. Lästig, weil man nicht einfach eben die Sicherung einschalten kann, sondern warten muss, bis das Stellwerk oder wo auch immer der Fehler passiert ist das wieder hinbekommen hat.

Weil der ganze Tag schon dunkel und verregnet war, wie auch die Tage davor, setzen wir uns ins Wohnzimmer, zündeten ein paar Kerzen an und warteten. Ich versuchte, mit dem Handy über Twitter, Facebook etc herauszufinden, was passiert war und vor allem, wie schnell es vorbeisein würde. Aber das Netz war auch tot. Mein Mann, der einen anderen Telefonanbieter hat, hatte mehr Glück, und plötzlich war unser Stromausfall das kleinste Problem. Unser Ort wurde gerade überschwemmt.

Es hatte Warnungen gegeben. In den letzten Tagen hatte NINA, die Was-will-sie-jetzt-schon-wieder-Katastrophen-Warn-App, mehrmals gepiepst. Aber NINA piepst viel, seit Covid angefangen hat, und ich maß dem keine große Bedeutung vor. NINA warnte vor Regen – braucht man dafür eine Warn-App?… Weiterlesen

Autorkorrektur II

Mein Name ist Ilisch, die unsterbliche Zauberin in der Neraval-Sage heißt Ililiané – da kann man leicht auf die Idee kommen, dass sie so etwas wie mein Alter Ego ist. Aber das stimmt nicht. Ililiané ist meine Rache.

Ich habe doch eigentlich einen einfachen Namen. Nur sechs Buchstaben, auf Russisch sogar nur vier, weil das sch ein eigener Buchstabe ist – easy peasy, sollte man meinen. Da haben es Kollegen von mir viel schwerer – meine Autorenfreundin Sabrina Železný schreibt sich mit zwei Sonderzeichen, die man nicht so einfach auf der Tastatur findet, und die arme Lisa Dröttboom hat mit Doppelvokal und -konsonant so viel Falschschreibpotenzial, dass die Leute, wo sie schon mal dabei sind, auch noch gleich ihren Vornamen verhunzen. Aber Ilisch, kann man da viel falschmachen? Spoiler: Man kann.

Der Name Ilisch hat deutschpolnische Wurzeln – meine ahnenforschenden Eltern vermuten, dass er auf das polnische Wort ulica, Straße, zurückgeht. Es ist kein besonders häufiger Name, gelinde gesagt – ein paar Dutzend Namensträger finden sich in Deutschland, und die sind alle mehr oder weniger mit mir verwandt. Und sie alle, wie ich auch, haben ein Problem: Die Leute schreiben den Namen ganz selbstverständlich mit Doppel-L und machen Illisch draus.… Weiterlesen

Nicht alle Löffel im Schrank?

Ich weiß nicht mehr, wann ich das erste Mal der Löffeltheorie begegnet bin, aber plötzlich sehe ich sie überall – eine Metapher, um zu verdeutlichen, wie Menschen mit Depressionen und anderen chronischen Krankheiten selbst für alltägliche Dinge nicht die nötige Energie aufbringen, weil alles, was sie tun, an ihrer Kraft zieht, am Beispiel von einem Kontingent Löffel, von denen man einen nach dem anderen abgeben muss. Versteht mich nicht falsch, ich finde es wichtig, dass die Leute verstehen, welche Herausforderungen der Alltag an chronisch kranke Menschen stellt, auch wenn man nicht vierundzwanzig Stunden mit Kranksein beschäftigt ist. Nur, von allen Dingen, die Kraft, Energie und Ausdauer verkörpern … Löffel?

Ehrlich, das Löffelbild hinkt, aber gewaltig. Mir reicht ein einziger Löffel. Ich kann damit meine Cornflakes essen, den Tee umrühren, Grünkohleintopf in mich hineinschaufeln, lasse einmal Wasser drüberlaufen und kann ihn am nächsten Tag wiederverwenden. Die Löffeltheorie stammt aus Amerika, wo andere Redewendungen üblich sind, aber im Deutschen buchstablich den Löffel abgeben – das habe ich so schnell nicht vor. Mir mangelt es nicht an Löffeln. Mir mangelt es an Kraft.

Stellt euch keine Schublade mit Löffeln vor. Denkt an einen Akku, der in Null-Komma-Nichts den Geist aufgibt, selbst wenn man keine anstrengenden Aufgaben mit dem Gerät gemacht hat – und nach einer Nacht am Strom ist das Mistding noch nicht einmal voll geladen.… Weiterlesen

Anderswo als Glücksstadt

Alle paar Jahre kommt das vor, und jetzt ist es wieder passiert: Ein Traum, so fesselnd und packend, dass ich ihn gleich nach dem Aufwachen als Roman niederschreiben könnte. Ich träume immer sehr kreativ, sehr wild und intensiv, aber üblicherweise auch entsprechend wirr, und das wenigste, das im Traum selbst noch wie ein echt toller Plot erscheint, sieht auch im Wachzustand so aus. Aber manchmal werde ich wach, und der Traum hält das Tageslicht aus und ist immer noch eine tolle Geschichte. Auf diese Weise ist »Geisterlied« entstanden, und die Grundidee der auf Eis liegenden »Kinder des Hauses Otrempa«, und nun stehe ich da mit Glücksstadt.

In meinen Träumen bin ich üblicherweise nicht ich selbst. Figuren aus meinem täglichen Umfeld treten in den allerwenigsten meiner Träume auf, sie haben ihr eigenes Setting, ihre eigenen Haupt- und Nebenfiguren, aber sie werden trotzdem beeinfluss von meinem eigenen Leben. Oder, in diesem Fall, den Hobbys meines Mannes. Der ist, wie ich auch, leidenschaftlicher Gamer, aber wir spielen unterschiedliche Spiele. Ich mag Puzzlespiele, Egoshooter, Walkingsimulatoren, während mein Mann in Strategiespielen nd Simulationen aufgeht. Jetzt haben es die Städtebausimulationen in meinen Traum geschafft und sich dort selbständig gemacht.

Disclaimer: Ich habe selbst noch nie eine Städtesim gespielt und habe mein Wissen aus zweiter Hand, aber mein Eindruck ist, dass neben dem Einkommen, das eine Stadt generiert, die wichtigste Währung im Spiel die Zufriedenheit der Einwohner ist.… Weiterlesen