Trauma, Baby!

Man kann viel Spaß mit Verrückten haben. Zum Beispiel auf der Webseite parapluesch.de, wo man spielerisch psychisch kranke Kuscheltiere heilen kann. Da gibt es eine depressive Schildkröte, ein autistisches Nilpferd, ein Schaf mit multipler Persönlichkeitsstörung oder ein paranoides Krokodil. In niedlichen Flashanimationen wird der Patient psychoanalysiert, medikamentös behandelt, therapiert, und am Ende sieht man ihn ins Licht laufen. Das ist alles sehr nett, sehr süß, liebevoll gemacht und bietet eine Menge Langzeitspielspaß. Aber ist es deswegen auch gut? Nein. Ist es nicht.

Das Problem ist nicht einmal, daß hier psychische Erkrankungen zum Inhalt eines Spiels gemacht werden – wenn es nach mir geht, darf und muß man über alles lachen können, von mir aus auch über Erkrankungen, die mit Mord oder Selbstmord enden können. Die Kuscheltier-Patienten werden auch nicht bloßgestellt, erstaunlich ernst genommen, und erwecken im Spieler vor allem Mitgefühl. Nur widerwillig setzt man das Tier den Qualen von Elektroschocks aus, so hilfsreich die auch sein mögen, oder verpaßt ihnen eine Spritze mit bösen Psychopharmaka, die es dann gleich haluzinieren lassen. Und wenn man am Ende die Ursache der Störung kennt und das arme Vieh geheilt entlassen kann, ist man glücklich und erleichtert.

Aber genau das ist der Punkt. Das Spiel fördert den beliebten Glauben, daß psychische Erkrankungen immer auf ein traumatisches Ereignis zurückzuführen sind und, wird das dann aufgearbeitet, heilbar.… Weiterlesen

Ganz schön schön

Frauen sind ja das zarte, schwache, schöne Geschlecht. Heute natürlich nicht mehr, klar. Heute sind Frauen nur ein Geschlecht. Oder Gender. Ist das nicht schade, wo wir doch zumindest immer noch so schön sind? Das jedenfalls muß sich die Bild-Zeitung gedacht haben, denn wann immer sie über eine Frau berichtet, dann ist die schön. Immer. Weil sie eine Frau ist. Und das muß erwähnt werden, schon beim ersten Auftritt und noch vor dem Namen, als Adjektivattribut. Mit dem sensationsgeil ausgestreckten Zeigefinger – Ecce Femina! – werden sie uns präsentiert: Diese schönen Frauen. Und das gilt für alle, jede, ausgenommen nur Angela Merkel, vielleicht, weil die Bundeskanzlerin ist und schon über fünfzig ist und damit nicht mehr ganz so sehr Frau.

Eine Steigerungsform tritt dann auf, wenn die Frau schon einmal erwähnt wurde und am besten auch noch Deutsche ist: Dann heißt es nicht mehr »diese schöne«, sondern gleich »unsere schöne« – und das Recht auf Selbstbestimmung ist genauso perdu wie der Wunsch, als Frau nicht mehr andauernd auf sein Aussehen reduziert zu werden. Formulierungen wie »diese/unsere schlaue« oder »diese/unsere starke« vermißt man hingegen, wie zu erwarten war.

Wir kennen das ja ein bißchen schon aus Köln, wo man eine Frau, die man nach dem Weg fragen möchte oder an deren Einkaufswagen man im Supermarkt vorbei möchte, mit »Junge Frau« anredet.… Weiterlesen

Rosa Rosa Romantasy

Wir schreiben das Jahr 2010, noch. Ein kleines Mädchen wird gemobbt, weil sie stolz ihre Star-Wars-Trinkflasche zur Schule mitgebracht hat. Ein Junge wird gehänselt, weil er Mein Kleines Pony liebt. Die vierjährige Tochter einer Schauspielerin trägt Hosen und kurze Haare, und die Medien mutmaßen, ob ihre Mutter aus Eifersucht die Schönheit des Kindes unterdrückt oder ob das Mädchen vielleicht transsexuell ist. Familienministerin Schröder läßt sich darüber aus, daß Feminismus heute nicht mehr nötig, ja sogar schädlich ist. Und was hat das mit mir zu tun? Eine Menge, nicht nur, weil ich kurze Haare getragen habe und viele Jahre lang als Berufswunsch ‚Seeräuber‘ angegeben habe. Im Moment beschäftigt mich dieses Thema schon allein wegen Geigenzauber.

Worum geht es? Um den Schluß, natürlich, denn zum Glück kann ich sagen, daß viel mehr als der Schluß auch nicht mehr zu plotten ist. Aber ich trage mich schwer mit der Form des Happyends, zu dem ich ob eines ungeschriebenen Gesetzes verpflichtet scheine: Ein Happyend, das Mia in den Armen eines süßen Jungen platziert. Nein, sie wird Branwell nicht bekommen. Branwell hat sie nur ausgenutzt, für Branwell war sie nur ein Werkzeug, um in seine verbotene Heimat zurückzukehren. Er sieht schnuckelig aus, aber ganz ehrlich, so einen will man nicht, wirklich.… Weiterlesen

Foltert Huren!

So gesehen am 11. November auf bild.de: Weil offenbar irgendwo ein Pärchen verschleppt worden ist, sollen nun, ob aus Rachsucht, weil dies die Forderung der Entführer ist oder um den Aufenthaltsort der Vermißten herauszufinden, Huren gefoltert werden. Bundesweit und offenbar durch die BILD-Leserschaft. Es wär ja nicht das erste Mal, daß BILD direkt oder indirekt zur Gewalt aufruft, man erinnere sich nur an Rudi Dutschke, trotzdem finde ich die Plumpheit, mit der hier pauschal vorgegangen wird, erschreckend.

Was natürlich ebenfalls in ihrer pauschalen Plumpheit erschreckend ist: Die Schlamperei, mit der hier mit Sprache umgegangen wird. Hauptsache reißerisch; daß man das Ganze mißverstehen kann, ist egal, wenn am Ende nur ein Ausrufezeichen steht, werden die Leser den Link schon anklicken. Was eigentlich nicht mehr nötig ist, denn am Ende bietet der Artikel auch nicht mehr als das, was schon in der Überschrift steht. Aber wenn schon die BILD-Redakteure nicht zweimal draufschauen, zumindest als Autor muß man ein Auge für sowas haben, und darum sammle ich hier jetzt Beispiele aus den Medien, in denen durch unglückliche Wortwahl und Zeichensetzung ein völlig falscher Sinn generiert wird. Es dauert sicher nicht mehr lang, bis ich den nächsten Fall finde…

P.S. Korrekt muß es natürlich auch heißen »Hass auf Prostituierte«.… Weiterlesen

Sankt Martin, bist ein guter Mann

Gerade zieht an unserem Haus der Martinszug vorbei, mit Blaskapelle, vielen Kindern mit Laternen und gefühlt noch zweimal so vielen Eltern. Da bekomme ich ein leichtes Déjà-vu-Gefühl, denn letzte Woche ist auch schon so ein Zug am Haus vorbeigelaufen, auch mit Blaskapelle, aber vielleicht machen die das hier im Frankenberger Viertel ja nicht ohne Generalprobe? Vielleicht ist heute nicht der beste Tag für so etwas, immerhin ist heute Volkstrauertag, und von mir aus hätte man den Zug auch direkt an St. Martin machen können – aber vielleicht ist das ja auch Absicht mit Hintergedanken, denn am Martinstag begehen alle Weltkriegsbeteiligten außer den Deutschen den Armistice Day (auch Veterans‘ Day, Poppy Day), den Tag des Waffenstillstands, der den Ersten Weltkrieg beende, und während sich in Deutschland die Jecken ihre roten Pappnasen aufsetzen, stecken sich anderswo die Veteranen eine rote Mohnblume ans Revers. Der Volkstrauertag ist in Deutschland der Ersatz dafür, und so passt es vielleicht ganz gut, den Martinszug auf diesen Tag zu verschieben.

Zum Volkstrauertag passt auch, dass von den Kindern da draußen keines gesungen hat. Die Blaskapelle spielt »Ich gehe mit meiner Laterne«, und der restliche Zug hüllt sich in andächtiges Schweigen. Ich war kurz davor, ein Fenster aufzureißen und lauten Gesang anzustimmen, aber ich habe es dann doch gelassen.… Weiterlesen

O Tempore. O Mori.

Heute Morgen, 8:30, Bus der Linie 11, Münster, auf Höhe der Haltestelle Krummer Timpen. Kurz bevor ich aussteigen muß, fällt mir eine junge Mutter auf. Sie trägt einen Säugling auf dem Arm, ein Kind von vielleicht drei oder vier Monaten, und hält es so, daß es aus dem Fenster sehen kann. Am Straßenrand: Ein Fahrzeug des Straßenbauamtes, zwei Männer.
Die Mutter spricht zum Kind:
»Ja schau mal, das Auto da hat ein blinkendes Licht!
Und da – ein Mann arbeitet, und ein anderer schaut zu.
Na – da kann man ja einen von wegrationalisieren.«

Dies ist ein alter Beitrag, ursprünglich 2005 für ein anderes Blog geschrieben, den ich nach Hollow Willow importiert habe.Weiterlesen