»Ich hasse Bücher!« II

»Immer weniger Deutsche lesen Bücher (egal ob gedruckte oder digitale)«, schreibt der dotbooks-Verlag auf seiner Facebookseite, und »Was ist eurer Meinung nach die beste Leseförderung?«. Und da fällt mir natürlich sofort wieder meine Nichte ein, dieses blitzgescheite, phantasievolle kleine Mädchen, das mit Büchern nichts anfangen kann. Nur, dass ich es diesmal, nachdem mein erstes Entsetzen zwei Jahre Zeit zum Sacken hatte, stattdessen an einer Analyse versuche. Und weil mir die zu schade ist, um nur in einem Facebookkommentar unterzugehen, ich sie jetzt noch einmal in mein Blog kopiere:

Ich denke, es ist wichtig zu fragen, warum Leute lesen bzw. nicht lesen. Nachdem wir in unser neues Haus gezogen waren, lebten wir erstmal auf einer Baustelle mit Bibliothek – keine Küche, kein Kleiderschrank, aber die Bücherwand stand schon (zumindest die ersten sechzig Kisten hatten wir sehr schnell ausgeräumt, für die letzten 30 fehlen uns noch die Regale). Meine Nichte, acht oder neun Jahre alt zu dem Zeitpunkt, sah ein Foto davon, schüttelte sich und sagte: »Ich hasse Bücher«. Ich war, verständlicherweise, entsetzt. Also gefragt warum. Sie fand Lesen schlichtweg anstrengend im Vergleich zu leicher zu konsumierenden Medienformen wie Fernsehen – und offenbar konnten ihr die Bücher inhaltlich keinen Mehrwert bieten, der den Aufwand gerechtfertigt hätte.… Weiterlesen

Die Welt im Wohnzimmer

Unterm Strich wünschen sich wohl alle Autoren das Gleiche: Sie wollen Erfolg, sie wollen Leser erfreuen, am besten auf der ganzen Welt. Nicht von ungefähr ist unser langjähriger Trinkspruch »Reich und berühmt!«, und auch wenn ich bis heute nicht behaupten kann, dass der Reichtum auch nur in die Nähe meines Hauses gekommen wäre, oder meines Kontos, bekomme ich gerade einen Vorgeschmack von internationalem Ruhm. Und er schmeckt anders als erwartet.

Ich weiß nicht, wie es meinem Verlag gelungen ist, meine allererste Auslandslizenz ausrechnet für den russischsprachigen Markt zu verkaufen. Als ich von meiner Agentin hörte, dass das Puppenzimmer nach Russland geht, habe ich das für einen Witz gehalten, und danach immer noch für einen Irrtum. Dass ausgerechnet ein Land, in dem jede Form positiver Erwähnung von Homosexualität gesetzlich verboten ist, ein Buch einkaufen sollte, in dem sämtliche Küsse zwischen Frauen ausgetauscht werden, konnte ich mir nicht vorstellen, und ich hatte schon einen Blogartikel darüber geplant, wie ich einmal beinahe den russischen Markt erobert hätte, bis die Verantwortlichen den Roman doch noch bis zum Ende gelesen und ihren Fehler bemerkten – aber stattdessen bekam ich die Kopie eines Vertrags, ich bekam einen Vorschuss, und schließlich bekam ich ein Paket mit fünf dicken Büchern.… Weiterlesen

Warum ich keine Bonbons klaue

Die Plagiatsaffäre, über die ich vor einigen Monaten gebloggt habe, ebbt nicht ab, und immer neue Fälle werden bekannt – das scheint echt kein Ende zu nehmen mit den Abschreiberlingen. Immer mehr Autoren beziehen dagegen Stellung, und auch ich wurde jetzt eingeladen, an einem Projekt teilzunehmen, bei dem Autoren erklären, wie wichtig es ihnen ist, beim Schreiben fair zu bleiben. Ich habe zugesagt, weil mir das Thema selbst am Herzen liegt – aber ich muss sagen, beim Schreiben fair zu sein, hat für mich keinerlei Relevanz. »Keine anderen Bücher abschreiben« rangiert bei mir auf einem Level wie »Nicht die ganze Zeit über rückwärts gehen«, »Nicht nackt Fahrradfahren« und »Nicht von der Rheinbrücke springen« – es ist für mich eine Selbstverständlichkeit, und die Notwendigkeit, zu betonen, dass man das Urheberrecht der Kollegen beachtet, ist beschämend.

Ich will weder beim Einkaufen mit einem Schild um den Hals herumrennen »Ich klaue keine Bonbons«, um in den Laden gelassen zu werden, noch meine Bücher mit einer Plakette schmücken, dass sie auch wirklich nicht abgeschrieben sind. Ist Plagiieren jetzt derart zur Norm geworden, dass man Originalwerke besonders kennzeichnen muss? Selbst Bio- und Fairtradesiegel sind in dem Sinne ein Armutszeugnis, als dass sie überhaupt notwendig sind; dass man eine besondere Auszeichnung bekommt, Umwelt und Mitmenschen nicht wie den letzten Dreck zu behandeln, nur weil es alle anderen tun.… Weiterlesen

Plagiahi, Plagiaho, Plagiahihahoppsassa

Ich habe abgeschrieben. Und es tut mir leid. Es ist bald dreißig Jahre her. Ich war im achten Schuljahr hatte im Englischunterricht eine Sechs geschrieben, sehr zu meinem Leidwesen und erst recht dem meiner Eltern, im Diktat. Zum Glück sollte es die einzige Sechs meiner Laufbahn bleiben, aber die Folgen waren drastisch. Rechtschreibung war noch nie meine Stärke, aber Englisch eigentlich eines meiner Lienblingsfächer, und dann sowas … Meine Mutter hatte den rettenden Einfall: ich sollte englische Texte abschreiben. Aus der Stadtbücherei lieh ich mir ein Drei-Fragezeichen-Buch aus, auf Englisch. Gutsortierte Bücherei war das, und Drei Fragezeichen habe ich schon immer geliebt. Also musste ich jeden Tag eine Seite aus dem Buch abschreiben, um mir die Rechtschreibung einzuprägen.

Ich wollte das Nützliche mit dem Angenehmen kombinieren: In dem Jahr hatte ich gerade meine erste Schreibmaschine bekommen, und es war an der Zeit, richtig tippen zu lernen. Meine Theorie: Wenn ich nach jedem Buchstaben erst eine Minute suchen muss, prägt sich mir die Rechtschreibung doppelt gut ein! Meine Mutter war wenig überzeugt, glaubte sie doch, nur handschriftlich ließen sich nachhaltige Erfolge erzielen, doch die Hauptsache war, ich tat überhaupt was für meine Englischkenntnisse. Gut anderthalb Kapitel habe ich auf diese Weise geschafft.… Weiterlesen

»Ich hasse Bücher!«

Gestern traf ich meine Nichte. Ich sehe sie nur selten, im Schnitt nicht öfter als einmal im Jahr, da mein Schwager mit seiner Familie in Norddeutschland lebt, eine ganze Ecke weg von uns. Aber da gestern meine Schwiegermutter ihren Geburtstag feierte, war das eine von den Gelegenheiten, wo die ganze Familie zusammenkommt, und so traf ich meine Nichte. Sie ist acht Jahre alt, gerade ins dritte Schuljahr gekommen, und ich kenne sie als ein intelligentes, wissbegieriges Mädchen. Wie wir, ist auch ihre Familie gerade in ein neues Haus gezogen, wir unterhielten uns übers Umziehen, sie fragte, ob wir wirklich in einer Villa wohnten, und ich zeigte ihr ein paar Fotos von unserem Haus – darunter auch eines von unserem Bücherregal im Esszimmer, das über die ganze Breite der Wand und sogar noch um die Ecke geht und fertig eingeräumt war, lange bevor wir auch nur an die Montage der Küche dachten.

Meine Nichte starrte das Bild an, und ich wartete auf einen Ausruf der ungläubigen Bewunderung. »Sind das alles Bücher?«, fragte sie. »Das alles?« Ich nickte. »Auch die da?« Sie hatte die Perry-Rhodan-Sammlung meines Mannes entdeckt, deren metallisch glänzende Buchrücken tatsächlich sehr futuristisch aussehen und ebensogut etwas anderes hätten sein können, aber natürlich auch Bücher sind.… Weiterlesen

F wie Fanfiction

Schon ziemlich lange hatte ich vor, endlich einen Blogartikel über das literarischde F-Wort zu schreiben: Fanfiction. Aber erst jetzt, wo das Blog auf der Seite gelandet ist, auf der Leute nach dieser Info suchen würden, passt es auch zusammen. Dass es tatsächlich schon Fanfictions zu meinen Geschichten gibt, glaube ich nicht – zumindest keine, die irgendwo im Netz veröffentlicht wären – aber zumindest bin ich das schon mal gefragt worden: Ob man zu meinen Geschichten Fanfictions schreiben darf. Auf diese Frage gibt es eine lange und eine kurze Antwort. Die kurze lautet »Ja«. Die lange lautet »Ja, aber«, und die Erklärung dazu folgt hier.

Ich mag das Prinzip von Fanfiction. Es ist ein Zeichen dafür, dass sich Leser (oder Zuschauer, Spieler, Hörer, etc.) eines Buches, Films, Spiels, einer Band so sehr damit identifizieren, dass sie sich in die Welt hineinversetzen, die Geschichte weiterspinnen wollen. Fans sind etwas tolles, solange sie einem nicht auf dem Klo auflauern, und Fans, die selbst kreativ werden, damit auch nochmal den Ruhm meiner Geschichte in die welt hinaustragen, sind für einen Autor etwas tolles. Ich bin selbst manchmal ein Fangirl. Ich habe selbst eine Fanfiction geschrieben, selbst wenn ich da schon straff auf die vierzig losging und mich gerade als Berufsautorin selbständig gemacht hatte, und mich dabei gefühlt wie ein rebellischer Teenager.… Weiterlesen

Eintagsfliegen

Um für meine Dachdecker-Elegie das passende Zitat zur Hand zu haben, las ich heute mal wieder Jakob von Hoddis‘ »Weltenende«. Ich kann es eigentlich auswendig, aber beim Zitieren gehe ich lieber auf Nummer Sicher. Wir haben es auch in der Schule gelesen (muss im zehnten Schuljahr gewesen sein, aber ich kannte es schon vorher) und dort auch gelernt, dass Jakob von Hoddis eine literarische Eintagsfliege war – »Weltenende« hat er als sehr junger Mann veröffetlicht, danach hörte man nichts mehr von ihm. So geht’s halt mit den Wunderkindern, wenn die einmal erwachsen sind, bringen sie nichts mehr auf die Reihe …

Wo ich gerade dabei war, habe ich mir also seine Biographie zu Gemüte geführt, um herauszufinden, ob er nicht doch noch mehr geschrieben hat und warum nach dem »Weltenende« nichts Großes mehr gekommen ist. Und bin auf den Teil gestoßen, den wir in der Schule nicht gelernt haben. Warum hat Jakob von Hoddis nichts mehr zustande gebracht (nachdem er erst noch eine Reihe von Gedichten veröffentlicht hat, die aber an den Erfolg des »Weltenendes« nichts anknüpfen konnten? Weil er das hatte, was ich auch habe.

Jakob von Hoddis litt und ständig wiederkehrenden Psychosen. Im Jahr 2015 nehme ich mein Quetiapin und lebe ein weitestgehend normales Leben.… Weiterlesen