Das, was war, und das, was bleibt

Ich habe ein wirklich gutes Gedächtnis. Das kommt mir sehr entgegen, wenn es darum geht, Liedtexte zu behalten, und Shakespeares »Hamlet« kann ich in weiten Teilen auswendig – aber wo es um meine Depresisonen geht, kommen die Erinnerungen, um mich in den Hintern zu beißen.

Meine Kindheit und Jugend war, alles in allem, schön, mit einem verständnisvollen Elternhaus und drei Geschwistern, mit denen ich mich unterm Strich gut verstanden habe, mit vielen Möglichkeiten, mich zu entfalten und der Freiheit, meinen Weg zu gehen, mit der freundlichen Hilfestellung, außerdem etwas Richtiges zu werden, weil ich Schriftstellerin immer noch werden kann, und ich bin es geworden. Ich habe viele wirklich schöne Erinnerungen, auf die ich zurückblicken kann – doch wenn es drauf ankommt, dann passiert das Gegenteil.

Immer, wenn ich es nicht brauchen kann, kommen die Erinnerungen hoch, die ich am liebsten vergessen würde. Die Male, in denen ich gemobbt wurde, mich habe schikanieren lassen, die falschen Entscheidungen getroffen … Man kann leicht denken, das Problem bei Depressionen sind die Schmerzen, die man im Leben ausgestanden hat, die Traumata, die man erleiden musste, aber bei mir geht es immer um etwas anderes: Um mein eigenens Versagen. In meinen Erinnerungen bin ich nichts, bin ich wertlos.… Weiterlesen

Weltverlust

Eine knappe Woche, nachdem die Flutkatastrophe meine Heimatstadt in Trümmer gelegt hat, sollte man meinen, dass der Verstand endlich anfängt, das ganze zu verarbeiten und zu realisieren, was da alles passiert ist, aber das Gegenteil ist der Fall. Ich sitze in meinem gutbeleuchteten Haus, kann warm baden und das Internet nutzen, und was da nur hundert Meter entfernt von meiner Haustür liegt, fühlt sich völlig unwirklich an, und ich mich völlig stumpf.

Eine seltsame Form des Alltags hat uns wieder. Wir kochen unser Trinkwasser mit einer Selbstverständichkeit ab, als hätten wir das schon immer getan – so wie man sich auch nicht mehr vorstellen kann, einmal ohne Maske auf die Straße gegangen zu sein. Wir leben, als wäre nichts passiert, aber alle digitalen Uhren in unserem Haus blinken und zeigen die Zeit an, als am Samstag der Strom wieder angestellt wurde, wir haben keine von ihnen gestellt, Zeit ist so unwirklich wie alles andere. Ich weiß nicht, welchen Tag wir haben, aber wie viele seit der Flut vergangen sind: Sechs.

Es ist alles nicht wirklich. Am Anfang von »Per Anhalter durch die Galaxis« ist eine Stelle, wo Arthur Dent versucht, die Zerstörung der Erde zu verarbeiten. Er ruft sich vor Augen, was alles nicht mehr existiert, und als er bei Amerika angekommen ist, kommt er zu dem Schluss, dass er an die Existenz Amerikas sowieso nie geglaubt hat.… Weiterlesen

Mit uns die Sintflut

Mittwochnachmittag saß ich an meinem Computer, dachte mir nichts Böses, als plötzlich der Strom ausfiel. Und es war nicht nur mein Arbeitszimmer, oder nicht nur unser Haus: Es war die ganze Straße, mindestens. Nicht, dass das zum ersten Mal passiert wäre: Wir wohnen seit Herbst 2015 in Stolberg, und seitdem hatten wir bestimmt schon zwei größere Stromausfälle. Lästig, weil man nicht einfach eben die Sicherung einschalten kann, sondern warten muss, bis das Stellwerk oder wo auch immer der Fehler passiert ist das wieder hinbekommen hat.

Weil der ganze Tag schon dunkel und verregnet war, wie auch die Tage davor, setzen wir uns ins Wohnzimmer, zündeten ein paar Kerzen an und warteten. Ich versuchte, mit dem Handy über Twitter, Facebook etc herauszufinden, was passiert war und vor allem, wie schnell es vorbeisein würde. Aber das Netz war auch tot. Mein Mann, der einen anderen Telefonanbieter hat, hatte mehr Glück, und plötzlich war unser Stromausfall das kleinste Problem. Unser Ort wurde gerade überschwemmt.

Es hatte Warnungen gegeben. In den letzten Tagen hatte NINA, die Was-will-sie-jetzt-schon-wieder-Katastrophen-Warn-App, mehrmals gepiepst. Aber NINA piepst viel, seit Covid angefangen hat, und ich maß dem keine große Bedeutung vor. NINA warnte vor Regen – braucht man dafür eine Warn-App?… Weiterlesen

Kunst kommt von Können?

Ich hatte das große Glück, in einer Familie aufzuwachsen, in der wir Kinder nach unseren Talenten und Interessen gefördert wurden. Meine schriftstellerischen Ambitionen, die ich schon in einem Alter, als mein Berufswunsch noch »Seeräuber« lautete, hatte, wurden ernstgenommen und nicht ausgelacht – aber das gleiche galt auch für meine anderen Begabungen. Natürlich war ich schon von kleinauf ein Geschichtenerzähler – aber ich habe auch den ganze Tag gesungen und ein Bild nach dem anderen gemalt.

Am Ende der Kindergartenzeit hatte ich die dickste Bildermappe der gesamten Einrichtung. Später brachte meine Mutter, die selbst eine begabte und begeisterte Zeichnerin war, mir diverse Tipps und Tricks bei, ich nahm an einem Portraitzeichenkurs für Jugendliche statt und genoss den wirklich sehr guten Kunstunterricht an meiner Schule. Während meine Eltern fanden, dass man Geschichtenschreiben nicht wirklich lernen kann, außer durch machen, bekam ich Gitarrenunterricht an der Musikschule, sang in meiner ersten Folkband, schrieb Lieder, und malte, worauf ich Lust hatte.

So ging ich auch durch Studium und Berufsausbildung: Ich schrieb, machte Musik, und malte, alles mit Leidenschaft und durchaus netten Ergebnissen. Aber es kristallisierte sich heraus, dass meine Hauptbegabung doch eindeutig im Schreiben lag. Und während ich immer weiter Musik machte und in der Filkszene eine Community fand, in der ich mit meinen schrägen Liedern gut hineinpasste und Erfolgserlebnisse hatte, wenn auf den Conventions das Publikum lauthals mitsang, blieb meine Kunst immer weiter auf der Strecke.… Weiterlesen

Ein Ort zum Wohlfühlen?

Ich erzähle immer wieder gerne voll Stolz vom Tintenzirkel, der Autorengemeinschaft, die ich gegründet habe und die in diesem Jahr ihren 20. Geburtstag feiert – das noch nicht ganz mein halbes Leben, aber es nimmt einen großen Teil davon ein, und diese Gruppe und ihr Forum bedeuten mir extrem viel. Neben allen Geschichten, die ich geschrieben habe, ist der Tintenzirkel wahrscheinlich mein bedeutendstes Werk. Nur, wenn man dann einmal Grund hat, nicht stolz zu sein, auf sich selbst und den Tintenzirkel, dann muss man – in diesem Fall: ich – genauso offen darüber reden. Ich habe Fehler gemacht, und ich bitte dafür um Entschuldigung, das sage ich jetzt ganz am Anfang, damit man nicht lang danach suchen muss, und hier ist, warum:

Gegründet habe ich die Gruppe aus dem einfachsten aller Gründe: Um Freunde zu haben. Das Internet war damals noch eine recht frische Sache, und ich sah eine Chance darin, die ich gerne schon viel, viel früher gehabt hätte. Meine ganze Jugend lang bin ich stark gemobbt worden, ich hatte das Schreiben als Fluchtpunkt, aber gleichzeitig war es Grundlage für noch mehr Hohn und Spott, und ich kannte niemanden, der auch schrieb. Austausch mit anderen Schreibern, wie ich ihn im Studium gefunden hatte, war für mich ein riesengroßer Sprung nach vorn, menschlich wie psychisch, und mit dem Internet wurde das noch einfacher.… Weiterlesen

Der Romanfriedhof: »Klagende Flamme«

Hier ist sie endlich wieder, die beliebte Rubrik meines Blogs, in der ich Romane vorstelle, die gescheitert sind, und warum. Heute mit einem Fall, der an einer ganz anderen Sache krankte, als ich eigentlich dachte … »Klagende Flamme« ist der letzte Arbeitstitel eines Buches, zwischendurch auch mal »Der Löwenkelch« oder »Das brennende Buch« hieß. Weil es in diesem Buch um einen verkrachten Sonnengott geht, hatte mich ein Zitat aus Heines »Deutschland, ein Wintermärchen« angesprungen, wo es heißt »Sonne, du klagende Flamme«. Mit Deutschland, oder dem Winter, hat das Setting aber nichts zu tun, und das ist das Problem.

Ziemlich genau auf den Tag heute vor 19 Jahren hatte ich die Idee zu dieser Geschichte, nachdem erst einer nach dem anderen die Zwillinge Byron und Jarvis bei mir auftraten und dann ein enigmatischer Mann ohne Mund, der sich als der Lippenlose vorstellte, und dann ging es sehr schnell, und ich steckte mitten in einer neuen Geschichte. Sie folgte dem (Miss)Geschick der Brüder, Söhnen eines Provinzherzogs, wobei »Provinz« diesmal wirklich janz weit draußen bedeutet. Einer Gruppe Ritter, die ihren alten Idealen anhängen wollte und nicht mit dem Rest des Königreichs in die Moderne einziehen wollte, bekam von ihrem König eine entlegene Kolonie überantwortet, wo sie nun unter sengender Sonne fröhlich weiter Ritter spielen können.… Weiterlesen

Fisher, Fisher, welche Fahne weht heute?

»Du musst unbedingt Miss Fisher sehen!«, haben meine Freunde gesagt. »Du findest doch die Zwanziger so toll!« Ich nicke dann immer nur weise. Wenn mir jemand ein Buch, einen Film, eine Fernsehserie empfiehlt, ist das eigentlich ein Garant dafür, dass ich dann einen Bogen darum mache – ich fühle mich dann vorbelastet, kann nicht unbefangen an das Thema rangehen, sondern stehe unter Druck, das Empfohlene auch zu mögen, um nicht den Empfehler zu enttäuschen. Und toll finde ich die Zwanzigerjahre auch nicht. Ich halte sie für eine hochinteressante Epoche – eine Zeit der Narben, eine Zeit des Umbruchs, in der die Welt auf den Abgrund zusteuert. Eine Zeit des Aufbäumens und Abstürurzens. Seit inzwischen sechs Jahren habe meinen Zwanzigerjahre-Geisterjäger Percy, habe sehr viel über die Ära recherchiert, und natürlich interessiert mich eine in dieser Zeit spielende Krimiserie dann doch.

Miss Fisher’s Murder Mysteries vereint damit zwei Spezialgebiete von mir: Klassische Krimihandlung mit akribisch recherchiertem historischen Setting, liebevoller Ausstattung, und bezaubernden australischen Akzenten. Und da ich ein Netflix-Abo habe: Was spricht dann dagegen, mir einfach die ganze Serie, alle drei Staffeln, am Stück reinzuziehen? Die Serie selbst spricht dagegen. Sie hat mich einfach nicht überzeugen können. Fünf Folgen habe ich durchgehalten. Danach hatte ich genug.… Weiterlesen