Gut und gern zehn Jahre muss es jetzt her sein, dass ich den ersten Trailer für den ersten Herr der Ringe-Film gesehen habe, und er hat mich niedergestreckt wie ein Eichenknüppel. Diese epischen Landschaften! Diese riesige Welt! Diese Bilderflut! Diese riesengroßen Füße! Nein, ich meine nicht die Hobbits – es waren die Argonath, die mich völlig fertiggemacht haben. Ich schrieb damals seit knapp zwei Jahren an meinen Chroniken der Elomaran, und ich musste erkennen, dass ich zu solcher Epik, wie Tolkien sie uns vorgelebt hat, nicht liefern kann. Und dass ich keinen Regisseur zu solchen Szenen inspirieren kann. Meine Geschichten spielen eher im kleinen, überschaubaren Bereich, Massenszenen kann ich nicht, an Schlachten verzweifle ich – eigentlich alles nicht so schlimm, ich habe andere Qualitäten, aber damals, im Winter 2001, hat es mich völlig fertiggemacht, in eine solche Krise gestürzt, dass ich im ganzen Jahr 2002 nur rund fünfzig Seiten geschrieben habe. Den Film habe ich mir dann trotzdem angesehen, voll trotziger Begeisterung, aber das Buch habe ich bis heute nicht gelesen. Der Film selbst war nicht so schlimm wie der Trailer, vielleicht, weil darin alle Epik auch noch so komprimiert war, dass sie mir en block um die Ohren hauen konnte.… Weiterlesen
Autor: Maja Ilisch
Tag Vier: Mein erster Held
Es ist mal wieder an der Zeit, mich dem Dreißig-Fragen-Stöckchen zuzuwenden, damit ich noch in diesem Leben damit zum Ende komme, als geht es nun weiter mit der nächsten Frage:
4. Erzähl uns von einer deiner ersten Geschichten/Figuren!
Strenggenommen müsste ich mit Pombo anfangen, wenn ich nicht zugeben müsste, dass ich bis auf seinen Namen so ziemlich alles über ihn vergessen habe. Ich muss damals irgendwas um die vier Jahre alt gewesen sein, und die Geschichten von Pombo habe ich mir erzählt, wenn ich in den Bettkasten meiner Eltern geklettert bin, der eine vortreffliche Höhle abgegeben hat. Hätte ich die Geschichten bloß auch mal jemand anderem erzählt! So weiß ich nur noch, dass Pombo im Eis eines Sees eingefroren war (ob nur mit den Füßen oder Ganzkörper, ist nicht überliefert) und dort auf den Frühling warten musste. Und das war’s auch schon. Abgang Pombo. Aber um so mehr Eindruck hat sein Nachfolger hinterlassen, der Räuber Buddelmann. Und nein, damit ist nicht mein neuer Hamster gemeint, so treffend für den die Bezeichnung auch wäre.
Der Räuber Buddelmann entstand, als ich fünf Jahre alt war und meine Eltern im Urlaub ein Bauernhaus in Ostfriesland hüteten. Es war kein Ferienhaus, und zum Schlafen hatte ich eine Matratze auf dem Boden eines Zimmers, in dem eine Reihe großer Masken an der Wand hing – afrikanisch, möchte ich heute vermuten, aber da es keine Fotos davon gibt, kann ich nur in der Erinnerung kramen.… Weiterlesen
Eine Frage des Gewissens
Ich bin im Moment arbeitslos, aber so betrachte ich das eigentlich nicht. Statt dessen sehe ich mich als Berufsautorin, der nichts mehr fehlt als ein Buchvertrag, und ich hoffe, dass mein Puppenzimmer mir helfen wird, den entscheidenden Schritt zu tun. Aber es hätte auch anders gehen können. Vor ein paar Tagen fand ich eine Stellenausschreibung – die Firma Filmpool, für die ich vor neun, zehn Jahren als freie Autorin tätig war und Scripte für Richterin Barbara Salesch und Das Familiengericht geschrieben habe, sucht gegenwärtig Autoren. Nicht so wie ich damals, freie Mitarbeiter, die von zuhause aus ein Script pro Woche abliefern, sondern in Festanstellung zum Einsatz vor Ort in Hürth. Sogar die Dienste des Hauseigenen Masseurs werden angeboten, und mehrere Tage lang war ich fest entschlossen, mich dort zu bewerben – ich rechnete mir keine schlechten Chancen aus, da ich ja schon verschiedene Arten von Erfahrung mitbringe, und hatte schon ein Porftfolio an Arbeitsproben zusammengestellt. Konkret ging es um Arbeit an verschiedenen ‚Scripted Reality‘-Formaten – Sendungen wie Familien im Brennpunkt oder Verdachtsfälle – Telenovelas und Daily Soaps.
Am Ende habe ich dann entschieden, mich nicht zu bewerben. Zum einen, weil ich nicht in Vollzeit arbeiten kann, nicht einmal als Autorin, und weil ich bis Hürth doch anderthalb Stunden unterwegs bin.… Weiterlesen
Über die Freuden des Scheiterns
Was für ein Kampf! Was für ein Endspurt! Als jeder andere Nanit des Tintenzirkels schon in seinem Bett lag und den Nanowrimo entweder gewonnen oder verloren hatte, saß ich noch auf meinem Sofa, den Laptop auf dem Schoß, Kochshows aus der Konserve auf dem Fernseher, und habe geschrieben, geschrieben, geschrieben bis kurz vor sechs in der Frühe, um es noch zu schaffen, um auch mit Geisterlied den Sieg einzufahren. Es war ein Kampf. Nicht mehr als 3.060 Wörter fehlten mir, sicher kein unüberwindbares Hindernis, aber da ich schon ein paar Tage davor an meine Grenzen gestoßen war, sollte sich jedes Wort als Krieg herausstellen. Mein Timing hätte schlechter nicht sein können: Nicht nur war es der 30. November und die letzte Chance, dreitausend Wörter für den Nanowrimo zu schreiben, nein, es ging auch noch um nicht mehr und nicht weniger als den dramatischen Höhepunkt des Buches, eine Szene, die ich schon seit drei Jahren vor Augen hatte und die sich als entsprechend schwer zu schreiben herausstellte.
Um Haaresbreite habe ich es dann geschafft, bevor ich in mein Bett kollabiert bin, lange nachdem Kamen und Elena ihre Plaketten eingefahren hatten. Nur weil ich von Anfang an in einer anderen Zeitzone geschrieben habe – dem Biorhythmus angepasst auf die Zeit von Quito, Peru – konnte ich um diese Uhrzeit noch arbeiten, und auf den allerletzten Drücker fertig zu werden, war erfrischend anstrengend.… Weiterlesen
Die Luft ist raus
Über drei Wochen habe ich durchgehalten, mit Leichtigkeit das erste Buch über die Fünfzigtausendermarke geschoben, aber dann, so kurz vor dem Schluss, habe ich doch schlappgemacht. Ich bin erschöpft, schlaflos, alle im Kopf – kurz, platt. Vor allem ärgere ich mich über mich selbst. Vor drei Jahren musste ich erkennen, dass ich aus gesundheitlichen Gründen nur noch in Teilzeit arbeiten kann, aber ich hatte immer gedacht, dass für so eine Sache wie das Schreiben, das ich mehr liebe als alles andere, das nicht gelten würde. Ich will doch hauptberuflich schreiben, ich will davon leben können, ich will meine Tage damit verbringen – aber die Wahrheit ist, eine Schlagzahl von viertausend Wörtern am Tag halte ich auf die Dauer nicht durch. Ich brauche dafür am Tag ungefähr sechs Stunden, auch an Wochenenden, damit komme ich auf eine Wochenarbeitszeit von 42 Stunden – das ist Vollzeit, und Vollzeit packe ich nicht.
Was jetzt? Aufgeben? So kurz vor dem Ziel? Das kommt nicht in Frage. Es wäre ein großartiges Scheitern, nur noch ein paartausend Wörter zu brauchen, noch vier Tage Zeit zu haben und einfach alles hinzuschmeißen. Aber ich muss kürzer treten. Jeden Tag sechs Stunden schreiben plus eine Stunde Statistik für das Team Tintenzirkel, das packe ich nicht.… Weiterlesen
Nazis, Bild und Kinderschänder
Ich habe ja schon zu anderen Gelegenheiten über die Bildzeitung vom Leder gezogen, dieses Mal haben sie mich wirklich wütend gemacht. Natürlich, das tun sie öfters, aber diesmal wirklich. Bild, das neue Sprachrohr der Antifa, warnt uns dieses Mal nämlich nicht vor linkem Terrorismus, sondern zeigt uns, wie wir Nazis im Netz erkennen können:
1. Kindesmissbrauch
Rafael: „Eines der Themen, das von Rechten immer wieder ausgenutzt wird, um ihre menschenfeindlichen Theorien unters Volk zu bringen.“ Erst in der letzten Woche schaltete Facebook die große Themenseite „Keine Gnade für Kinderschänder“ (ca. 74 000 Likes) ab. Dass es sich hierbei um eine rechte Hetzseite handelte, wurde erst auf den zweiten oder dritten Blick klar (mehr Infos oben in der Fotogalerie).
Zwar werden noch drei weitere Punkte genannt (so sollen wir Nazis zum Beispiel daran erkennen, dass sie sich kleiden wie jeder andere auch, mit Schlabberhose und T-Shirts, – muss ich jetzt vor halb Aachen Angst haben?), aber keiner dieser Punkte ist so gut illustriert wie das Thema »Kinderschänder«. Eine fünfteilige Klickstrecke widmen sie der mittlerweile abgeschaltete Facebook-Seite »Keine Gnade für Kinderschänder«, auf der erst harte Strafen für Kinderschänder gefordert wird und bei Zustimmung den Leuten unter die Nase gerieben, dass sie da offenbar die gleiche Position vertreten wie die NPD, ergo die Partei wohl gar nicht so schlimm ist.… Weiterlesen
Im Zeichen des Mohns
Vor knapp einem Jahr in einem Artikel am Volkstrauertag bin ich schon einmal auf ihn eingegangen: Den Armistice Day, der am 11. November in allen Weltkriegsländern außer Deutschland gefeiert wird und der an den Waffenstillstand erinnert, der 1918 das Ende des Ersten Weltkriegs eingeläutet hat. In England trägt man an diesem Tag zum Gedenken der Gefallenen, deren Massengräber in Flandern von Mohblumen überwuchert werden, eine – in Anbetracht der Jahreszeit künstliche – Mohnblume am Revers. Das spielt auch eine Rolle in der Literatur, zum Beispiel in Dorothy Sayers Ärger im Bellona-Club – und jetzt, Percy sei Dank, betrifft es auch mich. Denn nachdem ich mit diesem gutgelaunten Charakter in Klausur gegangen bin, stellte sich heraus, dass er in der Nachkriegszeit lebt, und auch wenn ich kurzfristig zur Zeit nach 1945 tendiert habe – eine Ära, über die ich ein sehr erfolgreiches mündliches Geschichts-Abitur geschrieben habe, bin ich dann doch etwas tiefer in die Vergangenheit eingetaucht und habe die Geschichte im England des Jahres 1921 angesiedelt.
Und plötzlich wuppte dann alles. Als die ersten Mohnblumen auftauchten, nahm der Plot Gestalt an. Und plötzlich ging es überhaupt nicht mehr um bespukte Waisenhäuser oder verschwundene Internatsschülerinnen. Wie schon das Haus der Puppen Gestalt annahm, als ich den Vorgarten mit Malven bepflanzte und dem Haus den Namen Hollyhock gab, wurden aus dem Percy-Buch die Kinder des Mohns.… Weiterlesen