Auf der Gauklerinsel bahnen sich Probleme an. Geplant sind noch vier weitere Kapitel, Plot habe ich aber eigentlich nur für drei. Ich habe schon gestreckt, was zu strecken war, aber so kurz vor dem Ende muß das Buch an Fahrt gewinnen und nicht noch abbremsen. Was lesen Leser lieber – ein Buch, das streng durchorganisiert und strukturiert ist und sich genau an seine Abmessungen hält, daber aber gegen Ende hin künstlich aufgebläht und langweilig ist, oder ein Buch, dessen letzter Teil kürzer ist als die vorhergegangenen, aber dafür saftig und knackig? Keine Frage, der Leser will unterhalten werden, seine eigene Spannung ist ihm wichtiger als irgendwelche Formalien. Ich könnte also ganz einfach hingehen und sagen, kein Ding, dann hat der sechste Teil eben nur vier Kapitel statt fünf. Doch so einfach ist das nicht.
Ich bin ritualbessen, strukturfixiert, und suche in allem Muster und Symmetrie. Damit kann man leben, sogar wenn es ums Schreiben geht. Problematisch wurde es noch nicht einmal, als ich erkannte, wie sehr die Gauklerinsel in ihrem Aufbau der klassischen griechischen Tragödie ähnelt: Ein Prolog, dann, unterbrochen von Zwischenspielen, sechs Blöcke à fünf Kapitel, und am Schluß kommt ein Epilog. Wie schön symmetrisch! Wie schön strukturiert! Nicht, daß das irgend einem Leser mal auffallen würde, denn sowas interpretiert man nur in seine Schullektüren hinein, und dafür ist dieses Buch zu dick, aber trotzdem war es geeignet, mir ein Ansehen zu geben, wenn ich beläufig erwähne, daß die Gauklerinsel doch aufgebaut ist wie eine Drama mit Versen und Chori, und daß sie am Ende auf die Katastrophe hinsteuert, ganz wie es muß bei den Griechen…
Ehrlich, ich kann mit griechischen Tradödien nicht viel anfangen, was das betrifft. Wir haben in der Schule König Ödipus gelesen, und was ist das langweilig! Da passiert nichts, die bewegen sich nicht mal, die reden nur – was soll das heißen, ganz wie in meinen Büchern? Scherz beiseite, ich mag richtige Theaterstücke lieber, Shakespeare und so, aber man muß Sophokles lassen, er konnte Konflikte erkennen. Antigone, was ich nur aus Zusammenfassungen kenne, halte ich für ein tolles Stück Psychologie, aber natürlich ist es vermessen und auch irgendwie beknackt, ausgerechnet ein Werk wie die Gauklerinsel, daß zumindest anfangs so humorig daherkommt, als wolle ich mich mit Terry Pratchett messen, mit der Tragödie zu vergleichen. Trotzdem, das hinkt nicht mal, das paßt, und das Ende ist nicht weniger bitter, als wenn mein Freund Kreon, der das Gesetz über die Familie gestellt hat, am Ende nur noch das Gesetz hat.
Und ich mag es, wenn Sachen klar durchdacht und strukturiert sind. Sonette mit ihren genau vorgeschriebenen Zeilen und Versen. Hexameter und Pentameter. Wechselläuten. Primzahlen. In ISBNs, Telefonnummern, WPA-Schlüsseln und Bankleitzahlen finde ich den Rhythmus, der mir hilft, auch lange Zahlenketten auswendig zu lernen, ich kann schöne von unschönen Zahlen unterscheiden, und Unregelmäßigkeiten verärgern mich. Den sechsten Teil um ein Kapitel kürzen wäre eine solche Niederlage, daß ich gleich auf alle Struktur im Buch verzichten könnte. Natürlich, es ist der letzte Teil, da kann man das vielleicht machen, aber ich werde immer wissen, daß das Buch auf sechs Teile à fünf Kapiteln ausgelegt war. Beraube ich Shaun um ein Kapitel, gibt es ein Ungleichgewicht in der Perspektivenverteilung. Dann müßte der erste Teil ja auch kürzer sein. Die Leser werden noch denken, ich kann mein Ding nicht durchziehen…
Ja. Ich weiß. Den Lesern ist das schnurz. Die wollen unterhalten werden. Es geht hier nur um mein Seelenheil, sonst um nichts. Und ich kann eigentlich nie aus meiner Haut, wenn es um eingefahrene Wege geht. Einmal erst habe ich das geschafft, als ich die Chroniken der Elomaran von Handschrift auf Direkt-am-PC umgestellt habe, und auch wenn die Fertigstellung von Falkenwinter im vergangenen Jahr sonst effektiv nicht möglich gewesen wäre, bereitet mir das immer noch ab und an Magendrücken. Ich kann halt nicht aus meiner Haut, so lächerlich das jetzt auch klingen mag. Aber ich kann im Moment nur von einer Sache begeistert sein, entweder vom Aufbau oder vom Inhalt. Und wenn ich so tief in mich hineingehe, ist mir der Inhalt am Ende doch wichtiger.