Eigentlich habe ich genug offene Baustellen, als dass ich mich jetzt ausgerechnet mit dem Thema »Wie planst du einen neuen Roman« beschäftigen möchte – ich will wirklich nicht auf dumme Gedanken kommen. Aber ich kann einer Herausforderung nicht widerstehen, und ich will wirklich wieder öfter bloggen, also habe ich mich im WriYe-Forum dem Blogging-Circle angeschlossen, um jeden Monat einen Blogartikel zu einer vorgegebenen Fragestellung zu verfassen. Und was passt zum Motto »Neues Jahr, neues Glück« besser als die Frage, wie ein Autor einen neuen Roman in Angriff nimmt? Also, damit ich es schriftlich habe: Ich will jetzt kein neues Buch anfangen, noch nicht einmal planen. Ich bin sehr zufrieden mit denen, an denen ich gerade arbeite, vielen Dank. Aber, so rein hypothetisch … Wie gehe ich die Planung an?
Wenn es nach mir ginge, würde ich jeden Roman mit einem Sprung vom Zehnmeterbrett angehen und mich kopfüber ins Schreiben stürzen, ohne viel Zeit aufs Plotten und Planen zu vergeuden. Und ich tue es auch oft genug, manchmal mit Erfolg, manchmal mit spektaklären Scheitern – es gibt da tatsächlich keinen Zusammenhang, denn das gleiche kann ich über Romane sagen, die völlig durchgestylt waren und die den gleichen Erfolgs- oder Scheiterquoten unterliegen. Oft genug kommt die Handlung also erst beim Schreiben. Aber was dem immer vorausgeht, ist eine Grundidee, die bei mir ziemlich komplex ausfallen kann. Mir kommen, um es mit Astrid Lindgren zu sagen, schneller als ein Ferkel blinzelt, und üblicherweise dann, wenn ich weit und breit kein Schreibzeug zur Hand habe – also zum Beispiel im Bus, im Schlaf, im Fitnessstudio. Das ist ein Schutzmechanismus meiner Kreativität, vermute ich, um zumindest ein Mindestmaß an Kopfarbeit zu leisten, bevor ich zum Schreibzeug greifen kann. Dementsprechend verzichte ich auch üblicherweise auf alle Plotwerkzeuge außer meines Gehirns. Whiteboard, Notizblock, Schreibsoftware? Hirnschmalz! Dafür bin ich aber wirklich, wirklich schnell.
Die Idee zum Puppenzimmer kam mir im Bus auf der Heimfahrt von der Arbeit, einer Busfahrt von üblicherweise fünfzehn Minuten. In dieser Zeit kam ich von »Hm, warum schreibe ich nicht doch einmal einen Mysteryroman mit einem geheimnisvollen Haus?« über »Und es müssen Puppen vorkommen, weil ein geheimnisvolles Haus voller Puppen das Gruseligste überhaupt ist und ich endlich einmal einen guten Mysteryroman mit Puppen lesen will« hin zu »Aber die Puppen sind überhaupt keine Puppen, und das Waisenmädchen ist kein Waisenmädchen, und es kommen Feen vor, die den Menschen die Seelen stehlen, und alles ist ganz anders, als es zuerst scheint«. Gut, den letzten Satz hätte ich mir schenken können, weil ich das bei allen meinen Büchern so plane, aber meine erste Tat, nachdem ich wieder zuhause war, bestand darin, ein ziemlich detailliertes Exposee mit dem Titel Das Haus der Puppen zu schreiben, das schon in weiten Zügen mit dem Buch übereinstimmte, das dann am Ende erschienen ist – nur bis ich dann mit der eigentlichen Schreiberei anfangen konnte, wie ich es gerne getan hätte, ging dann noch gut ein halbes Jahr ins Land. Grund dafür war nicht, dass ich zu wenig Plot gehabt hätte, aber dass ich mich nicht an einen historischen Stoff herantraute. ohne die Epoche in aller Breite und Tiefe zu recherchieren. Es war schließlich mein allererster Roman mit historischem Hintergrund.
Aber üblicherweise ist das Verfassen eines Exposees (mit ausgespartem Mittelteil, weil ich den immer zuletzt plotte) das Äußerste, was ich zu einem Roman an Vorarbeit leiste. Ich bin, was das angeht, furchtbar langweilig – ich kann kein Skizzenbuch vorweise, keine eindrucksvollen Mindmaps oder Timelines, nur ein paar kurze Stichpunkte, was in welchem Kapitel passieren soll, wenn ich fürchte, mir das sonst nicht merken zu können. Die Idee lebt in meinem Schädel und gärt dort vor sich hin, wirft mir manchmal ein paar neue Ideen zum Abnicken vor, aber ich habe nicht das Gefühl, dabei groß nachdenken zu müssen, sondern es einfach passieren zu lassen. Je mehr ich aktiv grüble, desto unzufriedener bin ich mit dem Ergebnis, und es ist für mich immer das Vorzeichen eines großen Plotlochs, wenn ich selbst zu denken anfangen muss. Denken muss ich vor allem, wenn es darum geht, die Chronologie auf die Reihe zu bekommen, wenn ich mehrere parallele Schauplätze habe und vor der Frage stehe, was wann wo passiert. Aber das allermeiste läuft in meinem Unterbewusstsein ab, vielleicht, weil meine Kreativität weiß, was für ein fauler Hund ich bin und dass ich meine Zeit besser mit dem eigentlichen Schreiben verbringen sollte. Vielleicht sind mir deswegen schon so viele Ideen im Traum gekommen.
Ganz und gar gefütrchtet bin ich, wenn ich andere Leute zu einer Plotfrage heranziehe. Üblicherweise passiert das, wenn ich wirklich keine Ahnung habe, wie es weitergehen soll, und ich stelle meinen Autorenkollegen oder meinem lieben Ehemann meine Frage, höre mir all ihre Ideen für meinen Plot an, und dann setze ich mich hin und schreibe etwas ganz anderes – meistens, weil mir mit einem plötzlichen Aha-Effekt aufgeht, wie es eigentlich sein muss. Es ist mir sehr wichtig, mir die anderen Ideen anzuhören, weil sich sonst die Hirnmaschine nicht in Bewegung setzt, aber ich fürchte, meine Freunde fühlen sich doch von mir verschaukelt, weil ich am Ende nie eine der vorgeschlagenen Lösungen wähle. Ich bin immer wieder auf Hilfe von außen angewiesen, so wie man einem streikenden Motor einen heftigen Tritt versetzen muss, damit er wieder arbeitet. Und spätestens, wenn ich ein Buch so richtig vor die Wand gefahren habe, muss ich mich auch auf meinen Hosenboden setzen und aktiv von vorne bis hinten plotten, ehe ich daran weiterschreiben kann. Aber meine liebste Plotmethode ist, wenn das Unterbewusstsein die Drecksarbeit macht und ich selbst nur mitschreiben muss.
Manchmal denke ich, ich schreibe nicht gerne, weil das mit so viel Arbeit einhergeht. Und ich plotte nicht gerne, weil das so anstrengend ist. Warum schreibe ich dann überhaupt? Weil ich eine Sache liebe: anderen von meinen Ideen zu erzählen, und dann hören zu dürfen, dass es gute Ideen sind. Dann macht es Spaß, daran weiterzuspinnen. Genauso, wie es mehr Spaß macht, eine fertige Szene vorlesen zu dürfen oder ganz allein darin zu versinken, als sie schreiben zu müssen, oder es mehr Spaß macht, ein paar Rezensionen zu lesen, als ein Buch zu überarbeiten. Und auch wenn ich oft nicht gerne schreibe, ist es so eine Erleichterung, die Idee aus dem Kopf zu haben, damit dort Platz ist und etwas Neues nachwachsen kann. Meine Phantasie ist wie ein Garten. Die Geschichten wachsen von selbst, ohne dass man an ihren zerren müsste, damit es schneller geht. Aber trotzdem muss ich düngen, und gießen, und jäten, und ab und an den Wildwuchs zurückschneiden. Und unterm Strich vergeht kaum ein Tag, an dem ich das, was ich tue, nicht von ganzem Herzen liebe.