Wenn man als Autor ein Buch veöffentlicht, und dabei nicht als Selbstverleger in Erscheinung tritt, hat man oft wenig Einfluss darauf, unter welchem Titel das Buch am Ende erscheint. Manchmal hat man Glück und ein Mitspracherecht, oder der Verlag bentuzt gleich den Arbeitstitel des Autors, aber oft liegt diese Entscheidung bei Marketingfachleuten, die wissen (oder glauben zu wissen), was sich am besten verkauft und welche Titel den Leser dazu verleiten, ein Buch in die Hand zu nehmen. Trotzdem muss sich der Autor Gedanken machen, wie er sein Buch nennen will – selbst wenn ihn am Ende nie ein Leser zu Gesicht bekommt, will man doch die Aufmerksamkeit des Lektors wecken. Und auch, wenn man im Bekanntenkreis von seinem Werk erzählt, kann man mehr Neugier wecken und Aufmerksamkeit erregen, wenn man einen knackigen Titel zur Hand hat.
Mir sind meine Arbeitstitel sehr, sehr wichtig, und meistens stehen sie schon ganz am Anfang und bilden das Gerüst, um das herum ich die Handlung und Figuren aufbaue. Das kann dazu führen, dass ich einen Arbeitstitel habe, an dem ich sehr hänge, auch wenn sich die Handlung des Romans in eine Richtung entwickelt hat, die eigentlich gar nicht mehr so gut zum Titel passt, wie das bei der Gauklerinsel der Fall war. Ich habe mir noch und nöcher den Kopf zerbrochen, um einen besseren Titel für das Buch zu finden, aber trotz der Tatsache, dass im Buch eigentlich gar keine Gaukler vorkommen, habe ich bis heute keinen Titel gefunden, der prägnant ist und so gut zur Stimmung des Buches gepasst hätte. Abgesehen von meinem allerersten Fantasyroman, der es zwar auf über sechzig Seiten brachte, aber nie auch nur zu einem Arbeitstitel, haben allem meien Bücher, vollendet oder fragmentarisch, Arbeitstitel gehabt, auf die ich durch und durch stolz war.
Inzwischen bin ich ja sehr zurückhaltend und gebe meinen Werken gerne prägnante Komposita als Titel, wie Geigenzauber oder Mohnkinder oder Engelsschatten. das Buch, das dieses Muster begründet hat. Aber in meine Jugend, als ich Krimiautorin werden wollte, war nicht nur ich wildbewegt – meine Titel waren es auch. Knüller wie Doppelt gemordet hält besser, Alibi für einen Geist oder Lebensecht Sterben – letzteres in sofern eine wirklich schlechte Titelwahl, weil das zu deutlich auf den eigentlichen Mörder hinweist – machten es mir leicht, mir meine Bücher direkt im Regal zwischen all den anderen, »richtigen« Büchern vorzustellen. Und meine Liste war lang – ich war nicht die produktivste Autorin, aber ich hatte einen Block, auf den ich eine Sammlung lauter knackiger Titel geschrieben hatte, zu denen ich mir mal einen Roman ausdenken könnte, wie Die Tote in der Torte, Bube, Dame, König, Tod oder Abera Kadavera: Meiner Wortspielwut war kein Ende gesetzt, und seinen krönenden Abschluss fand das Ganze, als ich beschloss, der Douglas Adams der Kriminalliteratur zu werden mit einer Reihe um den platonisch nekrophilen Leichenräuber J. Hemlock Briddle, dessen erster Fall allen erntest den Titel trug Wo ist dein Schädel, Mädel?. Ich war jung. Man möge es mir nachsehen.
Als ich mich der Fantasy zuwandte, kamen mir die Titel längst nicht mehr so locker-flockig-cool wie zu Krimizeiten, und das war ihr Glück. Ich finde immer noch, dass Eine Flöte aus Eis ein schöner, poetischer Titel ist, und ich hätte die in der gleichen Welt spielende Geschichte von der Glasstadt Ilanrea gerne Eine Stadt aus Glas genannt, stolperte dann jedoch über Paul Austers nahezu gleichnamigen Roman, und nannte das Buch endlich schweren Herzens in Die Spinnwebstadt um. Seitdem mache ich, bevor ich einem Buch einen Arbeitstitel gebe, eine Recherche, ob es den Titel schon gibt – einen Roman, insbesondere einen in Arbeit, umnennen zu müssen, empfinde ich als nicht minder stressig, als eine Hauptfigur umnenen zu müssen. Dementsprechend selten kommt es bei mir vor. Ich habe aus den unvollendeten Fantasyroman Die Moore von Thoria leichten Herzens in das deutlich schönere Durch die Nebelpforte umbenannt, weil allzu offentlich war, dass der ursprügliche Titel zu sehr von einem Tolkien-Verhörer beeinflusst war, und aus Das Brennende Buch wurde Klagende Flamme, weil zu dem Zeitpunkt das Buch längst aus der Handlung verschwunden war und ich dafür dieses wunderschöne Heine-Zitat gefunden hatte. Aber üblicherweise sind meine Titel in Stein gemeißelt, und sie sind gut.
Ich bin aber immer empfänglich für Geniestreiche von anderen. Ausgerechnet Das Puppenzimmer, das einen wirklich genialen Titel hat, verdankt diesen nicht mir, sondern meiner Agentin, die dem Buch unmittelbar vor der Buchmesse einen neuen Namen verpasst hat und mich hinterher vor vollendete Tatsachen gestellt und begeistert zurückgelassen hat. Wäre es nach mir gegangen, hieße das Buch bis heute Das Puppenzimmer, was doch ein arg generischer Titel ist, perfekt ins Genre passt, aber nicht so recht herausragen will. Genauso wenig glücklich bin ich gerade mit dem Arbeitstitel meines Victorianerthrillers, weil ich Das Haus der verlorenen Kinder zu lang, zu unspezifisch und zu wenig prägnant finde. Aber wenn das Buch einmal fertig ist, fällt uns vielleicht noch etwas besseres ein. Dafür mag ich sehr die Titel der Schattenklingen, und ganz besonders Die Kinder des Hauses Otrempa. So ein Buch würde ich kaufen. Sofort.