Die Welt in der Wühlkiste II

Mit einer Welt in einer Wühlkiste hat es angegfangen, damals, das muss 2006 gewesen sein. Eine Autorin im kleingeblümten Kleid besucht eine Buchhandlung und findet den Auftaktband ihrer Fantasyreihe »Leraval-Trilogie«, das Buch »Das gefälschte Siegel«, draußen in der Wühlkiste, entstellt mit einem Stempel »preisreduziertes Mängelexemplar«, was der einzige erkennbare Mangel an dem Buch ist. Auch die freundliche Buchhändlerin, die hinzukommt, kann nicht mehr wirklich helfen: Sie stellt am PC fest, dass der Ladenpreis des Buches aufgehoben worden ist, der Verlag hat es aus dem Sortiment genommen.

Die Autorin, sie trägt den Namen Lioba Demming, ist entsetzt: Davon wusste sie noch nichts, und eigentlich sollten auch noch Band zwei und drei der Reihe in ihrem Verlag erscheinen, und jetzt ist das erste Buch schon vergriffen? Da hilft nur eines: Nicht etwa die Reihe im Selbstverlag herausbringen, aber die nichts ahnende Buchhhändlerin ins Land Leraval versetzten, damit sie dort verhindern kann, dass der Dämon in die richtige Welt entkommen kann. Es war ein sehr konfuses Buch, das muss ich zugeben. Und das einzige gute daran war die Geschichte in der Geschichte, »Das gefälschte Siegel«, und seine Hauptfiguren, angeführt vom geschmeidig-gutaussehenden Prinzen Tymur.

Ich habe die Idee ausgeschlachtet, bin mit dem Roman im Roman durchgebrannt und habe die Außenhandlung weggeschmissen, und am Ende hatte ich eine tolle Trilogie in einem tollen Verlag – und doch schließt sich gerade der Kreis, und das ziemlich endgültig. Der Verlag, mein toller, großartiger Traumverlag, meldet »Das gefälschte Siegel« und den Nachfolgeband, »Das gefälschte Herz«, vergriffen. Hebt den Ladenpreis auf. Die Bücher wandern, wenn ich Glück habe, in die Wühlkisten, oder, da es Hardcover sind, auf die Grabbeltische. Wenn ich Pech habe, werden sie einfach makuliert. Ich habe noch jeweils zehn Exemplare bestellt, für mich, zum Verschenken. Ich weiß, es sind die letzten Exemplare dieser Bücher, die ich jemals bekommen werde.

Darum wird dies ein wahrscheinlich letzter Beitrag zu der Reihe, die inzwischen aus einem L ein N gemacht hat und den stolzen Titel »Neraval-Sage« trägt. Ihre Zeit ist abgelaufen. Nur der dritte Band, der noch nicht so lang auf dem Markt ist, bleibt noch ein Weilchen lang lieferbar, aber wir wissen alle, dass der mehr als nur angezählt ist. Und obwohl das bei mir viel besser gelaufen ist als in »Die Welt in der Wühlkiste«, fühle ich mich doch so niedergeschlagen wie Autorin Demming.

Dabei sind alle drei Bände erschienen, was bei einer schlecht laufenden Reihe keine Selbstverständlichkeit ist. Mein (ehemaliger) Verlag hat sich zum Grundsatz gemacht, eine angefangene Reihe auch abzuschließen. Vielleicht bereuen sie das jetzt. Der zweite und vor allem dritte Band der Reihe sind wirklich sehr schlecht gelaufen. So ein Niedergang von einem Reihenauftakt, der noch als Toptitel vermarktet worden ist!

So bin ich aus dem Autorenhimmel grob abgestürzt – nicht erst jetzt, als die Nachricht kam, dass die Bücher vom Markt gehen, sondern schon vor vier Jahren, als »Das gefälschte Herz« in den Lockdown rein erschienen und kläglich gefloppt ist. Neraval hat sich davon nie erholen können, aber der Grund für den Misserfolg liegt nicht in der Pandemie, sondern daran, dass einfach zu wenige Leute nach dem ersten Band wissen wollten, wie es weitergeht, und das nach ziemlich vielen negativen Rezensionen auch zu wenige Leute noch überhaupt den ersten Band lesen wollten. Da habe ich schlichtweg am Geschmack und am Interesse der Leser:innen vorbeigeschrieben.

Ich hätte damit rechnen müssen, dass der Verlag sich früher oder später von der Reihe trennen würde – aber dass es schon jetzt passieren würde, das hat mich auf dem falschen Fuß erwischt. Anders wäre es, wenn »Die Spiegel von Kettlewood Hall« verramscht werden würden – da wäre es vielleicht sogar eine Erleichterung, wenn dieses Trauerspiel endlich vorbei wäre, ich die Rechte zurückgekomme und einen Schlussstrich drunterziehen kann. Aber Neraval? Meine Herzenstrilogie? Das tut weh.

Ich habe mich immer gefragt, wie es sich für eine:n Autor:in anfühlt, wenn ein Buch vergriffen gemeldet wird – bis es mich mit »Geigenzauber« erwischte. Der Vertrag mit Impress lief nach drei Jahren aus, ich bekam eine formlose Mail, dass die Rechte an mich zurückfallen, und das war’s. Und ich zuckte nicht mehr mit der Wimper. »Geigenzauber« war ein großer Flop, hat in drei Jahren nur irgendwas zwischen hundert und zweihundert Exemplare verkauft, das ist nichts, und ich wusste, das wird nichts mehr. »Geigenzauber« war ein reines Ebook und ist, als es vergriffen gemeldet wurde, spurlos verschwunden. Es gibt keine Wühlkisten, keine Antiquariate für Ebooks, und nur ein, zwei Exemplare, die man noch über die Onleihe bekommen kann, verraten, dass es dieses Buch jemals gegeben hat.

Diesen Weg wird »Das gefälschte Siegel« nicht nehmen. Von dem Buch sind noch genug Exemplare im Umlauf, gebrauchte und diejenigen der Restauflage, die in den Ramsch gehen, dass man dieses Buch wohl auf Dauer noch im modernen Antiquariat wird bekommen können. Wer das Buch lesen will, hat noch viele Möglichkeiten dazu. Es gibt auch noch diverse Exemplare in Bibliotheken. Und für beide Bücher, die uns jetzt verlassen, gilt: Die Ebooks bleiben lieferbar, und vom »Gefälschten Siegel« auch noch das Hörbuch. Nur die Hardcoverausgaben, diese schönen Bücher mit Glanzprägung, gehen. Und ich bin traurig deswegen. Ich mag diese Bücher.

Aber ich muss mich bei meinem Lektor bedanken dafür, wie er die Ladenpreisaufhebung kommuniziert hat: Er hat mich angerufen und es mir persönlich gesagt, mir zum Wetzlarer Phantastikpreis gratuliert und nochmal gesagt, wie sehr er das jetzt bedauert – er hat selbst ja auch eine Menge Arbeit in diese Reihe gesteckt und hätte ihr einen größeren Erfolg gewünscht. Und das glaube ich ihm von vorn bis hinten. Ich habe wirklich sehr gern mit ihm und dem Verlag zusammengearbeitet, und ich hoffe einfach mal, dass da wieder bessere Zeiten kommen, dass es vielleicht später nochmal zu einer neuen Zusammenarbeit kommt. Vielleicht war die »Neraval-Sage« einfach das falsche Projekt. Vielleicht hätten wir statt eines Dreiteilers doch besser einen Einbänder umgesetzt – ich hatte ja zuerst meine »Gauklerinsel« angeboten.

Aber man steckt nicht drin. Die »Neraval-Sage« bleibt ein Priojekt, an dem mein Herz hängt. Tymur und Kevron bleiben Lieblingsfiguren von mir. Die Geschichte mit dem Dämon, der vielleicht in eine Schriftrolle gebannt ist und vielleicht nicht, liebe ich noch immer. Die Frage, wer wann lügt, wer wann die Wahrheit sagt, wer oder was echt ist und was oder wer nur eine Fälschung, darauf bin ich immer noch stolz. Anderes hat nicht so gut geklappt, und am Ende hat es nicht sollen sein. Schade drum.

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