Ich wollte nie historische Romane schreiben, ehrlich. Zum einen ist es ein Genre, dass ich nicht besonders gern lese, zum anderen hat mich die Bandbreite dessen, was man falsch machen kann, schlichtweg abgeschreckt. Als Schülerin hatte ich einmal angefangen, eine Geschichte zu schreiben, in der ein Mädchen aus den Achtzigern/Neunzigern (also damals zeitgenössisch) merkt, dass sie schon einmal in den Zwanzigern gelebt hat – und scheiterte daran, dass ich mir zu unsicher war, wie Menschen in dieser alten Zeit gesprochen haben sollten. Danach ließ ich von allem, was wie ein historischer Stoff aussah, geflissentlich die Hände. Auch, als meine Eltern beim Ahnenforschen auf eine richtig knackige Räuberpistole stießen, die regelrecht danach schrie, zu einem Roman gemacht zu werden, war ich nicht zu erweichen: So interessant der Stoff aus dem Achtzehnten Jahrhundert auch sein mochte, und so leicht sich ein Buch mit dem Titel Die Tochter des Goldmachers auch verkaufen lassen würde – es war einfach nicht mein Genre. Keine historischen Romane für mich, und keine von mir.
Übermorgen beginnt der Nanowrimo, und an den Start geht mein neuer Mystery-Roman. Für Die Spiegel von Kettlewood habe ich das harte Leben der englischen Textilarbeiterinnen im Jahr 1871 recherchiert, unter besonderer Berücksichtigung der Gesetzeslage zur Kinderarbeit und Fragen der allgemeinen Schulbildung. Die Recherchen gingen mir flott und routiniert von der Hand, ich wusste, wo ich suchen musste und wonach, schließlich bin ich erfahren im Umgang mit solchen historischen Stoffen, und wenn ich alle Percy-Bücher einzeln berücksichtige, ist Kettlewood mein achter Roman mit historischem Hintergrund … Wie passt das zusammen? Sagte ich nicht eben noch, historische Stoffe fasse ich nicht an? Offenbar sieht es anders aus, sobald ein Buch nicht mehr als historischer Roman daherkommt, sondern unter dem Label Gaslicht oder Mystery auftritt – dabei recherchiere ich für diese Bücher genau so akribisch, als wenn die Geschichte ohne phantastische Elemente auskommen müsste.
Als ich mich 2011 an die Arbeit am Puppenzimmer machte, war ich sehr unsicher. Nicht mehr so schlimm wie 1990, wo ich mir nicht mal vorstellen konnte, wie Leute in der Vergangenheit sich ausgedrückt hatten, aber doch vorsichtig genug, um die Idee über ein halbes Jahr liegenzulassen, ehe ich auch nur die ersten Seiten schreiben konnte. Dabei war ich gut vorbereitet: extrem firm in britischer Geschichte, die immer schon ein Hobby von mir war, vertraut mit dem Genre und der Sprache meiner literarischen Vorbilder, und abgesehen davon, spielte nahezu das ganze Buch in einem abgelegenen Landhaus, wo von Zeitgeschichte oder Politik nicht viel zu merken war. Aber ich wollte alles richtig machen, und ich hatte Angst, mir auch nur eine einzige historische Ungenauigkeit durchgehen zu lassen, und ich wusste schlichtweg nicht, wo ich mit dem Recherchieren anfangen sollte.
Aber nachdem ich einmal mit der eigentlichen Arbeit angefangen hatte und den Dreh raus, jedes einzelne Detail, bei dem ich mir nicht hundertprozentig sicher war, eben schnell nachzuschlagen, waren das Eis gebrochen und der Groschen gefallen. Nicht nur hatte ich keine Angst mehr vor historischen Stoffen – ich merkte, dass ich tatsächlich ein Talent dafür habe, wo es um die Vermischung historischer Stoffe und phantstischer Inhalte geht. Ich habe immer noch keine Lust, klassische historische Romane zu schreiben, tut mir leid, Tochter des Goldmachers. Aber wenn ich Geister einbauen kann, oder Feen, oder Dämonen, oder was auch immer über Horatios Schulweisheit hinausgeht, scheue ich nicht die Zwanziger, die Edwardianische Zeit, die Victorianer, und auch wenn ich fast drauf reingefallen wäre, dass man in den Zwanzigern doch Charleston getanzt hat, während das erst gegen Ende des Jahrzehnts nach Europa rübergeschwappt ist, habe ich bislang auch die meisten groben und feinen Fehler vermieden.
Es macht mir Spaß, die Details und Kleinigkeiten nachzuschlagen; ich freue mich, dass jahrelange hobbymäßige Beschäftigung mit der britischen Geschichte und Landeskunde sich endlich auszahlt, aber das Entscheidende, was mir die Angst vor dem historischen Stoff genommen hat, ist, dass es nicht um die Geschichte geht, nicht um Daten, um Könige oder Kanzler, sondern um Menschen. Natürlich kann ich nicht die Mentalität des Jahres 2015 einfach auf meine Heldin im Jahr 1871 übertragen und denken, es wird ein historischer Roman, wenn sie nur das passende Kleid anhat. Die Lebensbedigungen sind anders, und große Träume müssen hinter dem Wunsch, einfach zu überleben, zurücktreten – aber unter all diesen Schichten stecken Menschen, die einen Alltag haben und ein Leben, und das alles herauszukitzeln und dabei dem Leser das Gefühl zu geben, sich in der alten Zeit zu befinden und doch unter ganz alltäglichen Menschen, macht mir Spaß.
Ich will niemals nie sagen, was klassische historische Romane angeht, aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt reizen sie mich nicht. Historische Mystery hingegegen … Ich glaube, da habe ich eine Nische gefunden, in der ich mich sehr, sehr wohl fühle.