Hier bin ich wieder, und ich berichte live von der Planung meines neuen Nanowrimo-Romans »Funkenschwarz«. Diesmal will ich einmal möglichst lückenlos festhalten, wie bei mir ein Buch entsteht, von der ersten Idee bis zur letzten Seite – auch wenn ich jetzt schon weiß, dass ich während des Nanos selbst wegen des hohen Schreibaufkommens nicht so viel zum Bloggen kommen werde. Aber das ist dann ja auch nur der Schreibprozess. Die eigentliche Arbeit kommt vorher und behinhaltet die Planung, das Plotten, das Recherchieren.
Ich habe, das muss ich gestehen, noch nie einen Schreibratgeber komplett gelesen. Ich habe »Save the Cat writes a Novel« hier liegen, ich will das schon seit Ewigkeiten durcharbeiten, aber bis jetzt ist alles, was ich von dem Buch weiß, dass die Hauptfigur am Anfang etwas tun muss, das sie sympathisch macht – eben die Katze retten. Und ich muss ebenfalls gestehen, dass sich selbst daran nur die wenigsten meiner Hauptfiguren halten. Und trotzdem, auch wenn sie nicht die Katze retten, mag ich sie. Auch wenn nicht alle Leser:innen gleichermaßen etwas mit ihnen anfangen können. Es wird noch das Buch kommen, das ich mithilfe von »Save the Cat« plottet. Aber dieses hier ist es nicht.
Was ich jetzt also habe, ist schon ziemlich viel Plot, wo es um die Vorgeschichte geht, bevor sich Tresilean und Yestin, die beiden Hauptfiguren, in der Akademie wiedersehen. Ich weiß von ihrer gemeinsamen Zeit beim Zirkus, und wie die endet, als der Geheimbund, der scharf auf Tresileans Fähigkeiten ist, ihn dem Direktor buchstäblich abkauft. Was ich noch nicht habe, ist der Geheimbun, ist das, wofür Tresilean überhaupt in die Akademie kommt, aber ehe ich da ankomme, fehlt mir noch etwas ganz Wesentliches: Ich kenne meine Hauptfiguren noch nicht gut genug. Schließlich will ich ein Buch in den Perspektiven der Beiden schreiben, und meine Perspektiven sind so eng und persönlich, dass ich die Antworten auf die Kernfragen »Was liebst du?«, »Was hasst du?«, »Wovor hast du Angst?« und vor allem »Was willst du?« kennen möchte, ehe ich mit dem Schreiben auch nur anfange.
Und da machen es mir Tresilean und Yestin schwer, auf unterschiedliche Weise. Tresilean verschließt sich mir, mag keine Fragen beantworten, sich nicht in den Kopf schauen lassen, und wie ich jemals in seine Perspektive eintauchen soll, das weiß ich noch nicht. Yestin, auf der anderen Seite, ist durchaus kommunikativ, sucht meine Nähe, tut so, als würde er mir, guter Kumpel, der er ist, alles von sich erzählen – und bleibt doch völlig im Dunkeln, was seine Motivation angeht. Von ihm weiß ich, immerhin, dass er seine Gabe gerne los wäre, dass sie ihn zwingt, das Schicksal der Menschen bis zum Tod zu sehen, und dieser Tod ist selten ein friedlicher. Yestin leidet darunter, er trinkt, um die Visionen wieder zu vergessen – aber ist das sein Ziel? Seine Gabe wieder loswerden? Etwas in mir sagt Nein, aber Yestin schweigt sich über das, was er wirklich will, aus. Ich habe eine Plaudertasche und einen, der sich ausschweigt, und ich komme mit beiden nicht weiter.
Aber der Tintenzirkel verspricht Abhilfe: Ich schicke die beiden zu einem Vorstellungsgespräch. Dafür gibt es ein eigenes Board, das keinen anderen Sinn hat, als Autor:innen zu helfen, die eigenen Figuren besser kennenzulernen. Es funktioniert ganz einfach: Man stellt seine Figuren vor, so, dass die anderen schon mal wissen, was über sie bekannt ist (und was nicht) – und dann stellen die anderen Forenmitgliedern ihnen Fragen. Das können Allgemeinplätze sein wie »Trinkst du lieber Kaffee oder Tee?« oder tiefgehende, auf die Figur zugeschnittene individuelle Fragen – alles ist recht, was hilft, die Figur kennenzulernen, ob man sie sich in Alltagssituationen vorstellt und herausfindet, wie sie sich so verhalten, oder psychologisch in die Tiefe geht: Am Ende kennt man seine Figur eine ganze Ecke besser.
Das ist mit Arbeit für die Autor:innen verbunden, die Fragen wollen beantwortet werden, was einiges an Zeit verschlingen kann. Und deswegen haben Threads in diesem Board eine Tendenz, relativ schnell zu verwaisen, weil die Fragen nicht mehr beantwortet werden. Was schade ist. Aber diesmal war es mir ernst, und ich hatte Bock auf meine Figuren – und so habe ich mir jede Frage vorgenommen, im Detail, habe darauf herumgekaut und mir buchstäblich einen Wolf geschrieben, und als der Tag rum war, hatte ich an die sechstausend Wörter nur mit dem Beantworten der Fragen verbracht und war mit meinem Plot einen Riesensprung vorangekommen.
Ich muss aber auch sagen, ich hatte wirklich Glück mit meinen Fragestellern. Es waren nur zwei, Soly und Tasha, aber ihre Fragen waren wirklich super. Und Soly, die Psychologie studiert, ist nach meinen Antworten hingegangen und hat mir für Tre und Yestin ein kleines psychologisches Assessment geschrieben, was ich ganz und gar toll finde, weil es mir wirklich gewaltig weitergeholfen hat, auch mal diese Außensicht auf die Beiden zu bekommen. Tasha hat Zugriff aufs Nanowrimo-Board und konnte darum auch meinen geplanten Plot für das Buch sehen, während Soly nur meine Kurzcharakterisierung und die Antworten auf die Fragen kannte, um die Figuren kennenzulernen – und ihre psychologische Einschätzung war echt auf den Punkt.
Was weiß ich also jetzt über die Tresilean und Yestin? Fangen wir mit Yestin an, der sich bei den Fragen immer ein bisschen vorgedrängelt hat. Der ist, das war die erste große Überraschung, wirklich ein sympathischer Charakter. Er reibt sich für seine Freunde auf, ohne etwas im Gegenzug zu erwarten, und muss dabei noch nicht mal die Katze retten. Mit seiner Gabe verbindet ihn eine Hassliebe – er wäre sie auf der einen Seite gerne quitt, weiß aber auf der anderen Seite, dass er ohne nicht mehr er selbst wäre. Dass er trinkt, um seine Visionen wieder zu vergessen, ist tragisch, aber ein Coping Mechanismus, der zumindest ein bisschen zu funktionieren scheint.
Schon lange, bevor er Tresilean das erste Mal trifft, hat er Visionen von Menschen, die durch Tres Gabe zu Tode kommen – und trotzdem nimmt er den Jungen unter seine Fittiche, kümmert sich um ihn, und betrachtet ihn bald als einen guten Freund. Ihr Wiedersehen an der Akademie wird dementsprechend kein Zufall sein: Yestin kennt Tresileans Zukunft, er weiß, wann er ihn dort antreffen kann, und dann ist auch Yestins Ziel ziemlich deutlich klar: Er will Tresilean aufhalten. Als Freund, weil man Freunden auch sagen muss, wenn sie zu weit gehen. Und wenn es ihm gelingt, auch nur einen der Menschen, den er sterben gesehen hat, dann kann er endlich beruhigt schlafen, dann weiß er, die Zukunft, die er sieht, ist doch nicht in Stein gemeißelt.
Aber er ist darauf vorbereitet, sich mit Tresilean auf unterschiedlichen Seiten wiederzufinden, und sogar bereit, sein Leben zu geben, um die Stadt zu retten – und das, obwohl er die Stadt noch nicht einmal mag und nur Sympathie für Tre empfindet. Aber Tre hat sich da in etwas hineinziehen lassen, das zu groß ist für ihn, und wenn es Yestin nicht gelingt, ihn da noch hinauszubekommen, dann muss er seinen Weg zuende gegen, für seine Prinzipien und für die Menschen, die sonst sterben müssten.
Tresilean, hingegen, hinterlässt nicht den sympathischsten Eindruck. Er erscheint besessen von seiner Macht, ist besessen von dem Gedanken, seine Rache zu nehmen an den Menschen, die ihm übel mitgespielt haben – aber anders als Yestin habe ich ihm nur die Hälfte von dem, was er über sich erzählt hat, wirklich abgekauft. Er will sich auf eine bestimmte Weise präsentieren, eiskalt, berechnend, machtgeil – aber dann habe ich den Jungen vor Augen, von dem Yestin erzählt hat, der sich im Wahrsagezelt unter dem Tisch versteckt hat, wenn Yestin da seinen Kunden die Zukunft gedeutet hat, und ich sehe sein Trauma, das er nie überwunden hat – er wäre gern ein eiskalter Killer, aber da drin steckt ein verletztes Kind, das Hilfe braucht.
Wie ich mit seiner Perspektive arbeiten soll, weiß ich noch nicht so recht, weil er mich immer noch nicht an sich heranlässt, aber ich denke, ich habe jetzt angefangen, ihn zu knacken, und der Rest kommt auch noch – ich will ihm nicht wehtun, aber ich werde ihn aufbrechen müssen, ich muss nur den einen Punkt finden, an dem er noch verwundbar ist. Ich habe mir in den Kopf gesetzt, das Buch perspektivisch zu schreiben, wie alle meine Bücher, und ich kann nicht hingehen und dann eine Perspektive in Innen- und eine in Außensicht schreiben. Zum Glück habe ich noch sechs Wochen, Tre und seine Perspektive auf die Reihe zu bekommen. Und die gedenke ich zu nutzen.
Auch wenn Tresilean und Yestin beide davon ausgehen, als Gegner an die Sache heranzugehen, reden sie doch nur in den höchsten Tönen voneinander, und ich denke, ich komme darum herum, das Friends-to-Enemies-Trope bemühen zu müssen, das ich nämlich absolut hasse. Ich habe es schon im »Gefälschten Land« benutzen müssen, aber echte Freunde waren da Kevron und Tymur nie, weil Tym seinen Part nur gespielt hat. Jetzt, mit Tresilean und Yestin, habe ich zwei, die wirklich beidseitig Freundschaft für einander empfinden und vielleicht sogar noch mehr als das, und ich bin willens, dass sie sich zusammenraufen und gemeinsam die Stadt retten.
Dank der Interviewrunde weiß ich jetzt also deutlich mehr über meine beiden Hauptfiguren – aber es hat sich noch mehr ergeben. Da ist auch noch die Bärtige Dame, deren Name jetzt Lula lautet und die eine gute Freundin und Vertraute für Yestin ist. Sie hat ihm das Leben gerettet auf die Gefahr hin, dass ihre heilende Gabe bekannt wird – was sie das Leben kosten kann, denn wer eine übernatürliche Gabe hat, muss damit rechnen, in der Akademie als Opfer eines Menschenversuchs zu enden, und ich glaube inzwischen, dass das auch Lula widerfahren wird – nicht durch Yestins schuld, der lieber den Blinden spielt, als dass herauskommt, dass Lula ihn von den Folgen seiner Vergiftung geheilt hat, aber auf anderem Weg. Und ich halte es für gut möglich, dass es ihre Rettung ist, über der sich Yestin und Tresilean wieder zusammenraufen.
Noch eine Figur, die durch das Interview an Format gewonnen hat, ist der Zirkusdirektor. Er heißt jetzt Ruan Severean und ist eine schurkische Arschgeige. Nicht nur kauft und verkauft er die Mitglieder seines Tingeltangels, als wären sie keine Menschen, sondern Nutzvieh – er hat auch bereits versucht, seinen eigenen Zirkus abzubrennen, um die Versicherungsprämie zu kassieren. Und so hat er auch Tresilean vor allem deswegen in die Truppe aufgenommen, weil er hofft, dass der ihm einen Blitzschlag bescheren wird: ein Akt höherer Gewalt, der über den Verdacht der Brandstiftung erhaben ist. Ich gebe zu, schurkische Zirkusdirektoren sind ziemlich abgedroschen, nicht erst seit »Wasser für die Elefanten«, aber wirklich, jemand, der andere Menschen für Geld und zur Kinderbelustigung ausstellt, kann in meinen Augen kein guter Mensch sein.
Ich habe also jetzt eine Menge Material an der Hand für den Teil des Buches, der im Zirkus spielt, nur ein bisschen für den Teil an der Akademie, und immer noch nichts über den Geheimbund. Kommt alles noch. Erst einmal recherchiere ich aber jetzt noch Sachen, die mir für die Zirkuskapitel helfen sollen. Ich lese in der Wikipedia die Biographien von Sideshow-Performern, und ich werde mir wahrscheinlich noch Tod Brownings Film »Freaks« aus dem Jahr 1932 anschauen, bei dem echte Sideshow-Performer die titelgebenden Rollen gespielt haben.
Ich habe auch schon sehr viel über bärtige Damen gelernt, und ich merke dabei, wie sehr es mir fehlt, dass ich mir selbst keinen Bart wachsen lassen kann – das einzige Stück Gender Dysphoria, das mir im Zusammenhang mit meinem Körper passiert. Lula ist schon deswegen eine Figur, für die ich große Sympathien hege, auch wenn sie wirklich kein Alter Ego von mir werden soll – sie identifiziert sich als Frau, ist auch außerhalb der Schaubühne ausgesprochen feminin, und ich muss nur zusehen, dass sie keine Damsel in Distress wird, wenn sie jetzt auch noch aus den Fängen der Akademie gerettet werden muss. Für sie muss ich kein Vorstellungsgepräch aushängen, das mache ich nur bei Hauptfiguren, für die mir das Gefühl fehlt, aber ich freue mich, wenn ich auch in den Nebenrollen jemanden mit Profil habe.
Noch etwas, das ich recherchiert habe, sind Methanolvergiftungen, und es ist gut, dass ich das getan habe, ich hätte sie sonst wahrscheinlich völlig falsch dargestellt. Es ist nämlich mitnichten so, dass man Methanol trinkt und als nächstes nichts mehr sehen kann. Tatsächlich setzen die Vergiftungserscheinungen erst nach und nach ein, und das Erblinden ist ein gradueller Prozess, der sich über Tage hinzieht – wie auch das Sterben derjenigen, die so eine Vergiftung nicht überleben. Ich versuche, herauszufinden, seit wann man weiß, dass Ethanol ein Gegengift ist, und tatsächlich ist es selbst heute noch das gängigste Mittel gegen eine Methanolvergiftung, den Opfern Schnaps einzuflößen oder Ethyl-Alkohol zu injizieren und sie über Tage betrunken zu halten, damit das Enzym Alkoholdehydrogenase damit beschäftigt ist, den Ethanol zu verstoffwechseln und der Methanol auf natürlichem Weg ausgeschieden werden kann, statt im Körper zu Ameisensäure und Formaldehyd zu werden und damit bleibende Schäden bis zum Tod anzurichten.
Da kommt es mir gerade einmal entgegen, dass ich Chemie als Leistungskurs hatte und diese chemischen Prozesse auch verstehen kann. Ist das nötig, um eine Methanolvergiftung in einem fiktiven Text zu beschreiben? Insbesondere, wenn sie off camera passiert und in der Vorgeschichte einer Figur liegt? Natürlich nicht. Aber ich habe einfach Spaß an Toxikologie und freue mich, wenn ich mein Wissen dahingehend einmal brauchen kann. Selbst wenn man im fertigen Buch dann nichts mehr davon merken wird. Wenn Yestin aber mal von seiner Vergiftung erzählt oder daran in seiner Perspektive zurückdenkt, dann wird das dank meiner Recherche Hand und Fuß haben.
Was bislang recherchetechnisch hintenüber gefallen ist: Mein Genre. Ich habe mich noch nie wirklich intensiv mit Steampunk beschäftigt, auch wenn ich einen entsprechenden Hut besitze – ich bin mit der Ästhetik vertraut, weniger mit der Technik, aber darüber mache ich mir die geringsten Sorgen. Zum einen besitze ich eine Steampunk-Athologie, die ich nur zu lesen brauche, zum anderen bin ich mit der historischen Einordnung bestens vertraut. Und mit meinem »Lied aus Glas« habe ich, ebenfalls im Nanowrimo, einen Clockworkpunk-Roman geschrieben, ohne mich jemals vorher mit dem Genre befasst zu haben. Streng genommen ist »Funkenschwarz« noch nicht mal Steampunk. Es ist Fantasy mit einem Steampunksetting – ich habe Magie, ich habe übernatürliche Gaben, ich müsste das Ganze strenggenommen dann auch »Steam Fantasy« nennen, aber ich meine mich zu entsinnen, ausgerechnet im Steampunk wird das nicht so tragisch und ernst genommen.
Ja, so viel ist also passiert, seit ich vor nunmehr vier Wochen die erste Idee zu »Funkenschwarz« hatte. Und noch sechs weitere Wochen sind es hin, bis der Nano beginnt – in der Zeit kann noch viel passieren. Bleibt dran! Ich halte euch auf dem Laufenden!