Zwei Jahre ist es her, da bewarb ich mich ohne jedwede Erwartungen mit meiner »Neunten Träne« um das allererste PAN-Stipendium, und gewann es. Das war eine große Sache für mich, hat meinem Selbstbewusstsein sehr gut getan und mir geholfen, die Verdienstverluste, die ich durch Covid erlitten habe, abzupuffern – und hätte ich nicht ausgerechnet im Förderzeitraum unter einer schweren Depression gelitten, hätte ich aus dem Stipendium und dem damit verbundenen Mentoring noch mehr rausholen können. Aber so oder so war es ein großer Gewinn, und jetzt, wo der erste Band der »Träne« fertig ist (und ich wie der Ochs vorm Berg vor dem zweiten Band stehe), kann ich sagen, dass ich sehr davon profitiert habe.
Seitdem habe ich immer wieder gehofft, einmal etwas zurückgeben zu können. Und jetzt habe ich genau dazu die Möglichkeit. Denn auch in diesem Jahr wird das PAN-Stipendium vergeben, und weil in der Kategorie Debüt eine Jurorin aus gesundheitlichen Gründen aussteigen musste, hat das Phantastik-Autoren-Netzwerk bei mir angefragt, ob ich Lust und Zeit habe, den vakanten Posten zu besetzen. Und obwohl ich wusste, dass damit auch nicht zu verachtende Arbeit mit verbunden ist – ausgerechnet diese Kategorie war in den letzten Jahren immer die einsendungsstärkste – musste ich nicht lang überlegen.
Insgeheim habe ich nämlich immer von genau so etwas geträumt: Einmal in der Jury eines renommierten Schreibwettbewerbs zu sitzen. Ich fühle mich sehr geehrt, dass man mir die Expertise zutraut, und auch wenn ich sonst immer wieder mit meinem inneren Saboteur zu kämpfen habe, dieser kleinen Stimme, die mir einflüstert, dass ich unwürdig bin, es sowieso nicht kann, und die Ehrung nicht verdient habe, schweigt diese Stimme gerade: Ja, ich traue mir das zu. Und ganz besonders glücklich bin ich, dass es in der Kategorie Debüt ist.
Die finde ich besonders spannend, weil sie so eine große Bandbreite an Autor:innen abbildet: Da sind auf der einen Seite die blutigen Anfänger:innen, die gerade den allerersten Roman schreiben, und die nun mit zitternden Fingern und doch gesundem Selbstvertrauen ihre erste Bewerbung überhaupt rausschicken – und auf der anderen Seite Leute, die vielleicht schon ein Dutzend fertiger Bücher in der Schublade haben, aber eben nur in der Schublade; die sich bei Agenturen und Verlagen beworben haben und immer nur Pech hatten, Absage um Absage kassiert haben und in dieses Stipendium die letzte Hoffnung setzen, es doch noch irgendwie zu schaffen. Und natürlich alles dazwischen.
Ich kann mich mit beiden Extremen identifizieren. Ich habe auch mal meinen allerersten Roman geschrieben, war darauf so stolz wie nur was, und habe ihn, natürlich gründlich überarbeitet, eingereicht – nicht für ein Stipendium, sowas gab es damals noch nicht, aber beim Wolfgang-Hohlbein-Preis 1999. Da habe ich natürlich keinen Blumentopf gewonnen, auch wenn ich insgeheim auf den Sieg gespitzt habe, aber das hat mich nicht davon abgehalten, es weiter zu versuchen, und mein Traumverlag hat dann immerhin sogar das Gesamtmanuskript angefordert. Aber damals war ich nicht nur die junge, enthusiastische Debütantin. Ich war auch sehr pessimistisch und habe gedacht, ich finde sowieso niemals einen Verlag, weil ich mir keine falschen Hoffnungen machen wollte und gehört hatte, dass nur der aller-allergerinste Teil aller Autor:innen überhaupt jemals einen Verlag findet und ebenso viel Glück dazu gehört wie Beziehungen – die ich nicht hatte.
Ich war immer noch eine Debütantin, als ich 2012 bereit war, alle Hoffnungen fahren zu lassen, weil mich sowieso niemand haben wollte. Dazwischen hatte ich geschrieben, geschrieben, geschrieben – meine »Spinnwebstadt« war in der Zeit entstanden und viereinhalb Bände »Elomaran«, ich hatte den »Schattenstein« und »Geigenzauber«, die »Mohnkinder« und die »Schattenuhr«, die »Gauklerinsel« und auch mein »Puppenzimmer«, ich hatte sogar eine Agentur, die an mich glaubte, aber mit den Verlagen wollte und wollte es nicht klappen. Mal weckte noch nicht mal die Leseprobe Interesse, mal dauerte die Prüfung Monate, einmal hatte ich schon eine halbe Zusage in der Tasche, und es wurde doch nichts draus – da wollte ich wirklich die Brocken hinschmeißen und dachte, ich gebe auf und spare mir den Stress – aber ich konnte nicht loslassen, versuchte es weiter, und tatsächlich kam Ende 2012 dann die Zusage von dotbook für das »Puppenzimmer« rein.
Jetzt rechne ich mit allem, vom ersten Schritt zum letzten Seufzer, und das macht es so spannend. Und das Ganze quer durch alle Genres der Phantastik – heißt das dann nicht, dass ich Äpfel mit Birnen vergleichen muss? Und wie bleibt man über dem ganzen objektiv? An der Stelle muss ich sagen: Ich denke nicht, dass es möglich ist, einen Roman rein objektiv zu beurteilen. Dafür ist das Lesen ein viel zu persönlicher Prozess, man wird angesprochen und abgeholt oder aber stehengelassen. Wäre es möglich, Literatur rein objektiv zu bewerten, das Literarische Quartett hätte sich niemals zerstritten, hätte niemals etwas zu diskutieren gehabt, sondern immer in einem ziemlich langweiligen Konsenz gehandelt. Literatur polarisiert, man liebt und hasst, und was der eine toll findet, findet der andere scheußlich.
Und doch ist es möglich, Literatur zu bewerten. Der persönliche Geschmack ist das eine, das Handewerkszeug das andere. Ich habe in meinem Studium, und später noch mal in der Ausbildung, gelernt, Bücher auch von außen zu betrachten –zum Beispiel, um zu entscheiden, was ich für meine Kleinstadtbücherei anschaffe, in dem Wissen, dass nicht alle Leser:innen dort meinen persönlichen Geschmack teilen, so, dass für jede:n etwas dabei ist. Oder sich in die Kund:innen im Buchhandel hineinversetzen und ihnen das Buch empfehlen, das ihnen bestmöglich gefallen soll. Ich habe auch jahrelang ein scharfzüngiges Rezensionsblog geführt und erst damit aufgehört, als ich selbst unter die veröffentlichten Autoren gegangen bin, damit man mir nicht vorwerfen konnte, schlecht über meine Kolleg:innen zu reden.
Hier im Stipendium gelten natürlich andere Kriterien, als wenn ich einen veröffentlichten, professionell lektrorierten Roman beurteile. Das PAN-Stipendium ist ein Werkstipendium, die Bücher sind allesamt noch in Arbeit, im äußersten Fall existiert eine Rohfassung, im anderen Extrem nicht mehr als ein Exposé und fünfzehn Seiten Leseprobe: Da bewertet man kein fertiges Produkt, sondern sucht das Potenzial, das ein Projekt verspricht; man muss abstrahieren können und hochrechnen, wie das Werk einmal aussehen kann – und das ist eine Herausforderung, auf die ich mich freue.
Man darf nicht vergessen, dass ich seit vierzehn Jahren über andere Autor:innen urteile. So lange schon muss man sich im Tintenzirkel um eine Mitgliedschaft bewerben, und seitdem habe ich zusammen mit dem Obermotzteam rund anderthalbtausend Bewerbungen geprüft. Es macht keinen Spaß, Absagen zu verschicken, aber manchmal kann eine Bewerbung einfach nicht überzeugen. Und ich weiß auch, dass ich nicht jedes Projekt, das mir im Rahmen des Stipendiums auf den Tisch flattern wird, gefallen wird, und mich nicht alles in Begeisterungsstürme wird ausbrechen lassen. Ich bin nur ein Teil einer mehrköpfigen Jury, meine Stimme hat Gewicht, ist aber nicht alles – wichtig ist, die Meinungen der anderen zu respektieren und die Bewerber:innen erst recht. Das, denke ich, kann ich gut. Mir eine Meinung bilden und diese kommunizieren – das traue ich mir zu.
Aber sprechen wir mal über den Elefanten im Raum: Den Tintenzirkel. Das ist mein Autor:innenforum, ich betrachte viele der Mitglieder als persönliche Freund:innen – und darunter sind auch einige, die sich für das Stipendium beworben haben. Bin ich da nicht voreingenommen? Werde ich da nicht alles dransetzen, meinen persönlichen Pappenheimern den Preis zuzuschustern? Gerade letzte Woche habe ich noch geschrieben, dass ich allen die Daumen drücke, dass ich hoffe, nach den Stipendien 2021 und 22, die in der Roman-Kategorie von Tintenzirkler:innen gewonnen wurden, den Preis wieder ins Forum zu holen? Und dann will ich jetzt Jurorin sein? Wie war das noch mit den Böcken und den Gärtnern?
An der Stelle muss ich sagen: Ich betrachte die Juryarbeit als eine große Ehre, und meine Ehre ist mir wichtig. Ja, ich habe eine Romantrilogie über Fälscher, Lügner und Betrüger geschrieben – aber das ist fiktion. In Wirklichkeit ist mir meine Integrität sehr, sehr wichtig. Die Einsendungen beim PAN-Stipendium werden anonymisiert beurteilt – nur das Stipendiumsbüro kennt die Namen hinter den Projekten – und das, was ich aus dem Tintenzirkel erkenne, kann, darf und werde ich nicht bewerten. Und ich werde Titel erkennen. Schon jetzt, ohne auch nur eine der Einreichungen gesehen zu haben, kenne ich die Titel von zwei Projekten in der Debüt-Kategorie, und als Admin kann ich die Nicknames der Tintenzirkler sogar den Realnamen dahinter zuordnen. Und es ist gut möglich, dass ich andere Titel wiedererkennen werde – vielleicht, weil sie im Nanowrimo geschrieben wurden und ich einen Romanthread dazu gesehen habe. Vielleicht erkenne ich Figuren und Zusammenhänge aus einer Plotfrage wieder. Vielleicht bin ich an anderer Stelle im Forum darüber gestolpert …
So etwas passiert. Auch anderen Juror:innen, auch in den anderen Kategorien. Die deutschsprachige Phantastiszene ist so groß nicht. Man kennt sich. Und man erkennt sich wieder. Wenn so etwas passiert, gibt es nur eine Option: Ich lege das offen. Ich verzichte auf eine Bewertung des Projekts, und in diesem Fall wird die Gesamtwertung aus den Stimmen der anderen Juror:innen gebildet. So sehr ich meinen lieben Tizis einen Sieg gönne, so wichtig ist mir, nicht die Neutralität der Jury zu gefährden. Ich will neutral beurteilen, nur auf Basis des vorliegenden Textmaterials, ohne zu wissen, wer dahintersteckt. Und wenn ich etwas wiedererkenne und zuordnen kann, geht das eben nicht. An der Stelle gibt es keine gezielte Hilfestellung von mir für Tizis. Und für meine Kategorie hoffe ich, dass am Ende ein Buchprojekt gewinnt, das die ganze Jury in Begeisterungsstürme ausbrechen lässt – unanbhängig davon, in welchen Communities der/die Autor:in Mitglied ist, oder ob überhaupt. Gerade als Debütant:in ist man ja noch nicht automatisch fest in der Phantastiszene angekommen.
Und jetzt warte ich gespannt auf die Einsendungen. Freue mich auf rohe Diamanten. Und darauf, aus einem Haufen hoffentlich allesamt großartiger Bücher meine Favoriten rauszupicken. Es wird ein Haufen Arbeit werden. Aber das ist es mir wert. Das PAN-Stipendium ist eine tolle Sache, für die ich mich gern engagiere. Phantastik gehört gefördert. Und die Schritte bis zum Debüt können die schwersten überhaupt sein.
Gibt es keine Befangenheitsregelung für so etwas? So dass man sich für einige Storys für befangen erklären kann, und die Stimmen der anderen Jury-Mitglieder dann entsprechend stärker gewichtet werden?
Wenn nicht, dann sollte so etwas vielleicht mal eingeführt werden.
Die Befangenheitsregel ist, dass ich diese Titel gar nicht bewerte – und dementsprechend die Gesamtwertung aus dem Durchschnitt der anderen Juror:innen gebildet wird. Da bin ich jetzt kein Präzendenzfall, es ist schon in den vergangenen Jahren vorgekommen, dass Titel erkannt worden sind. Bei mir passiert es jetzt mit Ansage, und es war mir wichtig, darauf einzugehen, damit klar ist, dass den Kandidat:innen weder ein Vor- noch ein Nachteil daraus erwachsen soll, wenn ich ihre Einsendung ihnen zuordnen kann.