Mehr als acht Jahre ist es her, als ich unfreiwillig Alphatester einer Webseite namens 4theWords wurde – unfreiwillig deswegen, weil ich dafür bezahlt hatte wie für ein vollwertiges Produkt und es keinen Hinweis darauf gab, wie unfertig diese Webseite damals wirklich war. Der Aufmacher klang toll, eine Art Schreibrollenspiel, bei dem man Monster besiegt, indem man ihre Trefferpunkte als Wörter schreibt – aber nichts funktionierte, die Devs reagierten nicht auf Bugberichte, und das angeschlossene Forum war voller enttäuschter Schreiberlinge, die sich auf eine tolle Sache gefreut hatten und nicht bekamen. Entsprechend enttäuscht fiel an dieser Stelle meine Rezension der Seite aus, und ich endete mit einem ausdrücklichen »Finger weg!«.
Ich hatte zwar für ein ganzes Jahr bezahlt, aber so lange blieb ich dort nicht, nach einigen Wochen war ich, verärgert und enttäuscht, wieder weg. Und dabei blieb es für die nächsten Jahre – ich wusste nicht einmal, dass es 4theWords noch gab, bis ich durch Zufall bei einer Facebookfreundin über deren Erfolgsberichte stolperte. Sie hatte mithilfe von 4theWords eine ganze Menge geschrieben, und auch wenn ich wegen meiner schlechten Erfahrungen skeptisch war, schaute ich mir die Seite noch mal an. Ich registrierte einen neuen Account, um die dreißig kostenlosen Probetage nutzen zu können (ich wünschte, die hätte es schon 2014 gegeben!), und, weil es mitten im Nano war, startete voll durch. Jetzt nutze ich 4theWords seit vier Jahren nahezu täglich, und es wäre unfair, nicht endlich auch hier eine aktualisierte Rezension zu veröffentlichen. Denn ich muss sagen, die Seite hat sich seitdem wirklich gemacht.
4theWords ist inzwischen das, was sie von Anfang an versprochen haben: Man reist durch eine phantastische Welt, erledigt Questen, indem man Monster bekämpft, Schätze findet und Gegenstände craftet, und all das, während man an den eigenen Geschichten schreibt. Die Seite ist kostenpflichtig, und inzwischen zahlt man sogar deutlich mehr als die sechzehn Dollar, die ich damals für meinen Alphatest gezahlt habe, aber anders als damals ist es das heute, zumindest für mich, wert. Ein Monat kostet vier US Dollar aufwärts, das klingt erstmal nicht nach viel, aber man muss das trotzdem erst einmal übrig haben. Ich zahle mehr, freiwillig, und sponsore damit die Mitgliedschaft von jemanden, der sich die Seite sonst nicht leisten könnte. Bei deutlich über tausend Mitgliedern, die 4theWords inzwischen hat, lohnt sich das für die in Costa Rica ansässigen Entwickler – aber sie haben eine Marktlücke entdeckt, diese nach Anlaufschwierigkeiten gut ausgefüllt, und sind jetzt aktiv und engagiert dabei, die Seite weiterzuentwickeln und die Geschichte weiterzuspinnen.
Die Geschichte, die man auf der Seite erlebt, ist erstmal ein wenig konfus. Bösartiger Staub lässt Kreaturen mutieren, man selbst – als sogenannter Dust Warrior – bekämpft den Staub, arbeitet sich Region für Region über die Landkarte, findet Verbündete, bekämpft Monster, bis es am Ende im Staubschloss gegen den korrumpierten König persönlich geht. Dabei hatte ich den Eindruck, dass die Geschichte mit der Zeit besser und schlüssiger geworden ist, als hätten Ed und Co. mehr Energie in das Schreiben gesteckt als am Anfang. Und es ist noch nicht vorbei, nach und nach werden neue Regionen freigeschaltet, dazu kommen zeitlich begrenzte Events nicht nur zum Nanowrimo, die dann auch noch ihre eigene Handlung mitbringen, und wer will, kann sich in unzähligen Nebenquesten verlaufen, statt durch die Haupthandlung zu hetzen.
Ich bin jetzt vier Jahre dabei, habe eine Zeitlang jede einzelne Nebenmission mitgenommen, mich dann letztes Jahr darauf konzentriert, doch erstmal die Handlung aufzuholen, und bin jetzt mit dem vorletzten Gebiet beinahe durch – dann geht es also auch für mich endlich zum auf zum Schloss, und ich bin, wenn ich dieses Jahr mit meinem Schreibziel gut vorankomme, endlich wieder auf einem aktuellen Stand. Hätte ich 2014 nicht die Brocken hingeschmissen, sondern der Seite die Treue gehalten, wäre ich sicherlich mit der Handlung inzwischen durch – aber auch für diejenigen, die wirklich lang dabei ist, kommt immer wieder neuer Inhalt dazu, neue Nebenmissionen, und eben immer wieder neue Regionen, neue Kapitel der Geschichte, neue Gegner.
Die Monster, die man bekämpfen kann, rangieren zwischen 50 und 15.000 Wörtern – für die ganz kleinen hat man nur fünf Minuten Zeit, für das superdicke Bossmonster dann mehrere Tage, und nicht alles wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird: Bis man den Endboss erreicht hat, ist der eigene Angriffswert, schließlich ist das ein Rollenspiel, so hoch, dass man nur noch vielleicht die Hälfte dieser Wörter schreiben muss, weil man praktisch doppelten Schaden macht, und mit einem entsprechend hohen Verteidigungswert dazu hat man entsprechend mehr Zeit pro Kampf. Dabei kann man, wenn man will, seine Wörter direkt auf der 4theWords-Webseite schreiben, wo sie laufend gespeichert werden und sicher vor Computerabstürzen sind – ich ziehe es vor, in meinem gewohnten Programm zu schreiben und dann rüberzukopieren, auch das ist zulässig, und ich arbeite lieber in Patchwork, wo ich meine Szenen hin und her schieben kann, wie ich will, ohne dass die Wörter versehentlich mehrfach zählen.
Gamification ist etwas, dem man jetzt überall begegnet, für Kinder, aber auch für Erwachsene. Ich habe eine App auf dem Handy, um mit spielerischer Unterstützung mein Haus in Ordnung zu halten, aber die benutze ich praktisch nie, ich vergesse hartnäckig, dass ich sie habe. Aber mein 4theWords nutze ich jeden Tag, wenn ich nicht gerade krank bin (und selbst dann logge ich mich ein, um mich für den Tag krankzumelden und meine Siegessträhne nicht zu verlieren). Für die Siegessträhne ist es nötig, das gehört zu den Dingen, die sie von 2014 beibehalten haben, jeden Tag 444 Wörter zu schreiben. Und 444 Wörter sind machbar. Das schaffe ich auch an einem Tag, wo es nicht so gut läuft. Es hilft mir nicht, wenn ich wirklich nicht gut dabei bin, dann schreibe ich gar nicht, aber man kann sogenannte Stempos erwerben und erspielen, mit denen man auch rückwirkend seine Siegessträhne wieder flicken kann, und wer sich am gleichen Tag noch vor Mitternacht krankmeldet, zahlt dafür auch keine Stempos.
Letztes Jahr habe ich davon zu oft Gebrauch gemacht, mir wäre lieber, ich müsste für jeden Tag, den ich nicht schreibe, auch bezahlen, selbst wenn das mit einer virtuellen Währung passiert und nicht mit Echtgeld: Ich will ja schreiben, ich will ja am Ball bleiben, und sich mal eben für den Tag freinehmen ist ein bisschen zu einfach, das kann ich sogar am Handy, wenn ich zu träge bin, dafür an den Computer zu gehen. Ich verstehe, dass sie die Option anbieten, aber an vielen Tagen war ich dann doch nicht wirklich krank, sondern einfach nur faul, und hätte doch schreiben sollen, wenn man es mir nicht so leicht gemacht hätte, das zu schwänzen. Für dieses Jahr habe ich mir vorgenommen, mich wirklich nur dann abzumelden, wenn ich auch wirklich krank bin – aber bis jetzt läuft mein Schreibjahr gut, ich habe jeden Tag mehr als mein Mindestpensum geschrieben und bin willens, das auch durchzuziehen. Gute Vorsätze, und so.
Aber ich muss sagen, dass mir 4theWords, zumindest meistens, wirklich hilft, am Ball zu bleiben. Und das ist nicht nur, weil ich Geld dafür ausgegeben habe, sondern weil es mich wirklich motiviert. Ich mag Fantasyrollenspiele, ich habe Spaß an den Kämpfen, es motiviert mich, wenn ich dafür meine Erfahrungspunkte bekomme und meine Belohnungen einsammeln kann und am Ende meine Questen für noch mehr Belohnungen abgeben kann. Dabei ist alles, was man in dem Spiel gewinnen kann, virtuell – ich kann Sachen bekommen, mit denen ich meinen Avatar ausstaffieren kann, neue Kleidung und Frisuren und Haustiere, und Einrichtung für mein virtuelles kleines Häuschen und den dazugehörigen Garten. Seit Neuestem kann ich auch noch meine eigenen Drachen großziehen, die mir dann, wenn ausgewachsen, im Kampf zur Seite stehen und meine Kampfwerte verbessern.
So macht 4theWords meistens sehr großen Spaß. Allerdings werden die Questen der Hauptstory im Verlauf immer aufwändiger und damit auch zäher. Seit Anfang des Jahres, seit knapp 60.000 Wörtern, kaue ich auf einer einzigen Hauptquest herum, für die ich insgesamt achtundzwanzig Staubabweisende Elixiere herstellen muss – und für die dafür benötigten Zutaten die gleichen drei Monster immer und immer und immer wieder bekämpfen muss, mehrere hundert Mal. Grinden nennt man das im Gamer-Jargon, und es macht wenig Spaß. Da hätte ich mir mehr Vielseitigkeit gewünscht, lieber mehr kleine Questen als solche, die sich nach vier Wochen wirklich wie Arbeit anfühlen.
Ist 4theWords nun für jeden etwas? Zumindest für jeden, der schreibt? Ich denke nicht. Man muss schon Spaß an Rollenspielen mitbringen, man muss eine Vorliebe zum Wörterzählen haben, und so wie auch der Nanowrimo nicht für jeden Schreiberling etwas ist, werden viele mit 4theWords nichts anfangen können – oder sich zu sehr unter Druck gesetzt fühlen. Das ist die Schattenseite der Gamification: Es werden Denkmuster ausgebildet, die zu Suchtdenken führen können oder zu Schuldgefühlen, wenn man die – immer noch völlig freiwilligen! – Aufgaben vernachlässigt. Aber Schuldgefühle fürs Nicht-Schreiben haben viele Autor:innen auch ganz ohne Gamification. Und wer versuchen möchte, wirklich jeden Tag zu schreiben und einen kleinen Anreiz dazu braucht, dem empfehle ich 4theWords jetzt aus vollem Herzen.
Zumindest ausprobieren kann man mal. Die ersten dreißig Tage sind umsonst. Niemand muss mehr die Katze im Sack kaufen. Und ein Bugfest, wie vor nunmehr acht Jahren, ist die Seite längst nicht mehr. Von mir gibt es jetzt ein ausdrückliches »Daumen hoch!«.