1973 sangen Dr. Hook & the Medicine Show in einem Lied aus der Feder des von mir sehr bewunderten Shel Silverstein darüber, dass sie auf das Cover des Musikmagazins »Rolling Stone« wollten – Zeichen dessen, dass man es wirklich geschafft hat im Showbiz. Fünf Exemplare wollten sie für ihre Mutter kaufen, dann hat die was zum Angeben, und das erinnert mich an das eine Mal, als ich es als Sechsjährige mit Foto in die Ruhrnachrichten geschafft habe mit einer hilflos verkehrt gehaltenen Ukulele und der Überschrift »Maja zupft wie Marilyn«, weil der Reporter eigentlich wegen eines in meinem Elternhaus stattfinden sollenden Muttermilchtests angereist war, der Muttermilchtester sich aber verspätete, der Reporter wenig Zeit hatte, Platz in der Zeitung zu füllen war und da dieses herzige blondlockige Kind herumlief, während die väterlichen Instrumente die Wand säumten. Und so wurde mir kurzerhand das hawaiianische Nationalinstrument in die Hände gedrückt, als wär es eine Puppe, ein Bild geschossen, und am anderen Tag hatte ich meine fünf Minuten Ruhm und meine Oma ein Exemplar der Zeitung zum Drauf-Stolz-Sein, und noch Jahre später hat sie diesen Artikel noch herumgezeigt. Und ich wette, weil bei meinen Eltern nichts wegkommt, haben sie noch irgendwo in der Schublade eine Fotokopie dieses Artikels liegen.
Maja zupft wie Marilyn – für viele Menschen wäre das wahrscheinlich das größte Stück Ruhm ihres Lebens geblieben, aber ich wollte ja immer mehr, ich wollte berühmt werden, nicht als Ukulelespielerin, sondern als Autorin. Und so schaffte ich es, ca. 1991, auch in unsere Tageszeitung, in einem Bericht über schreibende Jugendliche, wo ich nach dem Interview verstehen konnte, was es heißt, wenn einem die Presse das Wort im Mund umdreht und einem Sachen unterschiebt, die man nie gesagt hat. Aber es war ein Stückchen Ruhm, und der Artikel drei Jahre später, als ich in einem internationalen Teddybärenwettbwerb mit einem Preis ausgezeichnet wurde, war das auch. Es war jetzt nicht gleich das Cover der Rolling Stone, aber es war was. 2006 folgte ein Artikel über meinen ersten Nanowrimo im »Billerbecker Anzeiger«, der dann auch vor zwei Jahren einen wirklich sehr schönen Artikel über meine Arbeit an der »Neraval-Sage« veröffentlicht hat. Ich schreibe Fantasy, damit schafft man es nicht ins Feuilleton …
Das war auch das Thema einer Podiumsdiskussion auf dem allerersten PAN Branchentreffen, das im April 2016 in Köln stattfand. »Muss mehr deutsche Phantastik ins Feuilleton?« war der Titel, und – wie ich dem Protokoll, das die großartige Sabrina Železný anschließend in ihrem Blog veröffentlicht hat, entnommen habe – waren dort neben zwei Autoren, einer Verlegerin und dem Repräsentanten des Kölner Literaturhauses auch eine Journalistin von der FAZ vertreten, denn die FAZ macht DAS Feuilleton, rezensiert DIE Literatur, und bringt dort tatsächlich praktisch nie Fantasytitel. Wobei, das warf ich aus dem Publikum ein, nicht nur dem Feuilleton der Schwarze Peter zugeschoben werden sollte: Viele Fantasyautor:innen definieren sich, und ihr Genre, darüber, die Ausgestoßenen des Buchmarktes darzustellen, das verpönte Genre, das niemand ernst nimmt, das in literarisch ausgerichteten Buchhandlungen keinen Platz hat – und da hat nicht nur das Feuilleton Vorurteile gegenüber der Phantastik, da hat auch die Phantastik ihre Vorurteile vor dem zu mainstreamigen Feuilleton.
Persönlich, das sagte ich in der Podiumsdiskussion nicht – schon weil ich eben nicht auf dem Podium saß, sondern nur im Publikum – hätte ich das Feuilleton jetzt nicht von meiner Bettkante gestoßen. Ja, ich stehe zu meinem Genre, und ich kann damit leben, dass es ein possierlich nischenhaftes Schattendasein fristet, aber gell, mehr verkaufte Exemplare wären jetzt auch nicht zu verachten, und über etwas mehr Ruhm würde ich mich auch nicht beschweren. Vor allem aber sehnte ich mich nach der literarischen Anerkennung, die das Feuilleton mitbringt. Ich wollte immer Fantasy machen, aber eben nicht nur Fantasy – ich will Bücher schreiben, die mehr sind als Vertreter ihres Genres, die für sich stehen können und die literarischen Wert haben. Und trotzdem Fantasy sind. Das eine schließt das andere ja nicht aus. Aber was bei Krimis längst geklappt hat, die ihren Genredünkel abgeschüttelt haben und nicht mehr automatisch unter »Unterhaltungsliteratur« verbucht werden, sondern ihren Platz in den Literaturteilen dieser Welt gefunden haben, ist in der Fantasy immer noch undenkbar.
Natürlich, es wird immer eine Ausnahme gemacht für den »Herrn der Ringe«, und wenn sie da angekommen sind, fallen den Leuten noch eine Handvoll anderer phantastischer Werke ein, die sich zur Welt der Literatur, wenn schon nicht zur Weltliteratur, zählen dürfen – aber das war es dann auch schon. Zeitgnössische deutschsprachige Autor:innen vermisst man in diesen Listen jedenfalls. Im ewigen Kampf des U gegen das E sind wir hilflos verloren, abgestempelt für alle Zeit als U wie Unterhaltungsliteratur. Und mal völlig davon abgesehen, dass Unterhaltung nichts Ehrenrühriges ist, wollte ich immer mehr als nur unterhalten. Ich habe an mich den Anspruch, dass ich Literatur machen will, mit E für Erbauung.
Erbauung, das ist ein wirklich seltsames Wort. Benutzt das irgendwer? Tatsächlich habe ich es verwendet, in »Unten«, im Zusammenhang mit der Wanderausstellung »Erbauung der Jugend«. Vielleicht hätte ich dieses Wort schon längst mal früher benutzen sollen. Denn kaum kommt mir dieser Begriff ins Vokabular, klappt es auch schon mit der Anerkennung. Zu »Unten« sind in den letzten beiden Wochen, seit es erschienen ist, eine Reihe wirklich großartiger Rezensionen erschienen – im »Bücher-Magazin«, im »TITEL Kulturmagazin«, auf Lovelybooks, den Handelsplattformen, und was mich dieses Mal besonders freut, ist, dass sie durch die Bank lobend sind. Meine Fälscher hatten sehr darunter zu leiden, dass ausgerechnet der über Erfolg und Niederlage entscheidende erste Teil nur sehr durchwachsene Kritik eingefahren hat. »Unten« scheint dieses Schicksal nicht zu teilen, es wird durch die Bank gelobt – und jetzt hat dieses Buch seinen Ritterschlag erfahren. Es ist im Feuilleton besprochen worden, in der FAZ. Und das sogar sehr positiv.
Ich bin gestern beim Egogoogeln drüber gestolpert, da war der Artikel gerade erst eine Stunde online und die Druckausgabe noch nicht im Handel, und ich konnte ihn nicht lesen, ohne ein Online-Probeabo abzuschließen, aber ich wollte nicht warten, bis mir vom Verlag das Belegexemplar der Rezi zugeht, und auch nicht, bis ich in der Stadt war, um mir die gedruckte Zeitung zu besorgen – also habe ich mal eben die FAZ abonniert und den Rest der Nacht damit verbracht, wieder und wieder den Text zu lesen und das Wort, das darüber prangte: »Feuilleton«. Ich habe es geschafft. Mit einem phantastischen Roman. Zugegeben, ich habe die Hintertür genommen. »Unten« ist ein Kinderbuch, und im Kinderbuch hat man es vielleicht leichter, phantastische Stoffe als Literatur zu verkaufen. Es ist auch keine High Fantasy, sondern eher Science Fiction, in jedem Fall eine Dystopie, und Dystopien haben ihren festen Platz in der Weltliteratur, und niemand macht ihnen das streitig. Aber der Artikel erwähnt auch, dass ich Fantasyautorin bin, und das macht mich stolz. Ich bin Fantasyautorin. Und im Feuilleton.
Ich habe es geschafft. So wie Dr. Hook & the Medicine Show 1973 tatsächlich das Cover der »Rolling Stone« zierten, bin ich in der FAZ. Ich habe allerdings keine fünf Exemplare für meine Mutter gekauft, sondern meinen Eltern nur einen Scan des Artikels zukommen lassen – und im Gegenzug einen Scan von »Maja zupft wie Marilyn« bekommen. So schließt sich der Kreis.
Ukulele spielen kann ich übrigens immer noch nicht.