Noch vor einer guten Woche habe ich einen Charakter sterben lassen und mich im Forum darüber ausgeheult, wie wirklich sich so etwas doch anfühlt und wie sehr es zu Herzen geht. Noch vor drei Tagen war es meine größte Sorge, daß mir der Plot ausgehen könnte. Und jetzt, nur ein paar Tage später, haben sich alle Prioritäten verschoben und hat die Wirklichkeit das Autorenleben eingeholt. Ein Mitglied des Tintenzirkelforums, ein Mitglied unseres T12-Teams, ist verstorben. In echt, und für immer, und für uns alle völlig unerwartet.
Sie hatte viele Namen – im Tintenzirkel hieß sie erst Lavina, später Christy. Gestorben ist ist sie aber unter ihrem richtigen Namen, Yasmine. Im Mai 2009 ist sie zu uns gestoßen, hat uns ihre Bewerbung geschickt, uns gefallen, und schnell Anschluß im Forum gefunden. In der Elterngruppe war sie aktiv, sie hatte zwei kleine Kinder, und in den regelmäßigen Brainstormingsitzungen war sie mit ihren guten Einfällen ein gerngesehener Teilnehmer. Sie war immer freundlich, immer lieb, und als sie sich Anfang Januar verabschiedete, um sich einer Operation zu unterziehen, haben wir ihr alles Gute gewünscht, und manche haben noch versucht, ihr die Angst vor der Operation zu nehmen, durch gutes Zureden und die eigenen positiven Erfahrungen. Aber statt operiert zu werden, ist sie gestorben.
Im T12 lag sie weit hinten, auf dem zweitletzten Platz unserer täglichen Statistik, mit nur 1.572 Wörtern. Ich wollte ihr eine aufmunternde Mail schreiben, dachte, sie hätte nur einen Fehlstart erwischt, und las dann in ihren letzten Beiträgen von der anstehenden Operation. Statt der Aufmunterung wollte ich eine Gute-Besserungs-Mail schreiben und ließ es doch sein, was ich immer noch bereue. Dann, vorgestern Abend, sah ich sie im Forum – oder dachte es zumindest. Als ich ihr nämlich eine PN schicken wollte, um sie nach erfolgter OP wieder im Forum zu begrüßen, ging ein kleines Fenster auf, daß ich selbst eine Nachricht hätte. Von Lavina, dachte ich erst – aber sie war von ihrer Schwester, und sie enthielt die schlechten Nachrichten.
Es ist das erste Mal in der sechsjährigen Geschichte des Forums, daß ein Mitlgied stirbt, aber selbst wenn das schon öfter passiert wäre, ich wär genauso fertig und fassungslos gewesen. Da helfen auch keine Beileidsbekundungen – diese junge Frau wurde einfach aus dem Leben gerissen, aus ihrem eigenen und dem ihrer Familie. Wie können wir als Unbeteiligte, als Außenstehende, und erdreisten, das, was wir angesichts ihrers Todes empfinden, Trauer zu nennen? Was soll erst ihre Schwester sagen, oder ihre beiden Kinder? Aber wir waren fassungs- und hilflos, erst nur das Moderatorenteam, dann, nachdem wir es bekanntgegeben hatten, auch der Rest des Forums.
Alles, was wir tun können, ist nur symbolisch, aber zumindest symbolisch wollen wir etwas tun, um Lavinas zu gedenken. Lavina war im T12-Team. Sie wollte 250.000 Wörter schreiben und kann es nun nicht mehr. Ohne sie sind wir nur noch fünfundzwanzig Teilnehmer – wenn nun ein jeder von uns sein Jahrsziel nur um 10.000 Wörter erhöht, können wir Lavinas Anteil mitschreiben. Ich habe das vorgeschlagen, und bis jetzt hat jeder, der davon gelesen hat, zugestimmt. Wir schreiben für Lavina, weil wir nicht mehr mit ihr schreiben können, so wie damals die Freunde von Sasaki Sadako Papierkraniche gefaltet haben, bis es tausend Stück waren, und ihr ins Grab gelegt.
Sadako ist durch die Kraniche nicht wieder lebendig geworden, und ebensowenig wird es Lavina durch unsere Wörter, und doch wollen wir es machen, schon weil es ein Mittel ist, die Starre und Hilflosigkeit abzuschütteln. Jetzt müssen wir erst recht schreiben, schreiben, schreiben. Nicht nur, weil es nicht mehr nur für uns ist – sondern weil auch keiner von uns sagen kann, wie lange wir das überhaupt noch können.