Das Highlight meines Schreibjahres, jedes Jahr aufs Neue, ist der National Novel Writing Month (Nanowrimo). Seit 2006 habe ich jedes Jahr teilgenommen und bis auf dreimal auch das Ziel erreicht, 50.000 Wörter in dreißig Tagen zu schreiben. Es geht für mich um mehr als die Wortzahlen: Der Nano ist mein Kaltstart, wenn der Rest des Jahres nicht gut gelaufen ist, lässt mich Kraft tanken und mit Elan ins neue Jahr starten. Und wenn das Jahr gut gelaufen ist, bekomme ich erst recht Schwung fürs Neue. Es geht mir nicht nur um Produktivität, es geht um den nackten Spaß am Schreiben, darum, mich immer wieder aufs Neue daran zu erinnern, warum ich das hier überhaupt mache.
Versteht mich nicht falsch, ich bin gerne Schriftstellerin, es gibt keinen Beruf, den ich lieber hätte, aber die Wirklichkeit des Autorenalltags klafft doch oft sehr weit auseinander mit dem, wie man sich das vorstellt, statt Schreiben stehen oft andere Sachen zu sehr im Fokus, Verkaufszahlen, Rezensionen, Marketing – und manchmal braucht man eine Zeit, in der sich einfach alles nur noch um das Schreiben dreht. Dafür brauche und liebe ich meinen Nanowrimo. Und für dieses Jahr hatte ich mir wieder Großes vorgenommen. Seit ich mich als Berufsautorin selbständig gemacht habe, muss ich auch im Rest des Jahres oft Nanopensum schreiben, und der Nano soll etwas Besonderes bleiben: Deswegen schreibe ich seit 2011 jedes Jahr den Doppel-Nano, gehe mit zwei Romanen an den Start statt nur mit einem, und habe im Idealfall auch den doppelten Spaß.
Dass es dieses Jahr eng werden würde mit dem Doppelnano, das wusste ich im Vorfeld. Im Frühling 2022 erscheint »Das gefälschte Land«, und das Timing führte dazu, dass in diesem Jahr die Bearbeitung meiner Lektoratsanmerkungen in den November fallen würde. Das war nicht das erste Mal, dass mir das passiert ist, meine Bücher erscheinen irgendwie immer im Frühling, und so sehr ich meinen Nano liebe, der Beruf geht vor – dann schaffe ich eben keinen Doppelnano, aber das hat mich noch nie davon abgehalten, ihn zumindest zu versuchen, schauen, wie weit ich komme, und wenn es nicht klappt, habe ich zumindest einen Ansatz, mit dem ich nach Nano und Lektorat weitermachen kann. Und zumindest einen Nano gewinnen, neben dem Lektorat, das kann ich, mit Schwung und Spaß.
So groß waren also meine Pläne für den Nanowrimo 2021: Ich hatte zwei tolle Bücher am Start. Auf das eine habe ich mich zwei Jahre lang gefreut und vorbereitet, das andere wollte ich mit minimaler Vorbereitung aus dem Bauch angehen und schauen, wo es mich hinführt, es sich einfach entwickeln lassen und mit dem Schreibzeug hinterherlaufen. Beides kann ich, und beides macht mir Spaß – und weil ich selbst bis zum Herbst an der Überarbeitung meines »Gefälschten Landes« gesessen habe, kam mir ein planloses Buch aus dem Bauch auch sehr gelegen, denn die Zeit, dann auch noch zwei Bücher akribisch vorzubereiten, hätte ich gar nicht gehabt, und der Nano ist die beste Gelegenheit überhaupt, spontan und mit nichts in der Hand an ein Buch heranzugehen. Und natürlich wollte ich auch ganz, ganz fleißig über meine Fortsschritte zu bloggen. Das habe ich nicht getan, der Nano ist rum, und daran sehen wir schon, dass dieser Nano nicht so gelaufen ist, wie er sollte.
Auf Projekt Nummer Eins hatte ich mich schon das ganze Jahr über gefreut, und nachdem ich dann auch noch das PAN-Stipendium für Konzept und Leseprobe gewonnen hatte, war es fest gesetzt als einer meiner Nano-Romane: »Die Neunte Träne«, meine Retro-Fantasy, in der sich drei mehr oder weniger Schurken die Kontrolle über ein wiederbelebtes Händchen teilen und auf Suche nach den Tränen der Götter allerlei Abenteuerliches erleben, ist ein echtes Herzensprojekt von mir, die Geschichte, die ich schon immer schreiben wollte, und mit dem überlebensgroßen Nekromanten Andreu, lebensfroh und ein bisschen selbstverliebt, hatte ich einen starken Kandidaten für den jährlichen Mr. Nanowrimo-Wettbewerb des Tintenzirkels, bei dem die coolste Sau unter den Romanfiguren gesucht wird, an der Hand – ich hatte Plot, ich hatte viel Arbeit in die Welt investiert, und ich hatte noch genug Platz für neue Ideen, um mich im Nano bei der Stange zu halten.
Projekt Nummer Zwei, wo ich es einfach drauf ankommen lassen wollte, wer nicht wagt, der nicht gewinnt, läuft unter dem Arbeitstitel »Sturmtrinker«. Hauptfigur Grigori hatte sich mit im Urlaub vorgestellt und entpuppte sich als zorniger junger Mann, der mit seiner Gabe, unkontrollierbare Stürme entfesseln zu können, einfach in der falschen Welt bzw. Zeit lebt, da in seinem postapokalyptischen Setting unkontrollierbare Stürme auch so schon an der Tagesordnung sind und er sich in seiner magisch abgeschirmten Stadt keine Freunde macht, sollte sein Geheimnis herauskommen. Er liebt einen Balletttänzer, aber seine Freiheit mehr, und als auffliegt und aus der Stadt geworfen wird, geht er mit Kusshand hinaus in den Sturm, ohne zu verstehen, dass seine Stadt ihn eigentlich doch braucht so, wie er ist. Da hatte ich kaum Plot, genau zwei Figuren, und richtig Lust zu schauen, wie es weitergeht.
Wegen des Stipendiums für die »Tränenjäger« war klar, dass der »Sturmtrinker« im Zweifelsfall das Buch ist, das auf der Strecke bleiben muss, aber darauf war ich vorbereitet. Einfach schauen, wie weit ich damit komme, das war die Devise, und unterwegs so viel Spaß wie möglich mitnehmen. Und so bin ich auch wirklich gut in den Monat gestartet, mit dem dritten Kapitel der »Tränenjäger«, dessen erste Fassung mir nicht gefiel und das ich noch mal neu aufsetzen wollte, und bei Null mit dem »Sturmtrinker«, ich schrieb an den ersten Tagen an jedem Buch zweitausend Wörter und konnte mit mir zufrieden sein – aber schon da zeichnete sich ab, dass etwas fehlte. Der entscheidende Nano-Funke wollte nicht überspringen. Ich schrieb, als wäre es jeder andere Tag im Jahr, nur halt eben ein Tag mit großem Pensum, aber es fühlte sich wie Arbeit an.
Das kann passieren, jeder Nano ist anders, und nicht jeder startet gleich gut, und ich bin Profi genug, dann trotzdem dranzubleiben. Und die Resonnanz im Tintenzirkel war toll, meine Schnipsel kamen gut an, und meine Hauptfigur eroberte die Herzen im Sturm – zumindest, wo es um Grigori, den Sturmtrinker ging. Mit dem hatte ich offenbar einen Nerv getroffen, und das, obwohl ich befürchtet hatte, eine gänzlich unsympathische Hauptfigur erschaffen zu haben. Nein, im Gegenteil, alle liebten Grima, und das, bevor er auch nur eine Katze retten musste. Anders sah es hingegen bei meinen Tränenjägern aus. Im Tintenzirkel-Nano gibt es jedes Jahr Dutzende von Romanthreads, und es ist leider so, dass nicht alle gleich viel Resonnanz generieren – aber wo ich erwartet hatte, mich mit Nekro-Andi direkt in die Herzen des Publikums zu schreiben, legte das Buch einen glatten Fehlstart hin.
Es kann an der Entscheidung gelegen haben, mit einem Kapitel anzufangen, in dem Andreu, Kamu, Arnnis und das Händchen überhaupt nicht vorkommen und es statt dessen um den parallelen Handlungszweig und die Küchenmagd Kell ging. Mit Kell war ich in erster Instanz sehr unzufrieden, deswegen wollte ich sie noch mal neu aufzuziehen, nur um festzustellen, dass ich immer noch nicht glücklich mit ihr war, und ich vermute, dieser mangelnde Enthusiasmus auf meiner Seite hat sich auf die Mitleser übertragen. Dieses Buch, auf das ich mich gefreut hatte wie nur was, fühlte sich plötzlich wie Arbeit an, und nachdem ich das Kapitel fertig hatte und zurückkehrte zu meinen vergnügten Schurken, wollte sich die Leichtigkeit nicht einstellen. Zwar fanden sich zwei treue Leserinnen, die dem Romanthread folgten, jeden Schnipsel kommentierten und mir halfen, Entscheidungen zu treffen – aber forenübergreifende Begeisterung sieht anders aus, und ich hatte auch nicht viel Begeisterndes zu bieten.
Normalerweise sprühen bei mir im Nano die Funken, eine geniale Idee jagt die andere, und die Geschichten sprudeln nur so heraus. Diesmal hingegen sprudelte gar nichts. Ich war erschöpft, nachdem ich gerade das »Gefälschte Land« nicht einmal, sondern zweimal gründlich überarbeitet hatte (zweimal deswegen, weil es nach dem ersten Durchgang noch so viel Überlänge hatte, dass ich es ein zweites Mal durcharbeiten und so stark wie möglich straffen musste), und dass ich auf der Lauer für meine Lektoratsanmerkungen lag, half mir nicht beim Entspannen – als dann das Lektorat loslegte, wurde es tatsächlich besser, weil die Anspannung damit erst mal weg war. Es war aber auch klar, dass ich mich wirklich von einem meiner Nanos verabschieden musste, und ich schickte meinen »Sturmtrinker« in den Teilzeitruhestand, ziemlich leichten Herzens, weil ich alle konkreten Plotideen aufgebraucht hatte und keine neuen nachgekommen waren. Meinen Mitlesern tat es wahrscheinlich mehr leid als mir, aber ich werde sicher zu der Geschichte zurückkehren, wenn ich wieder einen Kopf dafür habe.
Das Lektorat selbst lief super. So wenig kreativ ich mich gerade auch fühlte, so konzentriert konnte ich mich durch meine Anmerkungen arbeiten, kam besser voran als befürchtet und hatte noch dazu Spaß daran. Dafür, dass ich das »Gefälschte Land« zwischenzeitlich zum Mond schießen wollte, bin ich doch sehr zufrieden mit dem Endergebnis, und ich flog nur so durch die Anmerkungen, statt wie sonst bei jeder dritten innezuhalten und eine Stunde lang das Für und Wider eines Änderungsvorschlags anzunehmen. Ich schiebe das auf meine neuen Medikamente – sie machen mich nicht nur konzentrierter, sondern helfen mir auch, Entscheidungen zu treffen (früher hatte ich Tage, da bin ich in Tränen ausgebrochen, weil ich nicht sagen konnte, ob das Licht an oder aus sein sollte). Also, was das Lektorat angeht, kann ich den November als vollen Erfolg verbuchen. Nur eben nicht, wo es ums Schreiben ging.
Als das Lektorat fertig war und das Manuskript fristgerecht beim Verlag lag, hatte ich wirklich keinen Grund mehr, einen supererfolgreichen Nano hinzulegen. Es war noch genug Monat übrig, um eine schöne Zeit zu haben, und ich musste mich nur noch auf ein Buch konzentrieren – aber es änderte nichts mehr, der Nano blieb eine Quälerei. Mehr als einmal überlegte ich, die Brocken hinzuschmeißen und dieses Jahr verlorenzugeben, aber ich hätte mich langfristig zu sehr darüber geädert, meine seit 2016 ungebrochene Siegesserie abreißen zu lassen, als mich jetzt durchzubeißen, und das tat ich dann auch, durchbeißen.
Ich schrieb jeden Tag, auch wenn ich hinter meinem Ziel zurückrutschte; Szenen, die sich mehr wie Platzhalter für später zu schreibende richtig gute Szenen anfühlten als wie das eigentliche Buch. Ich habe kein Problem damit, beim Überarbeiten eine Menge neu zu schreiben, aber es störte mich doch sehr, dass ich meinen eigenen Qualitätsansprüchen nicht genügen konnte. Normalerweise schreibe ich im Nano sehr gut, gerade weil es so kreativ fließt, aber dieses Jahr bin ich einfach nicht zufrieden mit mir. Am liebsten würde ich alles im Nano geschriebene in die Tonne kloppen, aber das tue ich erst, wenn ich weiß, wie ich es besser machen soll – was ich gerade noch nicht sagen kann. Der Nano ist rum, das drückend unkreative Gefühl ist geblieben. Was bringt mir die beste Konzentration, wenn die Kreativität plötzlich verschwunden ist?
Ich hoffe, es ist nur eine vorübergehende Verstimmung. Auch in anderen Jahren hatte ich schon Phasen, in denen es mit dem Schreiben einfach nicht geklappt hat – sie haben sich nur selten mit dem Nano überschnitten. Aber ich habe es geschafft, der Nano ist irgendwann vorbeigegangen, und ich habe ihn gewonnen, und das ist immerhin ein kleiner Sieg. Jetzt sichte ich mein Material, schaue, wie gut oder schlecht es wirklich ist und wie viel ich davon langfristig im Buch behalten will. Ein paar echt schöne Szenen sind mir ja immerhin gelungen. Es ist nicht alles schlecht. Es hat nur einfach extrem wenig Spaß gemacht.
Aber nach dem Nano ist vor dem Nano. Und ich freue mich jetzt schon drauf, dass das kommende Jahr besser laufen wird.